Die fatale Agrarpolitik in Ostdeutschland

Mit der deutschen Wiedervereinigung haben politische Führung, alte SED-Kader und Deutscher Bauernverband die Landwirtschaft im heutigen Ostdeutschland (einst Mitteldeutschland) auf Lug und Trug gebaut. Auf welche Weise und zu wessen Schaden beschreibt umfassend ein Buch von Jörg Gerke.

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Verantwortlich für den Schaden macht Gerke das Konglomerat aus ostdeutscher einstiger SED-Agrarnomenklatura, Agrarverwaltung, Agrarpolitik, Agrarberichterstattung und der Agrarlobby in Gestalt der fünf Landesbauernverbände, die zum Deutschen Bauernverband (DBV) gehören. Er bezeichnet dieses Netzwerk als das ostdeutsche Agrarkartell. Dieses Kartell stütze einseitig die als GmbH oder in ähnlicher Rechtsform geführten agrarischen Großbetriebe.

Bäuerliche Familienbetriebe massiv benachteiligt

Diese Großbetriebe mit vielen hundert oder tausend und mehr Hektar  sind nach 1990 meist aus den einstigen Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) der DDR-Zeit hervorgegangen oder vom Personal der einstigen DDR-Agrarkader gegründet worden. Vor allem sie wurden und werden mit zusätzlichen Subventionen, wie Gerke schreibt, überschüttet. Denn seit der Wiedervereinigung hat die ostdeutsche Landwirtschaft neben den Direktbeihilfen eine Vielzahl von Sondersubventionen und Vergünstigungen erhalten, aber nicht über alle Größen und Betriebsformen gleichmäßig verteilt, sondern die Großbetriebe wurden deutlich bevorzugt, die bäuerlichen Familienbetriebe massiv benachteiligt.

Trotz Größe wirtschaftlich zu schwach

Aber trotz dieser Bevorzugung sind die Großbetriebe wirtschaftlich schwach. Gerke macht das schon mit einer einfachen Berechnung klar, allerdings mit älteren Zahlen (2002 bis 2004): Alle Agrarbetriebe in Deutschland  erhalten je Hektar und Jahr zwischen 300 und 350 Euro an Direktbeihilfen. Mit diesem Staatsgeld kamen die großen Marktfruchtbetriebe durchschnittlich auf einen Jahresgewinn von 34 Euro je Hektar. Das heißt: Ohne diese Subvention erzielten sie gar keinen Gewinn, sondern machten im Durchschnitt einen Verlust von mehr als 266 Euro.

Familienbetriebe stehen besser da

Dagegen erwirtschafteten ostdeutsche Familienbetriebe einen jährlichen Hektargewinn von durchschnittlich 200 Euro. Rechnet man auch hier die Subvention heraus, machten zwar auch sie Verlust, aber einen deutlich geringeren als die Großbetriebe. Familienbetriebe in Westfalen oder Bayern dagegen kamen mit der Subvention auf  knapp 500 bis 550 Euro und ohne sie trotzdem noch auf einen Gewinn, nämlich auf mindestens 200 Euro. Die Folgerung daraus: Die ostdeutschen Großbetriebe hängen von der Subvention weit stärker ab als die bäuerlichen Familienbetriebe. Ohne die Subvention gäbe es diese Großbetriebe gar nicht, und auch die ostdeutsche Landwirtschaft wäre dann wie die westdeutsche familienbäuerlich verfaßt und wirtschaftlich stabiler.

Der Deutsche Bauernverband als Unterdrückungshelfer

Dafür gesorgt, dass es diese familienbäuerliche Struktur im östlichen Deutschland nicht gibt, haben zum einen die alten ländlichen DDR-Strukturen mit ihrem alten Agrarverwaltungspersonal und ihren Agrarpolitikern. Daran beteiligt haben sich zum anderen westdeutsche Politiker und Agrarfunktionäre. Dabei könne, schreibt Gerke, die Rolle des DBV als Lobbyist für die DDR-Agrarstrukturen in der bereinigten Bundespolitik gar nicht hoch genug eingeschätzt werden, was er an Beispielen belegt Das Ergebnis: „Das Nachsehen hatten diejenigen Bauern, die schon in der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und DDR in den vierziger und fünfziger Jahren unterdrückt und verfolgt wurden und die, ohne Einfluss in diesem Lobbysystem, am Betriebswiederaufbau nach der Wende massiv behindert oder zumindest stark benachteiligt wurden.“ Erst die Ausbildung einer neuen Form von kartellartigen Seilschaften im Agrarbereich habe die Pfründe und Privilegien der alten LPG-Kader sowie einiger westdeutscher Agrarfunktionäre und Agrarindustrieller gesichert.

Wiederentstehen bäuerlicher Familienbetriebe erschwert und verhindert

Die Fülle dessen, was Gerke schildert und anprangert, lässt sich in einem Buchhinweis nicht ausbreiten, nur andeuten. Der Leser erfährt, wie sich die Macht des ostdeutschen Agrarkartells äußert, wie Daten und Fakten durch das Kartell erfunden und gefälscht werden, welche schlimme Rolle die von der SED gegründete Bauernvereinigung VdgB  in der DDR gespielt hat, wie sie von 1990 an mit DBV-Hilfe in den fünf ostdeutschen Landesbauernverbänden aufging, wie die DBV-Spitze im wesentlichen alle wichtigen Forderungen der LPG-Nachfolger und DDR-Kader zu den eigenen gemacht hat, wie unterschiedlich die Direktbeihilfen auf Groß- und Familienbetriebe wirken, wie die staatliche Treuhand und später ihr Ableger BVVG den ostdeutschen Bodenmarkt beherrscht und den Aufbau einer bäuerlichen Landwirtschaft bis heute erschwert und verhindert, warum die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) gegen die BVVG Strafanzeige erhoben, dass aber  die (weisungsgebundene) Staatsanwaltschaft die Ermittlungen eingestellt hat … sowie vieles andere mehr.

Das Versagen der Parteien, Agrarökonomen und Medien

Eigene Buchkapitel befassen sich mit den Altschulden der LPG-Nachfolger aus der DDR-Zeit und ihrer wettbewerbsverzerrenden Wirkung zu Lasten der bäuerlichen Betriebe, mit der agrarkartellnahen, kritiklosen Rolle der Medien für die Entwicklung der ostdeutschen Agrarpolitik nach 1990, mit der katastrophalen Rolle der politischen, mit alten DDR-Kadern durchsetzten Parteien für diese Entwicklung sowie mit dem Versagen gerade der marktliberalen Agrarökonomen im ostdeutschen Transformationsprozeß. Im letzten Kapitel setzt sich Gerke mit vier Vorschlägen für eine notwendige und mögliche andere Agrarpolitik in Ostdeutschland ein. Einer davon ist der, die Höhe der Direktbeihilfen an die in den Betrieben beschäftigten Arbeitskräften zu binden.

Gegensteuern politisch offensichtlich nicht gewollt

Das Buch ist seit dem Herbst 2008 auf dem Markt, also Zeit genug, von Politikern und ihren Parteien zur Kenntnis genommen und verinnerlicht zu werden. Aber es ist so, wie es immer ist: Politisch bewegt und bewirkt hat es nichts. Es ist politisch offensichtlich auch nicht gewollt. Die Hunde bellen, und die Karawane zieht weiter. Trotzdem ist das Buch notwendig, trotzdem hat es seine Verdienste. Es macht öffentlich, was fehlläuft und woran es liegt.

Eine fundierte Information

Gerke ist ein fachkundiger Autor. Er bewirtschaftet seit 1996 das öko­logische Landgut Reetwiesenhof. mit 350 Hektar im mecklenburgischen Rukieten zwischen Rostock und Güstrow, käuflich erworben von privater Hand, nicht von der staatlichen BVVG. Außerdem ist Gerke promovierter und habilitierter Agrarwissenschaftler sowie Unternehmensberater. Jedermann, der Näheres über die ostdeutsche Landwirtschaft wissen will, kann sich hier also fundiert informieren, jedermann sich darauf berufen, wenn auch er auf diese fatale Politik hinweist. Und politisch Verantwortliche können sich nicht damit herausreden, sie hätten von den wirklichen Vorgängen in der ostdeutschen Landwirtschaft nichts gewusst und eben daher nicht die notwendigen Änderungen in Angriff genommen.

Jörg Gerke: Nehmt und euch wird gegeben. Das ostdeutsche Agrarkartell. Bauernlegen für neuen Großgrundbesitz und Agrarindustrie. ABL Bauernblatt Verlags GmbH, Hamm 2008, broschürt, 336 Seiten. 27,40 Euro.

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