Die Eurokrise aus niederländischer Sicht

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Bundeskanzler Helmut Kohl wollte die politische Einigung Europas und war dafür bereit, die D-Mark aufzugeben. Die Politische Union aber ist nicht entstanden und wird auch nicht kommen. Die französische Zielsetzung war – und wird es auch immer bleiben –, politischen Einfluss auf die europäische Zentralbank zu bekommen. Das war inakzeptabel für Deutschland und die Niederlande. Keine der beiden Parteien bekam, was sie wollte.

Diese Gegensätze in den Zielen prägen die politische Konstellation. Frankreich und Deutschland haben verschiedene Visionen von der Art der WährungsunionDie Franzosen wollen, dass zentrale ökonomische Entscheidungen von der Regierungspolitik getroffen werden. Praktisch bedeutet dies, dass die EZB ökonomische Differenzen zwischen den  Überschuss– und den Defizitländer umverteilen soll. Deutschland will – hierin unterstützt durch die Niederlande –, dass fundamentale ökonomische Vorgaben des Vertrags eingehalten werden.  Das heißt: Eine von der Politik unabhängige EZB, ferner Priorität für die Preisstabilität, ausgeglichene Haushalte und die Geltung der „no-bail-out“- Klausel des Vertrags. Das wiederum bedeutet, dass Defizitländer ihre Probleme selber lösen müssen. Kurzum: Nordwesteuropa will Stabilität, das mediterrane Europa will Solidarität, also Geld von den anderen.

Das ist der Geburtsfehler der Währungsunion. Sie leidet daran, dass der Euro zwei große Ländergruppen mit verschiedenen ökonomischen Kulturen verbinden muss. One size fits all, sollte es künftig heißen. In der Schlussdebatte über die europäische Währungsunion in der zweiten Kammer des niederländischen Parlaments habe ich am 15. April 1998 nachdrücklich das Problem der italienischen Staatsschuld thematisiert. Ich war gegen den Beitritt von Italien. Übrigens hatte der Beitritt noch den unglücklichen Effekt, dass auch Griechenland zugelassen wurde. Man konnte Griechenland nicht verweigern, was man Italien gab, so dachte man. Ich beendete meinen Debattenbeitrag damit, noch einmal auf die Risiken der europäischen Währungsunion hinzuweisen: Zum ersten beginnen wir mit einer zu großen Gruppe von Ländern, zum zweiten würde es schwierig werden, den Stabilitätspakt zu handhaben, zum dritten befürchtete ich, dass die Währungsunion zu Transfers und Einkommensumverteilung innerhalb der Union führen würde. Genau das ist auch passiert. Es war leichtsinnig, dem Projekt der Währungsunion zuzustimmen.

Beim Zustandekommen des Stabilitätspakts wurde eine eidesstattliche Erklärung unterschrieben, in dem die Vertragspartner (Mitgliedsstaaten) erklärten, sich genau an die Kriterien des Paktes zu halten. Nichtsdestotrotz haben Frankreich und Deutschland 2003 beschlossen, das nicht zu tun. Nun denn, wenn eine eidesstattliche Erklärung in einer präzisen Formulierung nach wenigen Jahren im Mülleimer liegt, an welche europäische Übereinkunft kann man in Zukunft überhaupt noch glauben?  Das gilt vor allem für den Stabilitätspakt selbst, der in jeder Hinsicht beschädigt worden ist. Und das gilt vor allem für die „Bail-out“-Klausel. Die  Annahme, dass Schulden von Mitgliedstaaten nicht von anderen bezahlt werden sollten, um dem Schuldenstaat aus der Krise zu helfen, war fortan in ihrer Glaubwürdigkeit stark beschädigt.

Herman Van Rompuy, Präsident des europäischen Rats, hat Anfang Dezember 2012 einen Weg zu einer europäischen Föderation konzipiert. Dieser Weg besteht aus drei Schritten: Einer Bankenunion, Staatsverträgen und zum Schluss einem wirklichen europäischen Staat mit eigenen Steuern. Zu diesem Plan hat die niederländische Regierung am 18. Januar 2013 ein Gutachten des Staatsrates veröffentlicht. Die Fragestellung lautete: Wie steht es im Kampf gegen die ökonomische Krise in Europa mit der demokratischen Kontrolle?

Was dem Staatsrat die meisten Sorgen bereitet, sind die Haushalts-Verträge, die mit den Mitgliedsstaaten geschlossen werden. Deren Etats sollten mit den fiskalischen und wirtschaftspolitischen Prioritäten und Zielen übereinstimmen, die die Europäische Kommission festlegt. Der Staatsrat konstatiert, dass die Möglichkeit von Abweichungen sehr beschränkt sein soll. Vorausgesetzt wird, dass die Möglichkeit, keinen Vertrag zu schließen, gar nicht besteht. Wo bleibt da das Budgetrecht der Einzelstaaten?

Am Ende des Weges sollte die Europäische Föderation mit eigenen Steuern stehen. Dies würde zu Eurobonds führen. Alle Mitglieder der Währungsunion würden ihre Auslandsschulden sozusagen auf einen Haufen werfen und dieser Berg von Schulden soll dann durch gemeinsame europäische Anleihen finanziert werden. Nicht nur, dass die Niederlande dann deutlich mehr Zinsen für die Staatsschulden zahlen würden als gegenwärtig; darüber hinaus würden die Defizitländer keinen Anreiz zu Reformen mehr spüren. Glücklicherweise haben die niederländische und die deutsche Regierung diesen unglücksseligen Plan entschieden abgelehnt.

Die Währungsunion ist gescheitert. Der Euro ist eine Schlaftablette, die die Defizitländer von einem „dolce far niente“ träumen ließ, anstatt sich Gedanken über ihre eigene Wettbewerbsfähigkeit zu machen. Das Ergebnis ist eine Transferunion, die dauerhaft zu werden droht. Die Währungsunion sollte die Freundschaft zwischen den Völkern fördern. Stattdessen wird Bundeskanzlerin Merkel in den Defizitländern mit Hitler verglichen. Die Niederlande sind in eine Falle geraten und finden keinen Weg hinaus. Was ist zu tun? Der deutsche Ökonom Hans- Werner Sinn hat vorgeschlagen, dass es Ländern mit mangelnder Wettbewerbsfähigkeit erlaubt sein sollte, die Eurozone zu verlassen, um nach Abwertung und Strukturreformen erneut in  die Eurozone einzutreten (Financial Times, 23. Juli 2013). Das wäre natürlich wunderbar, aber welcher Mitgliedstaat würde das tun? Ich selbst habe vorgeschlagen, den Euro zu behalten, aber nebenbei eine Parallelwährung für die Triple-A- Länder einzuführen. Natürlich ist das mit Schwierigkeiten verbunden, aber weiterhin auf dem aktuellen Kurs zu bleiben, führt nicht zu einer nachhaltigen Lösung.

Beitrag erschien zuerst auf: i-daf.org


Der Beitrag im niederländischen Original: Frits Bolkestein: 'De euro is een slaappil gebleken die de tekortlanden heeft laten dromen'.

www.volkskrant.nl/vk/nl/3184/opinie/article/detail/3520193/2013/10/02/De-euro-is-een-slaappil-gebleken-die-de-tekortlanden-heeft-laten-dromen.dhtmlSiehe auch das Interview der „Freien Welt“ mit Ex-EU-Kommissar Frits Bolkestein zu Fragen des Europolitik und der Verfassung Europas: „Being nice to each other“ ist zu wenig,

www.freiewelt.net/interview/ex-eu-kommissar-frits-bolkestein-being-nice-to-each-other-ist-zu-wenig-iii-10009505/

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Manfred Böttcher

Der Kommentar beschreibt weitgehends die (traurige) Realität.Nur aus deutscher Sicht sollte man die Wiedervereinigung nicht vergessen.Die wehre, nach meiner Sicht ohne EURO (DM -Aufgabe) nicht möglich gewesen. Kohl hätte einer GEMEINSCHAFTSWÄHRUNG ohne Wiedervereinigung wohl kaum zugestimmt. Ich habe den Eindruck, dass dieser " POLITIKZUSAMMENHANG " heute gern vernebelt wird.

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