Die etwas andere Antwort

„Ein solches Vorgehen kann nicht ohne Konsequenzen bleiben“ – so oder so ähnlich argumentieren diejenigen, die sich für einen militärischen Einsatz der USA und deren Verbündeter in Syrien stark machen.

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Und irgendwie scheint man dem nicht widersprechen zu können. Und sehen wir mal davon ab, dass die Verantwortung der syrischen Regierung für den Einsatz von Giftgas noch immer nicht bewiesen ist (der Nahostexperte Peter Scholl-Latour hat jedenfalls in der letzten Ausgabe der Jungen Freiheit darauf hingewiesen, dass die Opposition, unterstützt durch Al Qaida durchaus auch dazu in der Lage wäre), nehmen wir mal an, es sei tatsächlich Assad gewesen, der den schrecklichen Einsatzbefehl gegeben hat – muss man dann nicht darauf reagieren? Muss man diesen Mann dann nicht endlich in die Schranken weisen, muss man den Tod der vielen Zivilisten und Kinder dann nicht vergelten? Man tut sich schwer, diese Frage zu verneinen … und doch:

Am letzten Samstagabend beteten hunderttausend Menschen auf dem Petersplatz und hoffentlich Millionen bis Milliarden Menschen weltweit für den Frieden und gegen eine weitere Eskalation der Gewalt in Syrien – und die allermeisten damit wohl auch, um den militärischen Einsatz der USA zu „verhindern“ (soweit der Begriff für ein Gebet richtig verstanden wird). Und der Papst fand, so erscheint mir, genau die richtigen Worte. Kein banales „USA raus aus Syrien“, keine naiven Friedensbewegungsparolen, auch keine Analyse der Schuldfrage. Was der Papst in seiner Predigt dagegen geschafft hat, war ein Blick hinter die Kulissen der vordergründigen Weltpolitik. Es geht nämlich nicht in erster Linie um Assad und Al Qaida, nicht um Obama und Putin, nicht um die USA und Syrien. Worum es geht ist der alte Kampf Gut gegen Böse – nur dass die Rollenverteilung dabei nicht so klar ist, wie manche Politiker (egal ob pro oder contra Militäreinsatz) sich das wünschen würden.

Zunächst mal geht der Papst darauf ein, wie die Schöpfung Gottes denn eigentlich mal gedacht war. Und der prägnanteste Satz, den wohl jeder aus dem christlichen Kulturkreis stammende kennt: „Gott sah, dass es gut war!“ (Genesis 1,12.18.21.25). Dieses – nennen wir es mal so – „Testat“ Gottes für die Welt stellt eigentlich die Ausgangsvoraussetzung dar. Die Welt ist in ihrem Ursprung von Gott „gut“ geschaffen.

Die gesamte Schöpfung bildet ein harmonisches, gutes Ganzes, aber vor allem die Menschen, die als Abbild Gottes und ihm ähnlich erschaffen sind, bilden eine einzige Familie, in der die Beziehungen von einer wirklichen, nicht nur in Worten erklärten Brüderlichkeit geprägt sind: Der andere, die andere sind der Bruder und die Schwester, denen Liebe gebührt, und die Beziehung zu Gott, der Liebe, Treue und Güte ist, wirkt sich auf die Beziehungen zwischen den Menschen aus und trägt Harmonie in die gesamte Schöpfung. Die Welt Gottes ist eine Welt, in der sich jeder für den anderen, für das Wohl des anderen, verantwortlich fühlt.

Wohlgemerkt: der Papst sagt natürlich an dieser Stelle nicht, dass die Welt so ist, er sagt auch im Folgenden eigentlich nicht mal, dass sie so werden könnte. Aber Gott hat sie einmal so geschaffen, sie war einmal so, und sie war genau so auch gedacht. Und so, wie die Menschen in ihrer Seele nach Gott streben, und – wie Augustinus sagt – nur Ruhe findet in ihm, so sind die Menschen im Grunde auch bestrebt, so zu leben, in einer solchen Schöpfung zu leben.

Heute Abend wollen wir – jeder einzelne von uns und wir alle – in unserer Überlegung, im Fasten und im Gebet uns zuinnerst fragen: Ist das nicht eigentlich die Welt, die ich mir wünsche? Ist das nicht die Welt, die wir alle im Herzen tragen? Ist die Welt, die wir wollen, nicht eine Welt der Harmonie und des Friedens in uns selbst – in den Beziehungen zu den anderen, in den Familien, in den Städten, innerhalb und zwischen den Nationen? Und ist die wirkliche Freiheit in der Wahl der einzuschlagenden Wege in dieser Welt nicht die, welche sich am Wohl aller orientiert und von der Liebe geleitet ist?

Doch die Schöpfungsgeschichte geht weiter, und der Mensch wendet sich in ihr immer wieder von Gott ab, macht sich selbst zum Maß der Dinge, die Bibel beschreibt es mit dem Biss von der Frucht des Baumes der Weisheit. Der Mensch will im Grunde wie Gott sein, das aber aus eigenen Interessen, nicht aus Liebe.

Die Schöpfung behält ihre Schönheit, die uns mit Staunen erfüllt, sie bleibt ein gutes Werk. Doch es gibt auch „Gewalt, Spaltung, Auseinandersetzung und Krieg“. Das geschieht, wenn der Mensch, die Krone der Schöpfung, den Horizont der Schönheit und der Güte aus dem Auge verliert und sich in seinem Egoismus verschließt.

Und genau dieser Schritt zerbricht die Harmonie, für die der Mensch, die ganze Schöpfung, eigentlich geschaffen ist. Wobei der Papst treffend darauf hinweist, dass die Folge aus dem Zerbrechen von Harmonie nicht einfach „Disharmonie“ ist, sondern in der Folge „Chaos, wo Gewalt, Streit, Auseinandersetzung und Angst herrschen…“.

In der Folge der Schöpfungsgeschichte, in der Kain seinen Bruder Abel erschlägt, fragt Gott Kain: Wo ist dein Bruder?, und der antwortet „Bin ich der Hüter meines Bruders?" Ausgehend von der ursprünglichen Schöpfungsgeschichte müsste man auf diese Frage Gottes, die er uns auch heute stellt, wenn es um „Gewalt, Streit, Auseinandersetzung und Angst“ geht, zusammen mit dem Papst antworten „Ja, du bist der Hüter deines Bruders! Menschsein bedeutet, einander Hüter zu sein!“ Diese Antwort müssen wir uns heute gefallen lassen, denn nur allzu viele zucken einfach mit den Schultern, wenn es um den „Bruder“ geht, das heißt um die anderen Menschen. Dann sind es eben die Sachzwänge, die unser Handeln leiten – vermeintlich können wir nicht anders, als gegen unseren Bruder zu kämpfen. Der Papst beschreibt das mit unglaublich eindringlichen Worten:

In jedem Gewaltakt, in jedem Krieg lassen wir Kain wieder aufleben. Wir alle! Und auch heute setzen wir diese Geschichte der Auseinandersetzung zwischen Brüdern fort, auch heute erheben wir die Hand gegen den, der unser Bruder ist. Auch heute lassen wir uns von den Götzen, vom Egoismus, von unseren Interessen leiten; und dieses Verhalten entwickelt sich weiter: Wir haben unsere Waffen vervollkommnet, unser Gewissen ist eingeschlafen, und wir haben ausgeklügeltere Begründungen gefunden, um uns zu rechtfertigen. Als wäre es etwas Normales, fahren wir fort, Zerstörung, Schmerz und Tod zu säen! Gewalt und Krieg bringen nur Tod, sprechen vom Tod! Gewalt und Krieg sprechen die Sprache des Todes!

Das ist zunächst mal die Analyse des Papstes: die Abwendung von Gott, der daraus resultierende Egoismus, die „Selbstvergöttlichung“ ist es, die die Harmonie der Schöpfung auflöst und uns in das derzeit herrschende Chaos stürzen. Ein beklemmendes Bild – aber wie man sich wohl denken kann, auch nicht das Ende der Geschichte. Denn im letzten Teil seiner Predigt bietet der Papst anschließend an die Frage, wie „es möglich [ist], den Weg des Friedens einzuschlagen“ eine verblüffend einfache Antwort an: durch den Blick auf das Kreuz Christi!

Dort kann man die Antwort Gottes ablesen: Dort wurde auf die Gewalt nicht mit Gewalt reagiert, auf den Tod nicht mit der Sprache des Todes geantwortet. Im Schweigen des Kreuzes verstummt das Getöse der Waffen und kommt die Sprache der Versöhnung, des Verzeihens, des Dialogs und des Friedens zu Wort. […]

Gewalt und Krieg sind niemals der Weg des Friedens! Möge ein jeder Mut fassen, auf den Grund seines Gewissens zu schauen und auf jene Stimme zu hören, die sagt: Komm heraus aus deinen Interessen, die dein Herz verengen, überwinde die Gleichgültigkeit gegenüber dem anderen, die das Herz gefühllos macht, besiege deine Todesargumente und öffne dich dem Dialog, der Versöhnung: Schau auf den Schmerz deines Bruders – ich denke an die Kinder, allein an sie… – schau auf den Schmerz deines Bruders und füge nicht weiteren Schmerz hinzu, halte deine Hand zurück, baue die Harmonie wieder auf, die auseinander gebrochen ist – und das nicht mit dem Zusammenprall, sondern mit der Begegnung! Möge das Waffenrasseln aufhören! Krieg bedeutet immer das Scheitern des Friedens, er ist immer eine Niederlage für die Menschheit.

Ich gebe zu, diese Sicht der Dinge bereitet auch mir Schwierigkeiten: kann das Schweigen Jesu am Kreuz denn wirklich unsere Lösung für einen Konflikt wie den in Syrien sein? Kann das Gebet für den Frieden denn den Frieden in Syrien sichern oder wiederherstellen? Andererseits muss die Frage umgekehrt lauten: Glauben wir denn wirklich, nach den Erfahrungen der letzten Jahre im Irak oder in Afghanistan oder den anderen Krisenregionen der Welt, dass ein Krieg die Lösung solcher Konflikte sein kann? Nur dass es uns undenkbar erscheint, in der jetzigen Situation (nehmen wir wieder an, dass er getan oder veranlasst hat, was ihm vorgeworfen wird) auf Assad und seine Helfer mit der geöffneten Hand und geöffnetem Herzen zuzugehen, heißt nicht, dass das nicht der Weg zum Frieden sein könnte. Er wird sich eines Tages für sein Verhalten verantworten müssen, spätestens vor Gott als seinem letzten Richter, aber wer sind wir, dass wir zu diesem Richter werden? Genau, indem wir uns zum Richter aufschwingen, machen wir uns wieder zu Gott, vergrößern das Chaos nur noch, dass die Menschheit in ihrer Geschichte angerichtet hat.

Ich weiß schon, das alles mag naiv klingen, und die eingangs aufgestellte Aussage, das Verhalten von Assad könne nicht unbeantwortet bleiben, hallt laut durch die Welt. Aber was, wenn die Antwort anders aussähe als ein militärischer Einsatz? Vielleicht ist es an der Zeit einzusehen, dass ein solcher Einsatz in der jüngsten Geschichte noch nie zu einem dauerhaften Frieden geführt hat? Ich jedenfalls kann mich dem Schlussappell des Papstes nur anschließen:

Brüder und Schwestern, Vergebung, Dialog, Versöhnung sind die Worte des Friedens – in der geliebten syrischen Nation, im Nahen Osten, in der ganzen Welt! Beten wir heute Abend für Versöhnung und für Frieden, arbeiten wir für Versöhnung und für Frieden und werden wir alle in jedem Umfeld Männer und Frauen der Versöhnung und des Friedens! So sei es.

Beitrag erschien zuerst auf: papsttreuer.blog.de

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