Die Endlagersuche: Das grüne Dilemma

Der Umgang der deutschen Politik mit der Kernenergie war zu keinem Zeitpunkt von sachbezogenen Erwägungen geprägt.

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Das galt in den 1950er und 1960er Jahren, als der Einstieg mit übertriebenen Heilsversprechen gegen die zögernden Energieversorger erzwungen wurde. Das galt im Jahr 2000, als die rotgrüne Bundesregierung den Ausstieg bis zum Jahr 2020 gesetzlich festlegte. Das galt für die sogenannte “Laufzeitverlängerung”, mit der schwarzgelb Ende 2010 den Ausstieg auf das Jahr 2040 verschob. Und das galt in besonderer Weise für die Kehrtwende im Frühjahr 2011, als man angesichts der Ereignisse im fernen Japan die Laufzeitverlängerung wieder zurücknahm.

Nüchtern betrachtet ist der Störfall in Fukushima-Daiichi ein Beleg für die Beherrschbarkeit der mit der friedlichen Nutzung der Kernenergie einhergehenden Risiken. Das Kraftwerk wurde von einer Naturkatastrophe zerstört, auf die es konstruktiv nicht ausgelegt war. Es befand sich in den Tagen nach Erdbeben und Tsunami in einer Wüste, da die Infrastrukturen in seiner Umgebung (Transportwege, Energie- und Kommunikationsnetze) nicht mehr funktionierten. Weder die Kernschmelze, noch die Freisetzung radioaktiver Stoffe konnten verhindert werden. Trotz allem sind keine Todesopfer durch Verstrahlung zu verzeichnen und es gibt keine Anzeichen für eine Zunahme von Erkrankungen in der Bevölkerung. Betroffen war auch nur eine kleine Region in unmittelbarer Nähe zum Kraftwerk, die mitnichten auf Jahrzehnte unbewohnbar wurde. Seit kurzem wirbt die japanische Regierung aktiv für die Rückkehr der zunächst evakuierten Einwohner und sie hat damit länger gewartet als notwendig.

Eigentlich sollte dies jeden Kernkraftgegner zum Nachdenken bringen. Ist Radioaktivität auch in kleinen Dosen wirklich gefährlich? Ist der größte anzunehmende Unfall, die Kernschmelze, wirklich ein Weltuntergang? Sind gegen das Schadenspotential einer Gewalt, die ein Kernkraftwerk so umfassend zerstören kann, die Folgen des Störfalles nicht vernachlässigbar? Tsunami und Erdbeben haben 20.000 Opfer gefordert. Fukushima-Daiichi kein einziges.

Aber mit Vernunft ist bei den wenigsten Kernkraftgegnern etwas zu erreichen. Die Entwicklung zunächst kleiner und regional begrenzter Proteste im Verlauf der 1970er Jahre hin zu einer Massenbewegung kann wohl nur ein Psychologe erklären – und ich bin nicht diese Art von Doktor. Aus der Ablehnung der Kernenergie entstand eine von spezifischen Ritualen geprägte Subkultur, die schließlich eine der beiden Säulen der Grünen wurde. Nach der Emanzipierung vom Pazifismus der Friedensbewegung verbleibt der Widerstand gegen die Kernkraft als das wichtigste verbindende Element über die Parteiflügel hinweg. Ein Gründungsmythos, von dem sie niemals abrücken dürfen, wollen sie nicht auseinanderfallen.

Man kann sich über die Erfolgsgeschichte der Grünen ärgern. Anerkennen sollte man sie trotzdem. Einer Partei, die kaum jemals mehr als 5% aller Wahlberechtigten erreichte, gelang es in nur zwei Jahrzehnten, die Politik in Deutschland entscheidend zu prägen. Nachhaltigkeit und Vorsorgeprinzip sind mittlerweile in allen politischen Strömungen tief verankert. Die Ausweitung des technophobischen Denkens auf andere Bereiche, man denke an die Gentechnik, wurde erfolgreich vollzogen. Und als dann der Reaktor in Fukushima havarierte, gab es keine starke Stimme mehr in Deutschland, die die Kernkraft noch retten konnte. Der Ausstieg wurde im Bundestag im parteiübergreifenden Konsens beschlossen, weil ihn eine übergroße Mehrheit der Bevölkerung forderte, die weit überwiegend niemals die Grünen gewählt hatte. In der Kunst, Ängste zu schüren und diese dann als Mittel der Politik zu instrumentalisieren, sind die Grünen hoch talentiert. Aber dies ist keine robuste Strategie, wie die vergangenen drei Jahre und die aktuelle Endlager-Debatte zeigen.

Im Frühjahr 2011 werden sich die meisten Grünen als große Sieger gefühlt haben. Nun konnte man in der Öffentlichkeit plausibel vertreten, schon immer Recht gehabt zu haben. Das Trauma der 1980er Jahre, die den Niedergang der Friedensbewegung begünstigende Fehleinschätzung des NATO-Doppelbeschlusses, schien endgültig überwunden. Ein beispielloser demoskopischer Höhenflug bescherte nicht nur den Einzug eines Grünen in eine Staatskanzlei, sondern auch Utopien von einem eigenen Kanzlerkandidaten mit Aussicht auf Erfolg. Aber die gewonnene Schlacht um den Atomausstieg erwies sich bald als Pyrrhussieg. Das Thema wurde von einer überraschend aktiven Bundeskanzlerin durch die Herstellung eines alle gesellschaftlichen Gruppen umfassenden Kompromisses rasch wieder von der Agenda gestrichen. Heute sind die Grünen nach Umfrage- und Wahlergebnissen wieder auf das Vor-Fukushima-Niveau zurückgefallen. Schlimmer noch, es fehlt Ihnen auch für die Zukunft eine wichtige Mobilisierungsoption. Die „Anti-AKW-Bewegung“ hat ihre Schuldigkeit getan und kann nun gehen. Eigentlich müssten die Grünen heimlich für eine erneute Laufzeitverlängerung werben, um öffentlich weiter protestieren zu können.

Wesentliches Element der Befriedung der Debatte durch die Kapitulation der Kernenergie-Befürworter war die seitens der Bundeskanzlerin beauftragte „Ethikkommission für eine sichere Energieversorgung“, in der sich Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft auf eine gemeinsame Empfehlung für die Leitlinien der künftigen Energiepolitik geeinigt haben. Im abschließenden Dokument dieses Gremiums ist auf Seite 45 eine wichtige Vorgabe mit besonderen Konsequenzen enthalten:

Das Endlagerproblem muss gelöst werden, und zwar unabhängig davon, wie Ausstiegsszenarien und Laufzeiten aussehen. Hier liegt ebenfalls eine große ethische Verpflichtung im Zusammenhang mit dem Betrieb von kerntechnischen Anlagen. Die Schaffung eines gesellschaftlichen Konsenses über die Endlagerung hängt entscheidend mit der Nennung eines definitiven Ausstiegsdatums für die Atomkraftwerke zusammen.

Die Kernkraftgegner in diesem Gremium haben sich damit eine Selbstverpflichtung auferlegt: Wenn die Nutzung der Kernenergie in Deutschland in einem gemeinsamen Konsens beendet wird, dann blockieren wir nicht länger die Lösung der Endlagerfrage.

Bundesrat und Bundestag haben diese Empfehlung aufgegriffen und nach durchaus langwierigen Diskussionen im Sommer 2013 ein Standortauswahlgesetz verabschiedet. Demzufolge der eigentlichen Standortauswahl eine weitere Kommission vorangestellt wird, die in den nächsten zwei Jahren wesentliche Rahmenbedingungen für die Endlagersuche festlegen soll. Auch hier besteht das Ziel, möglichst alle Interessengruppen unter dem Dach einer gemeinsamen Haltung zu vereinen. DieEndlagerkommission hat sich am 22.05.2014 konstituiert und tagt seitdem regelmäßig. Die Grünen sind mit mehreren Vertretern dabei, darunter Bundestagsabgeordnete und Landesminister. Eine böse Falle.

Grundsätzlich stehen den Grünen drei Optionen zur Verfügung:

     

  • Man könnte die Suche nach einem Endlager weiterhin blockieren. Das Argument, Kernkraft wäre unverantwortbar, weil es keine Lösung hinsichtlich des Umgangs mit den Abfällen gebe, bliebe dann zunächst bestehen. Die Umweltverbände werden daher alles daran setzen, eine Einigung in der Kommission zu verhindern. Schließen sich die Grünen dieser Haltung an, könnten sie der Öffentlichkeit endgültig als ideologisch motivierter Blockierer erscheinen, für den “Verantwortung für zukünftige Generationen” nur ein Lippenbekenntnis ist. Es droht ein schwerer Imageschaden beim Wahlvolk. Rein praktisch würden Zwischenlager zur Dauerlösung. Das Material aus den Brennstäben verbliebe in entsprechenden (Castor-)Behältern in oberirdischen Hallen. Eigentlich keine schlechte Idee. Die entsprechenden Verfahren sind seit Jahrzehnten erprobt und etabliert. Bislang kommt Deutschland daher sehr gut ohne Endlager zurecht. Wenn auch weiterhin keine Probleme auftreten, könnte sich allgemein sogar die Erkenntnis durchsetzen, die Angst vor dem strahlenden Müll wäre wohl übertrieben gewesen. Keine wünschenswerte Entwicklung aus Sicht der Kernkraftgegner.
  • Man stimmt letztendlich einer nachsorgefreien unterirdischen Einlagerung zu. Die Industrie wird diese Variante massiv einfordern. Denn sie will nicht mehr als Kalkulierbarkeit des finanziellen Aufwands und die Absicherung vor zukünftigen finanziellen Risiken, um für Investoren wieder attraktiver zu werden. Ganz gleich, welcher Standort ausgewählt würde, heftige Proteste bei den Anwohnern und damit ein weiterer Sympathieverlust bei der eigenen Klientel wären für die Grünen die Folge. Außerdem könnte fortan jeder Kernkraftbefürworter auf dieses Endlager als Lösung des Müllproblems verweisen. Die Anti-Atombewegung wäre endgültig tot, weil in den Augen der Öffentlichkeit überflüssig. Manch in die Jahre gekommener Aktivist mag noch mit leuchtenden Augen von seinen Erlebnissen am Bauzaun berichten, der potentielle Nachwuchs wird dies wenn nicht als peinlich, so doch zumindest als öde und langweilig empfinden.
  • Man stimmt einem Endlager zu, das nicht nachsorgefrei ist und insbesondere die Rückholung der eingelagerten Materialien gestattet.
  •  

Diese dritte Variante stellt aus meiner Sicht das wahrscheinliche Ergebnis der Kommissionsarbeit dar. Es ist quasi die Kompromißlinie zwischen den Fronten der Industrie und der Umweltverbände, die eigentlich durch die Politik bereits formuliert wurde.

Zum einen im Endbericht der Ethikkommission (Hervorhebung durch mich):

Die Aussicht, mehrere Jahrtausende lang hochstrahlenden Müll sichern zu müssen, ist eine schwere Hypothek für die nachfolgenden Generationen. Probleme wie im Forschungsbergwerk Asse, Proliferation durch kriminellen oder terroristischen Zugriff und durch Missbrauch sowie unvorhergesehene Naturereignisse sind zusätzliche Gefahren. Daher ist jeder auch fernliegenden Möglichkeit nachzugehen, die das Gefahrenpotenzial für die Gegenwart und die Zukunft reduzieren könnte, und diese Optionen nachfolgenden Generationen zu erhalten. Es ist zwar bisher nicht in technischem Maßstab durchführbar, hochradioaktiven Abfall unschädlich zu machen oder die Zeit hochsicherer Lagerung signifikant zu verringern. Daher ist ein zu großer Optimismus, mit neuen Technologien die Menge von Atommüll zu verringern bzw. die Zeit für die sichere Endlagerung zu verkürzen, derzeit nicht angezeigt. Weitere Erfolge in der Grundlagenforschung sind hier noch erforderlich.

Die Ethik‐Kommission empfiehlt deswegen, bei höchsten Sicherheitsanforderungen, den radioaktiven Abfall auf rückholbare Weise zu lagern. Dies erweitert über Gorleben hinaus den Suchraum für Endlagerstätten für radioaktiven Müll in Deutschland. Unstrittig muss aber bleiben, dass Atommüll, der in Deutschland entstanden ist, auch in Deutschland abgelagert wird.

Zum anderen aber auch im Auftrag der Endlagerkommission selbst (Hervorhebung durch mich):

Die Kommission soll Vorschläge erarbeiten

     

  • zur Beurteilung und Entscheidung der Frage, ob anstelle einer unverzüglichen Endlagerung hoch radioaktiver Abfälle in tiefen geologischen Formationen andere Möglichkeiten für eine geordnete Entsorgung dieser Abfälle wissenschaftlich untersucht und bis zum Abschluss der Untersuchungen die Abfälle in oberirdischen Zwischenlagern aufbewahrt werden sollen,

  • […]

  • für Kriterien für eine mögliche Fehlerkorrektur (Anforderungen an die Konzeption der Lagerung, insbesondere zur Rückholung, Bergung, Wiederauffindbarkeit der Abfälle, die Frage von Rücksprüngen im Standortauswahlverfahren),

  • […]

  •  

Aktuell sieht die Rechtslage das Abschalten der letzten deutschen Kernkraftwerke für das Jahr 2022 vor. Der Rückbau wird sich über Jahrzehnte erstrecken, der parallel laufende Aufbau der Entsorgungseinrichtungen für die Brennelemente aus den Reaktorkernen ebenfalls. Für diese lange Zeit ist nicht nur das kerntechnische Wissen in Deutschland zu erhalten, es sind auch bislang kaum vorhandene Kompetenzen neu aufzubauen. Es geht dabei nicht nur um die Frage nach den geologischen Möglichkeiten für ein Endlager. Es geht auch um den direkten Umgang mit Spalt- und Brutprodukten und um deren Eigenschaften. Die Physik der Kernumwandlungen ist komplexer Natur. Im Zusammenwirken der unterschiedlichen Materialien in den Brennstäben über sehr lange Zeiträume können verwirrend viele Dinge geschehen, auch und gerade dann, wenn man sie in Ruhe läßt. Neben der Wärmeentwicklung ist die stetige Veränderung der chemischen Komposition und damit der physikalischen Eigenschaften zu berücksichtigen. Auch die Anforderungen an ein Lager werden sich daher im Laufe der Jahrtausende ändern. Vorhersehbar ist das nur eingeschränkt, denn geringe Abweichungen in der Zusammensetzung in der Gegenwart können zu großen Unterschieden zwischen zwei Brennelementen in zehntausend oder mehr Jahren führen.

Dies ist eine besonders große Zumutung an die Grünen, die mit der Endlagersuche in jedem Fall verbunden ist. Sie müssen sich aktiv daran beteiligen, Forschung und Entwicklung im Bereich der Kerntechnik in der Wissenschaft und in der Wirtschaft zu unterstützen. Derzeit sind es bereits 30 Projekte, die unter der Überschrift „Endlagerforschung“ durch das Wirtschaftsministerium gefördert werden. Eine Reihe von Vorhaben unter der Ägide des Wissenschaftsministeriums treten hinzu. Die Endlagerkommission wird sich mit diesen Ansätzen befassen, sie wird (Zwischen-)Berichte einholen und Forscher und Ingenieure zu Vorträgen einladen. Denn die „Endlagerforschung“ liefert wichtige fachliche Grundlagen für die Entscheidungsfindung. Da werden sich dann selbst die Grünen in die Tiefen der Nuklidkarte einarbeiten – und sei es ihnen auch noch so zuwider.

Es ist ohnehin aussichtslos, irgendeine Höhle in tiefes Gestein zu graben und von einem Geologen eine Aussage endgültigen und absoluten Charakters über die Stabilität dieser Struktur in hunderttausenden von Jahren zu erhalten. Bezieht man die Unwägbarkeiten hinsichtlich des Verhaltens der einzulagernden Materialien mit ein, bleibt eigentlich nur eine verantwortbare Lösung: die Partitionierung.

Man sollte die Brennelemente irgendwann zwischen der Entnahme aus dem Reaktorkern und der Einlagerung in ihre Bestandteile zerlegen. Zumindest in die vier Stoffgruppen Uran, stabile Metalle, hochaktive Spalt- sowie langlebige und toxische Brutprodukte. Denn die können und sollten alle unterschiedlich behandelt werden:

     

  • Das noch vorhandene Uran entspricht in seiner Zusammensetzung ungefähr den natürlichen Vorkommen und bedarf daher keiner spezifischen Nachsorge.
  • Die stabilen Metalle, die aus dem Zerfall der Spaltprodukte hervorgegangen sind, können einer industriellen Nutzung zugeführt werden.
  • Aus den Spaltprodukten sind nach weiteren 300 Jahren nützliche Metalle entstanden. Ein Zeitraum, der durch ein entsprechend gestaltetes oberirdisches Zwischenlager abgedeckt werden kann.
  • Für die eigentliche Endlagerung verbleiben die Brutprodukte (vor allem Plutonium), die nicht etwa wegen ihrer Strahlungseigenschaften von der Biosphäre abgeschottet werden müssen (sie weisen eine im Vergleich zu den Spaltprodukten weit geringere Aktivität auf und sind Alpha-Strahler, die man sehr leicht abschirmen kann), sondern wegen ihrer Toxizität.
  •  

Diese Vorgehensweise reduziert nicht nur die zu lagernden Stoffmengen erheblich (die Brutprodukte machen nur 1% der Masse eines Brennelementes am Ende der Betriebszeit aus), sondern auch die oben beschriebene Komplexität bezüglich der Evolution des Abfalls.

Durch ihre jahrzehntelange Panikmache haben die Grünen selbst dazu beigetragen, daß diese Möglichkeit am Ende vielleicht die einzige ist, die in den Augen der Öffentlichkeit verantwortbar erscheint. Sie werden in den Diskussionen in der Endlagerkommission noch weiter dazu beitragen, weil sie der Versuchung nicht werden widerstehen können, einem Endlager Katastrophenpotential zuzuweisen (Explosionsgefahr durch die Entstehung von Gasen). Die Entwicklung eines neuartigen Partitionierungsverfahrens (etablierte Konzepte können die oben beschriebene Stofftrennung nicht leisten) aber ist der erste Schritt hin zu einer neuen kerntechnischen Industrie in Deutschland.

Möglicherweise werden uns andere Staaten oder auch internationale Konzerne dann anbieten, die Brutprodukte zu kaufen. Oder gar, sie gegen Gebühr in eigenen geeigneten Reaktoren einer Transmutation zu unterziehen und dadurch zu vernichten. Das aber wäre politisch kaum akzeptabel. Mit dem Ausstieg wurde auch der Grundsatz vereinbart, in Deutschland produzierten Atommüll auch hierzulande zu entsorgen. Aber man wird sich fragen, warum man denn solche Transmutationsverfahren nicht selbst entwickelt und etabliert.

Dies ist ein Szenario, dessen Eintreten vielen aus heutiger Sicht noch unwahrscheinlich erscheinen mag. Aber es rückt mit jedem Tag näher, mit dem die Endlagerkommission auf den von mir erwarteten Vorschlag zur Etablierung eines nicht-nachsorgefreien Endlagers mit Rückholoption zusteuert. Denn ein Aspekt der Rückholbarkeit ist ja gerade die Hoffnung auf die oben beschriebenen Technologien der sortenreinen Partitionierung und der Transmutation, die die Ethikkommission in 2011 noch mit wenig Optimismus betrachtete. Aber wir reden hier über eine Perspektive für 2060 und spätere Jahrzehnte.

Die Debatte zur Endlagersuche wird in den kommenden Jahren in der Wahrnehmung der Bevölkerung an Bedeutung zunehmen. Die Kommission selbst hat einen hohen Anspruch an Transparenz, sie tagt grundsätzlich öffentlich und will auch alle Dokumente online bereitstellen. Ein Verfahren zur Bürgerbeteiligung für den Suchprozeß wird entwickelt. Die Medien werden es aufgreifen, denn es stehen sicher zahlreiche Prominente unterschiedlicher Profession und auch mehr oder weniger kompetente Wutbürger für Features und Talkshows zur Verfügung. Dies wird viele zum Teil auch vernünftige und konstruktive Ideen induzieren. Am Ende kann man eine gewisse wirtschaftliche Dynamik erwarten, auch hinsichtlich von Neugründungen. Unsere Freunde vom IFK haben mit Wettbewerbern zu rechnen. Schließlich sind staatliche Fördermittel im Angebot. Und wenn dann der erste mit einem klugen Konzept für Partitionierung und Transmutation ein paar Millionen durch Crowdfunding einwirbt, kann die Entwicklung nicht mehr aufgehalten werden.

Jede Position, die die Grünen in der Endlagerfrage einnehmen könnten, ist für sie mit hohen Risiken verbunden. Bis hin eben zum Extremszenario, in dem es am Ende in Deutschland gar kein Endlager gibt, sondern eine neue Generation von Kernkraftwerken als Neutronenquellen für die Transmutation. Gewinnen können die Grünen eigentlich in keinem Fall. Dieses Dilemma ist nicht die Folge eines cleveren Plans der Kanzlerin. Aber es ist auch kein Zufall. Seine Ursache liegt im Primat der Technologie. Gegen die Gestaltungskraft technischer Systeme kommen politische Konzepte nicht an. Sie mögen parteiübergreifend alle miteinander noch so häufig betonen, der Ausstieg aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie in Deutschland sei endgültig und unumkehrbar: Über die Macht, dies festzulegen, verfügen sie nicht. Denn die Frage nach dem Umgang mit radioaktiven Reststoffen aus den abgeschalteten und noch abzuschaltenden Kernkraftwerken kann nicht mehr hypothetisch betrachtet werden. Sie bedarf einer in der Realität praktikablen Antwort. Die nur bei einer rationalen Betrachtung aller Optionen formuliert werden kann. Wodurch sich der Weg zum Ausstieg aus dem Ausstieg automatisch wieder öffnet.

Beitrag erschien auch auf: science-skeptical.de

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Klaus Kolbe

Auszug aus einem Artikel auf unten angegebener Netz-Seite:

Die Mythenbildung war in der Menschheitsgeschichte immer schon ein Herrschaftsinstrument. Eine der letzten großen „Gespenstergeschichten“ ist die Moritat von der „ungelösten Endlagerfrage“. Als die Partei Bündnis 90/Die Grünen in ihrer Verkörperung als Umweltministers Trittin ein Gesetz erfanden, in dem die Wiederaufbereitung explizit verboten wurde (§ 7 (1) des Atomgesetzes), war die „Unlösbarkeit“ der Atomfrage erschaffen. Allerdings hat sich noch nie in der Geschichte des Sozialismus eine Partei selbst auf ein so tönernes ideologisches Fundament gestellt. Wahrscheinlich ein Trauma aus alten K-Gruppen-Zeiten. Wer sich noch an den Alltag der frühen 1980er Jahre an Westdeutschen Universitäten zurück erinnern kann, wird noch um die Spaltung der K-Gruppen im Wochenrhythmus wissen. Es wurde immer absurder, für jedes Grüppchen einen neuen Slogan als Alleinstellungsmerkmal zu erfinden. Dies muss man wissen, will man Jürgen Trittin – als führenden „Kommunisten“ der damaligen Studentenbewegung – verstehen.
Die krankhafte Aufrechterhaltung des Gründungsmythos als „Anti-Atomkraft-Bewegung“ ist allerdings im Internet-Zeitalter der einfach und frei zugänglichen Informationen ein gewagtes Unterfangen. Machen wir uns deshalb die Mühe, uns etwas näher mit dem „Entstehen des Atommülls“ auseinanderzusetzen. Aufklärung ist immer noch die beste Methode dem „Hexenwahn“ und anderen Geschichten der Finsternis entgegen zu leuchten.

Der vollständige Artikel ist hier nachzulesen:

http://www.eike-klima-energie.eu/climategate-anzeige/die-moritat-von-der-ungeloesten-endlagerfrage-nicht-der-atommuell-sondern-die-gruene-anti-atomkraftideologie-leidet-unter-einem-endlagerungsproblem/

Gravatar: Michael Ziefle

Sehr geehrter Herr Estermeier,
Sie haben vollkommen Recht!
Die Russen können schon mit Ihrem jetzigen know how, dem BN-800 teilweise "Atommüll" verwerten.
Das deutsche Projekt des Dual-Fluid-Reaktors wird hier nicht mehr gefördert, deshalb wird man eines Tages auf fremde Hilfe angewiesen sein, so wie jetzt Grossbritannien.

Gravatar: Markus Estermeier

Die Geister die sie riefen, werden sie nicht mehr los (leichte Abwandlung aus dem "Zauberlehrling").
Ich bin mal gespannt, wie sich die GRÜNEN aus diesem Dilemma herausreden wollen. Egal welchem "Endlagersystem" sie zähneknirschend ihren Segen geben, die von ihnen gezielt verunsicherten Menschen werden es nicht ohne Aufstand hinnehmen. Was mich allerdings am meissten wundert ist, dass verhältnismässig viele "gebildete" Menschen von diesen irrationalen Ängsten geplagt sind. Dieses Märchen von "Millionen Jahre verseucht" hätte doch jeden selbständig Denkenden skeptisch machen müssen.
Wer sich über die tatsächlichen Gefahren dieses "Atommülls" und deren schon jetzt bekannten Verwertbarkeit informieren will, möge sich auf dieser Seite informieren: http://www.nukeklaus.de/

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