Die Diktatur der Experten

Vor dem Kopenhagener Klimaschutzgipfel wird zur Mobilmachung geblasen. Wissenschaftler werfen dafür ihre Nobelpreise in die Waagschale, doch überschreiten sie damit auch ihren Kompetenzbereich.

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Vor ein paar Tagen hatte ich eine Sammelmail des Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK) in meinem Postkasten,in der es für die Unterstützung eines von 60 Nobelpreisträgern unterzeichneten Memorandums aufrief. Die honorigen Wissenschaftler geben Politikern aller Welt recht detailierte Handlungsanweisungen für eine weltumspannende Klimapolitik auf den Weg zur Kopenhagener Klimakonferenz im Dezember. Mit der wissenschaftlichen Autorität und Expertise  „einiger der klügsten Köpfe unserer Zeit“ soll der Dringlichkeit drastischer Klimaschutzmaßnahmen, einer „großen Transformation“ Nachdruck verliehen werden.

Der Klimaforscher Hans von Storch hat hierzu kürzlich in dem Aufsatz „Klimaforschung und Politikberatung – zwischen Bringeschuld und Postnormalität“ in der sozialwissenschaftlichen Zeitschrift Leviathan einige bemerkenswerte Aussagen gemacht und damit einmal mehr auf ein heikles Thema in der gegenwertigen Melange von Klimawissenschaft und -politik aufmerksam gemacht:

„Was wissen die Wissenschaftler, die ja Experten in ihrem Gebiet sind, sonst aber Laien wie jeder andere auch, über die Gefahren? Oft ist es so, dass die wahrgenommenen Gefahren außerhalb des Expertenbereichs des jeweiligen Wissenschaftlers liegen, d. h. auch der Experte operiert mit kulturell konstruiertem Wissen, nicht aber wie die betrachtende Öffentlichkeit glaubt, mit wissenschaftlich konstruiertem Wissen. Es ist also oft
nicht das beste Wissen, was zum Zuge kommt, sondern vielmehr beanspruchtes Wissen. Als Wissenschaft verkleidete Deutungs- und Machtansprüche.“

Weiter schreibt er über das Problem politischer Ambitionen der Wissenschaftler:

„Aber man kann natürlich auch versuchen, das eigene Thema, für das man Experte ist, in die Arena der öffentlichen Aufmerksamkeit zu katapultieren. Die dazu erforderlichen Attribute müssen dann hinzugefügt werden, etwa durch Übertreibung, durch nichtausgesprochene Assoziationen, durch Ausnutzung des kulturellen Konstrukts, also dessen, was die Öffentlichkeit ohnehin als richtig erkennt. Das „Waldsterben“ war ein nach diesem Muster konstruiertes Thema.“

Er hat erhebliche Zweifel, ob dieses Vorgehen der legitimen Aufgabe der Wissenschaft entspricht:

„Im Tagesgeschäft ergeben sich viele Möglichkeiten sowohl für den Einzelnen wie für mächtige Wissenschaftsorganisationen, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich zu ziehen. Aber es bleibt ein gewisses Nagen des Gewissens, dass diese Praxis eben nicht das sein kann, was wir ungenau mit „gute Naturwissenschaft“ umschreiben, wo es das Argument, die kritische Nachfrage, der kluge Test, die unkonventionelle Idee jenseits des geltenden Paradigmas ist, die den Fortschritt bewirken und nicht die Nützlichkeit zur Durchsetzung einer als richtig wahrgenommenen oder beschriebenen Politik.“

Offenbar gefällt sich die derzeitige Klimawissenschaft in einer Rolle, die mehr als neutrale wissenschaftliche Beratung beinhaltet. Vielmehr übernimmt die wissenschaft hier die Funktion des „wissenschaftlichen Anwalts“,

„…der seine wissenschaftliche Kompetenz nicht zur unvoreingenommenen Fortschreibung des Wissens einsetzt, sondern zur Förderung einer wertorientierten, das heißt auch politischen Agenda. Dies bedeutet, dass Folgen wissenschaftlicher Einsicht verengt werden auf wenige, oder gar nur eine, wertkonsistente „Lösung“. Gerade die letzten Jahrzehnte haben viele Wissenschaftler dieses Typs hervorgebracht, die für wirtschaftliche oder (gesellschafts-)politische Interessen arbeiten und sprechen.“

Für die Politik ergibt sich aus einer „parteiischen Wissenschaft“ eine bequeme Situation, gerät sie doch so in einen selbst gewünschten Sachzwang, nach dem sie gemäß wissenschaftlicher Analyse nur eine, und zwar die ohnehin präferierte Entscheidung treffen kann. Die Politik gefällt sich, so Hans von Storch, in ihrer als der Wissenschaft nachgeordneten Rolle und beugt sich beispielsweise dem von der Wissenschaft zur Vermeidung der Klimakatastrophe als ultima ratio dargestellten Zwei-Grad-Ziel, wohl wissend, dass damit dem präferierten klimapolitischen Instrumentenkasten von vorn herein die Absolution erteilt wird. Nicht die Politiker sollen also von einem vermeintlich dringlichen Handlungsbedarf überzeugt werden, sondern beim Wähler soll der Eindruck erzeugt werden, dass besorgte Wissenschaftler die Politiker vor sich her treiben. Tatsächlich wird aber eine Fassade aufgebaut, die dem fertigen politischen Fahrplan einen demokratischen Anstrich des Volkswillens verpasst. Hans von Storch fügt hinzu:

„Der Politik nützt dieser Vorgang, kommt sie doch einfacher zu Entscheidungen, aber die Wissenschaft wird beschädigt, da sie politisiert wird. Dies ist keine nachhaltige Nutzung der Ressource „Wissenschaft“, deren soziale Dienstleistung, Deutung von komplexen Sachverhalten zu geben, in der öffentlichen Wahrnehmung dann kaum noch von der politischen Information von Interessenverbänden unterscheidbar wird.“

Doch was sollte die normativ richtige Funktion der Wissenschaft sein? Der Autor bezieht sich auf die Empfehlungen des amerikanischen Politikwissenschaftlers Roger Pielke Jr. („The Honest Broker“, 2007) und rät den Wissenschaftlern die Position des „ehrlichen Maklers“ einzunehmen der die Bandbreite der Folgerungen aus seinen Erkenntnissen verbreitert und nicht eineng, der es dem politischen Prozess damit ermöglicht gesellschaftlich gewollte Lösungen auszuwählen. Der Politik gibt er auf den Weg, nur von den jeweiligen  Fachdiziplinen lösbare Fragen an die Wissenschaft zu stellen, statt der eigenen Verantwortung vor gesellschaftlich und normativ schwer zu lösenden Entscheidungen auszuweichen.

"Schuster, bleib bei deinem Leisten", wäre auch für die moderne Klimaforschung eine wünschenswerte Richtlinie. Zum einen würden sich die Wissenschaftler auf das Feld konzentrieren, auf dem sie tatsächliche Expertise aufweisen. Zum anderen würden sie die ihnen zur Verfügung stehenden öffentlichen Mittel für die Erforschung des Klimawandels und menschlicher Anpassungsmöglichkeiten verwenden und nicht für den aufwendigen Prozess politischer Einflussnahme verschwenden. Schließlich gilt es auch in der Wissenschaft mit knappen Mitteln so viel wie möglich nutzbaren Output zu erreichen. Und nicht zu letzt bliebe dem ehrlichen Wissenschaftler der Reputationsverlust erspart, den er sich einhandelt, wenn ideologiegetriebenes Geschacher im Forschungsbetrieb an das Licht der Öffentlichkeit gelangt.

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