Die Babyboomer

Eine gescheiterte Generation?

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Hat unsere Generation versagt? Gemeint ist die Generation der Babyboomer, die anlässlich des Tods von Steve Jobs auf diesen Seiten Manfred Messmer so beschrieben hat: „Für mich war Steve Jobs DER Babyboomer schlechthin. Zum einen haben wir das Privileg, in einer der prosperierendsten und friedlichsten Zeiten zu leben, die unser Kulturkreis je erlebt hat. Und zum anderen ist ein zentraler Impuls dieser Generation, sich das Leben so komfortabel wie möglich einzurichten, mit schier unbegrenzten, individuellen Gestaltungsfreiheiten. Design your life – was nicht gleichzusetzen ist mit protziger Völlerei. Vielmehr ist die Freiheit gemeint, sich sein Leben ‚reduced to the max‘, wie ein anderer Babyboomer dieses Lebensgefühl auf den Punkt getextet hat, zu gestalten. Steve Jobs ist das Exempel.“

Nun hat der Kulturuhu Frank Schirrmacher heute in der FAS („Der Sturz der Babyboomer“) anlässlich des Abgangs von Christian Wulff genau diese, ich nenne es mal freundlich: Bequemlichkeit als eine entscheidende Schwäche dieser Generation diagnostiziert. Es handelt sich um die Geburtsjahrgänge von 1955 bis 1965, also um die zur Zeit „faktisch die meinungsbildende Mehrheit in Deutschland“ bildende Generation.

Nicht ganz ohne Grund nennt er diese Generation eine "erschöpfte", die es liebt, den Bettel früh hinzuschmeissen; politisch sei eine „unglaubliche Erschöpfungsgeschwindigkeit“ festzustellen - und er nennt eine ganze Reihe von politischen Frührentnern wie Wulff, die abgetreten sind, als zähe Ausdauer angesichts der sich wandelnden und schwieriger werdenden Welt gefordert war. Für das, was in den letzten 20, 25 Jahren passiert ist, für den Scherbenhaufen, vor dem wir alle jetzt stehen, muss ja irgend jemand die Verantwortung tragen: Wer hat in diesen Jahren die Verantwortung gehabt?

Was Messmer so euphorisch lobte (und von mir gleich skeptisch kommentiert wurde); sieht Schirrmacher so: „Diese Generation ist damit, im Westen, die erste Generation, die im klassischen Sinne nichts ‚durchsetzen‘ musste. Der Markt regelte das für sie.“ Und: „Ihre Skepsis gegenüber Ideologien war wohltuend, aber nur, solange man nicht bemerkte, dass dahinter die Abwesenheit von Ideen überhaupt stand.“ Schliesslich: „Die einzige relevante politische Idee, die sie hervorgebracht hat, ist der Neoliberalismus.“ Jetzt wird diese Generation gezwungen sein, sich im Kampf um ihre Rente durchzusetzen.

Widerstand von der nachfolgenden Generation? Bisher Fehlanzeige. Erstens ist diese zahlenmässig kleiner (ein Novum); zweitens ist sie diejenige Generation, die so angepasst wie kaum je eine vorherige ist. Oder noch härter gesprochen handelt es sich, nach der Generation der Urgroßeltern, die Deutschland erst einmal wieder aufgebaut haben, der Großeltern, die den Wohlstand erworben haben, den Babyboomern, die ihn genossen haben, um diejenige Erbengeneration, die den Wohlstand jetzt verjubeln wird. Sie tut das vollkommen unsentimental. Sie kennt ja nichts anderes. Die Auseinandersetzung mit den Eltern kommt erst noch. Auch sie wird unsentimental geführt werden.

Schirrmacher, der ja selbst zu der Generation der Babyboomer gehört, dies auch betont, manchmal argumentativ herumeiert und sicherlich auch ungerecht ist, sieht das politische Projekt seiner Generation in Trümmern. Wichtigster Grund: Er vermisst „Ideen“. Das scheint mir nicht richtig, und Schirrmacher gibt auch zu, dass seine Diagnose für Wirtschaft und Verwaltung, für Justiz und Wissenschaft nicht gilt. Was diese Generation aber tatsächlich weitgehend nicht hatte und hat, sind „Werte“. Entsprechend konnte sie ihren Kindern, also der kommenden Generation, auch keine weitergeben. Das merkt jeder heutzutage als Ausbilder tätige Mensch.

Jede Zeit sucht sich die zu ihr passenden historischen Gestalten. Darum gibt es keinen Grund für einen grundsätzlichen Pessimismus. Doch mag ich Schirrmacher insofern recht geben, dass es relative Unterschiede in der Qualität unterschiedlicher Epochen doch gibt. Historische Windstille, wie sie die alte Bundesrepublik, von den Besatzungsmächten wohlbehütet, genossen hat, fördert natürlich kein politisches Urgestein. Der Zustand der politischen Klasse heute ist dafür beredtes Zeugnis.

Für mich gibt es zwei Hauptgründe für die jetzige Misere. Da ist einmal die viel zu lang andauernde Totenstarre der Kohl-Ära, die unter „geistig-moralischer Wende“ lediglich verstanden hat, dass die öffentliche Doppelmoral, nämlich gegen Bereicherung und Korruption zu wettern, aber insgeheim sich zu bereichern und korrupt zu sein, ersetzt wurde durch den weit schlimmeren neoliberalen Einklang zwischen Behauptung und Tat: also die Erhebung von Geldgier und Bestechlichkeit zu öffentlich geachteten und im Bedarfsfall sogar gesetzlich geförderten Eigenschaften. Kritisiert wurde nicht mehr die entsprechende Tat, sondern die Dummheit, sich erwischen zu lassen. Die politische Agonie dieser Ära hat dem Primat des Marktes den Weg bereitet. Die Reformen der Schröder-Regierung waren eigentlich Projekte, die von Rechts wegen Kohl hätte initiieren müssen. Stattdessen hat Blüm bis zuletzt plakatiert: Die Rente ist sicher. Hartz-IV hat die SPD auf lange Sicht ruiniert, weil das nicht ihr genuines Projekt war. Und dass ausgerechnet die Grünen Deutschland in einen Krieg führen würden, hat auch diese Partei kompromittiert.

Unter dieser neoliberalen Glocke hat sich eine öffentliche Meinung herausgebildet, die keineswegs so entideologisiert war wie von Schirrmacher beschrieben: Politische Korrektheit, Ökologismus und Feminismus haben durch die links beherrschten Medien zu einer verlogenen Weltsicht geführt, die ebensowenig wie die offizielle Politik in der Lage war, den Problemen offen und vorurteilsfrei ins Auge zu blicken. Stattdessen hat man sich selbst verwirklicht.

Schirrmacher sieht „nach ungezählten Versprechen nur Leere“. Er sieht eine Chance in der aktuellen Situation: das „Ende einer totenähnlichen Erschöpfung“. Wer soll dieses Ende herbeiführen? Die weitgehend wertelose, angepasste Generation der Erben wird also seiner Meinung nach die Ärmel hochkrempeln. Davon, wie das aussehen könnte, bekommen wir schon einen Vorgeschmack. Die Massnahmen werden sich gegen die durch ihre „pure Masse zur sozialen und ökonomischen Last“ werdende Rentnergeneration der Babyboomer richten: großzügige Sterbehilfe, keine Nierentransplantation ab 60, mindestens ein soziales Pflichtjahr ab 65 und so weiter.

Vielleicht wird die Boomer-Generation auch noch anders für ihren Solipsismus „bestraft“. Zum frühen Tod von Jobs nur dies, auch für die Gemeinde der Atomfreunde: Die Babyboomer gehören zu der Generation, die im Gras spielte, als der Fallout der überirdischen Atomversuche der USA, Frankreichs und Russlands auf die Wiesen niederging, ohne dass jemand das je gemessen hätte. Diese Generation wird kränker sein als ihre Eltern, und wenn sie deren Alter je erreichen wird, dann nur mühevoll und mit schmerzhafter Hilfe des medizinischen Fortschritts.

Es war vielleicht falsch, sein Leben so komfortabel wie möglich eingerichtet zu haben („Design your life“); was letztlich bedeutet, nur an sich gedacht zu haben, in einem ausufernden Individualismus. Natürlich trifft dieser Vorwurf nicht alle. Auch heute gibt es nicht Wenige, die „Werte“ wirklich leben und sie nicht vom Markt erwarten - wobei ich auch hier Schirrmacher widerspreche: „Autonomie“, „Freiheit“ und „Solidarität“ sind keine Ideen, sondern Werte. Aber vielleicht meint er das gleiche. Auch „Europa“ war einmal eine Werte-Gemeinschaft. Leider ist das heutige politische Europa nur für Juristen und Ökonomen konkret geworden: Die würden es gerne bis nach Wladiwostok und Mittelasien ausdehnen. Was wir von einer falschen Ausrichtung und einer Überdehnung haben, sieht man jetzt. Auch hier war es ein Fehler, nicht an „Werte“ gedacht zu haben. Woher diese kommen? Wer weiss, vielleicht ist ein Gottesbezug in der Verfassung nicht gar so absurd wie es Freidenkern und Linken erscheint. Es ist jedenfalls sprechend, dass man sich so vehement gegen jenen wehrt.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Hans von Atzigen

Das tragische an der Sache.
Nie zuvor in der Geschichte, konnte eine Generation auf eine solche Fuelle an Wissen zurueckgreifen.Das Wissen zur vermeidung der aktuellen Globalen Entwicklung stand ohne wenn und aber zur verfuegung. Diese Generation hat die teilweise exzelent zur verfuegung gestellten Warnungen und Anleitungen straeflich missachtet. Dies Generation ist im Ideologiemief der 68 iger Bewegung steckengeblieben bis zum heutigen Tag. Sie hat stur und borniert das Denken verweigert.
Eine nachhaltig gute Zukunft waehre grundsaetzlich moeglich gewesen, diese sture verweigerung des Denkens hat diese Zukunft verbraten.
Der Mensch lebt und muss mit seinem Biologischen Erbe leben.
Aber eben, nicht einmal fuer diese Erkenntnis hats greicht.
Schon gar nicht, damit bewusst und verantwortungvoll zu leben und zu handeln.
Desastroes tragisch.
Anmerkung:
Habe Jahrgang 1950 und musste mit wachsendem Unbehagen der Entwicklung zusehen gegen Denkverweigerung ist nun einmal kein Kraut gewachsen.
Die ,,Erbsuende,, der Menschheit.
(Hat mit Religion nichts gemein.)
Freundliche Gruesse an alle die sich dem Liberalen Denken nicht verweigert haben.

Gravatar: Konrad

Danke, Frank Martin! Sie haben toll und zutreffend geschrieben.
Nur schade, dass so wenige merken, wie degeneriert unser Staat inzwischen ist. Man lässt sich gern vom billigen Selbstlob der sogenannten Staatsdiener blenden und verzichtet auf eigenes Nachdenken, wie Sie das so trefflich tun.

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