Deutschland muss nachsitzen

Grundschulvergleiche allein bringen nichts. Man muss auch Konsequenzen daraus ziehen. Aber genau daran fehlt es.

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Jetzt wissen wir es wieder einmal schwarz auf weiß: Die Grundschüler in Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sind den Gleichaltrigen im restlichen Bundesgebiet weit voraus. Schlusslicht bilden mit großem Abstand – wie immer – die Stadtstaaten Hamburg, Bremen und Berlin. Teilweise liegen die Schüler in Berlin in ihrem Leistungsniveau nach der vierten Klasse ein ganzes Schuljahr hinter den Bayern zurück. Nichts Neues an der Bildungsfront, außer, dass es sich diesmal um einen rein deutschen Grundschulvergleich handelt im Auftrag der Kultusministerkonferenz, der jedoch die Ergebnisse, die wir aus den internationalen PISA-, IGLU- oder TIMSS-Tests kennen, letztendlich nur bestätigt. Irgendetwas machen manche Länder offenbar besser, was sich statistisch auch in der Bildung niederschlägt.

Es braucht engagierte Eltern

Ein weiteres Ergebnis ist eklatant: Die Schule schafft es kaum, den Bildungshintergrund der Eltern auszugleichen. Besonders schwierig wird es bei Kindern, deren beide Eltern einen Migrationshintergrund vorweisen. Das Sprechen der deutschen Sprache – gerade auch zu Hause – ist also wichtig für den Bildungserfolg der nachfolgenden Generationen. Es rächt sich bis heute, dass wir jahrzehntelang versäumt haben, darauf zu bestehen, dass Menschen, die dauerhaft in Deutschland leben wollen, auch unsere Sprache sprechen lernen müssen.

An dieser Stelle gibt es nur zwei mögliche Konsequenzen: Man kann die Schulen weiter stärken und unterstützen, was seit Jahrzehnten intensiv, aber weitgehend erfolglos versucht wird – oder man macht das Gleiche mit den Elternhäusern, in denen es nötig wäre. Den zweiten Punkt habe ich noch nirgendwo als offizielles Konzept gehört. Es ist das ewige Mantra, dass Schule und nur Schule den sozialen Hintergrund ausgleichen soll und muss – nach wie vor konnte es fast nirgendwo gelingen. Auch hier jedoch am ehesten in den Ländern, die sowieso Spitzenreiter in Sachen Bildung sind.

Es stellt sich die Frage, ob Schule jemals in der Lage sein wird, diese Unterschiede, die sich aus Herkunft, aber auch angeborenem Talent ergeben haben, auszugleichen. Wenn das Elternhaus aber doch so wichtig ist für den Lernerfolg, warum arbeitet unser Staat so massiv daran, Bildung noch weiter aus dem Elternhaus in die Krippen, Kitas, Kindergärten und Ganztagsschulen zu verlagern? Warum arbeiten wir nicht daran, dass Bildung zu Hause viel wichtiger und ernster genommen wird? Stattdessen gelten engagierte Elternhäuser gerne als Bildungsverweigerer und Verdummungsgaranten, wie uns die Betreuungsgelddebatte anschaulich vermittelt hat. Genau das Gegenteil ist der Fall. Kein Elternabend in der Grundschule der ersten Klasse kommt ohne die Binsenweisheit aus, dass Lesenlernen zu Hause unterstützt werden muss, dass es ohne die Eltern nicht geht. Doch anstatt das zu Hause zu unterstützen, beordern wir „Lesemütter“ in die Schule. Die Richtung stimmt nicht mehr.

Parallel stellt sich die Aufgabe, wie wir auf dem Weg, dass „kein Kind zurückgelassen werden darf“ – nicht als bösen Nebeneffekt zusätzlich verhindern, dass besonders Begabte vorneweg marschieren. Worte wie „Leistung“ oder gar „Elite“ sind in zahlreichen Bundesländern, die auf Gesamtschulen und längeres gemeinsames Lernen setzen, nicht gern gesehen. Eine Förderung der besonders Guten würde ja die Kluft zu den eher Schwächeren noch weiter auftun. Ein grauenhafter Gedanke für all die Einheitsschulenverfechter, die am liebsten alle Kinder von der ersten Klasse bis zum Schluss unter einem Dach unterrichten würden und an der Auflösung eines mehrgliedrigen Schulsystems arbeiten. Wer aber auf ein Mittelmaß und auf Nivellierung der Leistung als Erfolg setzt, hat gar kein Interesse daran, dass manche besser sind als andere. Niemand käme auf den Gedanken, im Sport auf einen Leistungsvergleich zu verzichten, oder es als Erfolg zu feiern, dass beim Hürdenlauf alle gleichzeitig die Ziellinie überqueren – warum also in der Schule?

Und besser sind auf jeden Fall diejenigen Kinder, deren Eltern an der Leistung ihrer Kinder Interesse zeigen. Wo die Eltern engagiert sind und auch die Zeit haben, sich um die schulischen Leistungen ihrer Kinder zu kümmern. Die sogenannten bildungsnahen Haushalte. Manchmal auch, wenn sie das Geld dazu haben – die boomende Nachhilfe-Industrie spricht Bände und wirft ein weiteres schlechtes Bild auf die Effizienz der Schulen in Sachen Bildungsvermittlung.

Doch selbst wenn man weiterhin auf die Schule als Bildungsgaranten setzt, ist in zahlreichen Ländern noch viel Luft nach oben. Getestet wurden jetzt also die Kenntnisse im Lesen, in Mathematik und im Verstehen durch Zuhören. Gender-Experten dürften übrigens wieder die Hände über den Köpfen zusammenschlagen: Die angeblichen Klischees, dass Mädchen besser lesen und Jungs besser rechnen können und das schon in der Grundschule, bestätigen sich in den Ergebnissen.

Dass Bildung in Deutschland Ländersache ist, erweist sich nicht als Vorteil, sondern in der Mehrheit der Bundesländer eher als Nachteil der Schüler. Denn obwohl man die Tendenzen, dass der Süden Deutschlands schulisch einfach bessere Leistungen erzielt, nun bereits seit Jahren hinlänglich kennt, scheint das Interesse, sich diese Erfolgsrezepte anzusehen oder gar zu kopieren, in anderen Bundesländern nicht gerade groß. Konsequenterweise ist die Reaktion der Lehrergewerkschaft GEW auch gewohnt lakonisch: Wie bei allen Studienergebnissen bisher, fordert man das Allheilmittel „mehr Personal“. Und natürlich den weiteren Ausbau der Ganztagsschule, als ob sich dahinter irgendein Erfolg verberge, den man nur herauszukitzeln brauche.

Schaut man sich den direkten Ländervergleich an, so sind es ganz andere Faktoren, die offenbar eine Rolle spielen, denn gerade Bayern, der Spitzenreiter, hinkt geradezu hinterher im Ausbau des Ganztagsschulbereiches. Dennoch produziert man dort Spitzenergebnisse. An der Ganztagsschule kann es also nicht liegen. Ganz im Gegenteil. Vielleicht bestätigt sich sogar die Vermutung, dass ein längerer Aufenthalt in der Schule nicht automatisch zum Lernerfolg beiträgt, dafür aber Lehrerkapazitäten bindet, die im normalen Regelunterricht besser zu gebrauchen wären. So stellte auch Josef Kraus, Präsident des deutschen Lehrerverbandes, Anfang Oktober eine „fortschreitende sozialpädagogische Überfrachtung“ des Lehrerberufes fest. Wörtlich sagte er: „Lehrkräfte leisten bereits heute mit großem Engagement eine Vielzahl von Aufgaben, unter anderem müssen sie sich fachlich stets auf dem Laufenden halten. Es geht aber nicht an, dass alle möglichen gesellschaftlichen Probleme und so manche Mängel der häuslichen Erziehung der Schule und der Lehrerschaft aufgehalst werden. Eine solche Überforderung der Schulen schmälert deren originären Auftrag, nämlich den Bildungs- und Qualifizierungsauftrag.“ Zu Deutsch: Wenn Erziehung gesellschaftlich von den Eltern auf die Schulen übertragen wird, bleibt eben weniger Zeit zum Lernen. Man könnte auch dies unter Binsenweisheiten ablegen, wenn es nicht so brisant wäre. Der gleiche Präsident war es allerdings auch, der vor wenigen Monaten noch von „Helikopter-Eltern“ sprach, wenn Eltern sich – nach seiner Meinung – zu sehr um den schulischen Erfolg ihrer Kinder kümmern. Wie man es macht, macht man es falsch.

Unter diesem Aspekt stellt sich übrigens auch die Frage nach dem Bildungsauftrag der Krippen und was dort überhaupt geleistet werden kann. Früher kamen Kinder erst in den Kindergarten, wenn sie sprechen, essen, sich anziehen, sich ausziehen und die Toilette benutzen konnten. Dies soll nun von den Krippen als Aufgabe komplett erledigt werden, wie viel Zeit für das, was tatsächlich unter „Bildung“ fällt, da noch bleibt, kann sich jeder mit gesundem Menschenverstand ausrechnen.

Mehrere Hundert Stunden mehr Unterricht

Vielleicht liegt das Erfolgsrezept mancher Länder auch sehr simpel daran, dass dort einfach mehr Unterricht und mehr Förderstunden stattfinden als in anderen Bundesländern. Teilweise haben Grundschüler in Bayern mehrere Hundert Stunden mehr Unterricht in ihrer vierjährigen Laufbahn als in anderen Bundesländern. Da lässt sich einiges lernen, möchte man meinen.

Und auch die Qualität der Lehrer ist dort möglicherweise eine andere. Die neue Studie zeigt, dass in zahlreichen Bundesländern Mathematik nicht von Fachlehrern unterrichtet wird, sondern von irgendwelchen Lehrern. Die Klassenlehrerin, die in allen Fächern unterrichtet, mag der Eingewöhnung in der Schule dienlich sein, ist aber dem Lernerfolg nicht unbedingt zuträglich. Während also in Bayern schon seit 30 Jahren auch Grundschullehrer eine Fachausbildung in Mathematik haben, wurde dies beispielsweise in Hessen gerade erst eingeführt. In Hamburg haben 48 Prozent aller Lehrer, die Mathematik unterrichten, kein entsprechendes Studium dazu, damit ist man negativer Spitzenreiter im Ländervergleich. In Bayern liegt der Anteil mathematischer „Laien“ nur bei rund 15 Prozent. Die Studie hat zudem ergeben, dass es einen Unterschied von bis zu einem Drittel Schuljahr ausmachen kann, ob ein „echter“ Mathelehrer unterrichtet, oder irgendein anderer. Bei lernschwachen Kindern liegt der Unterschied sogar bei einem ganzen Schuljahr. Dass also beispielsweise Hessen oder Hamburg am Ende des Rankings stehen, ist nicht eine Frage der Lehrerzahlen, sondern eine Frage ihres Könnens und Wissens. Selbst Baden-Württemberg steckt mehr Geld pro Kind in die Bildung als Bayern und liegt dennoch hinter Bayern zurück. Geld allein und mehr Lehrer allein machen es also nicht aus, es ist auch eine Frage der Effizienz. Und damit sind wir wieder bei der Leistung. Und zwar der Leistung der Lehrer und des Systems.

Die Lehrergewerkschaft hört auch das nicht gerne. Als Reaktion auf die neuen Studienergebnisse forderte sie nicht nur mehr Personal, sondern stellt als Krönung auch die Sinnhaftigkeit solcher Tests infrage. So sagt die Vize-Vorsitzende der GEW, Marianne Demmer: „Welchen Sinn hat es, wenn die Vergleiche immer wieder zeigen, dass dieselben Bundesländer an der Spitze stehen und dieselben Länder am Ende? Aber auch gut zehn Jahre nach dem PISA-Schock niemand sagen kann, warum das so ist! Völlig unerforscht ist auch, welche Maßnahmen ergriffen werden müssten, um die Qualität der Lernprozesse zu verbessern.“ Ja wirklich blöd, wenn immer die gleichen gewinnen. Nun Frau Demmer, es wäre ja ganz einfach, wenn sich alle Kollegen einmal anschauen, was in Bayern, Baden-Württemberg, Thüringen oder auch Sachsen anders gemacht wird und wenn man es dann auch in den anderen Bundesländern umsetzt. Stattdessen wird gerade in Berlin lieber experimentiert. Frühere Einschulung der Kinder, Grundschule bis zur sechsten Klasse, jahrgangsübergreifender Unterricht – was hat man nicht alles versucht, anstatt sich einmal dort umzusehen, wo es seit Jahrzehnten funktioniert? Man kann sagen, dass gerade die Stadtstaaten mit ihren Bildungsexperimenten komplett gescheitert sind.

Bremen brüstet sich zwar, den geringsten Anteil an Sonderschülern bundesweit zu haben, dafür ist es für normale Schüler nirgendwo in Deutschland schwieriger, einfach lesen zu lernen, als dort. Das muss einer Fachfrau doch zu denken geben. Und das, obwohl die Standards massiv gesenkt wurden. Musste ein Kind 1990 noch einen Grundwortschatz von 1.100 Wörtern vorweisen zum Ende der vierten Klasse, reichen heute schon 700 Wörter, um die Mindeststandards der Kultusministerkonferenz zu erreichen. Die Lage ist also genau genommen noch viel dramatischer, als die Zahlen es auf den ersten Blick erahnen lassen, denn die Standards werden kontinuierlich gesenkt.

Bildung bleibt Ländersache – und nichts ändert sich

Man kann sich in Berlin, Hamburg oder auch Bremen übrigens nach den neuesten Ergebnissen auch nicht mehr darauf herausreden, dass man ja einen hohen Migrantenanteil in der Bevölkerung und somit auch an den Schulen zu bewältigen habe und deswegen so weit zurück liege. Bislang immer ein gern genanntes Argument. Doch im Vergleich mit anderen Großstädten, die ähnliche soziale Gefüge haben, liegen Hamburg, Bremen und Berlin immer noch weit zurück. Es muss also auch das Bildungssystem im Ganzen sein. Beim Ländervergleich sind Städte ab 300.000 Einwohnern in einer eigenen Vergleichsgruppe versammelt, darunter auch Köln oder Stuttgart – mit einem sogar höheren Migrantenanteil als Berlin. Diese Städte schaffen es dennoch, sogar Kinder aus Familien mit zwei Migranteneltern besser zu beschulen. Die Studie zeigt auch, dass selbst Kinder aus bildungsnahen Akademikerhaushalten in Hamburg, Berlin und Bremen deutlich schlechter abschneiden als Schüler aus vergleichbaren Familien anderswo. Ein Akademikerkind in Berlin ist in Mathematik und Lesen einem Akademikerkind in Bayern um fast ein ganzes Schuljahr hinterher. Man schafft also nicht einmal in diesem unproblematischen Bereich mit bester Ausgangslage den Anschluss an den Rest der Republik.

Abschaffen, was gescheitert ist, und kopieren, was sich bewährt hat – die Lösung wäre sehr einfach, wenn man sie denn will. Doch solange Bildung Ländersache bleibt, wird sich daran nichts ändern. Zumindest in Sachen Abitur versuchen einige Länder eine einheitliche Prüfung ab 2014 einzuführen, was ein ehrlicher Stresstest wäre und eine Vergleichbarkeit des Bildungsabschlusses zumindest für manche Länder gewährleisten würde. Selbstredend kam von zahlreichen Gralshütern in den Bildungsministerien der Länder gleich Kritik an dem Vorschlag. Jeder hütet sein Konzept, damit ist es noch ein langer Weg dorthin, wohin es eigentlich selbstverständlich führen sollte: zu einer einheitlichen Bildung und vergleichbaren Schulabschlüssen für alle Schüler in Deutschland.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf TheEuropean.de.

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