Der Wandel der Talkshowzeiten

Mit den Talkshows haben sich auch die Anforderungen an Gast und Moderator verändert. Der Besuch beim Polit-Talker muss heute gut durchdacht sein.

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Ist der Euro noch sicher? Was bedeutet die No-Bail-Out-Klausel in Artikel 125 des AEU-Vertrags und deren eventuelle Verletzung? Wie können Notenbanken mit staatlich verordneten Ab- oder Aufwertungen von Währungen die Wettbewerbsfähigkeit einzelner Volkswirtschaften beeinflussen? Wie funktionieren Derivate und was sind Hedgefonds? Wodurch unterscheidet sich das Bruttosozial- vom Bruttoinlandsprodukt? Kann bei ständig steigender Produktivität kostenneutral die wöchentliche Arbeitszeit von 38 auf 30 Stunden gesenkt und können damit mehr Menschen in Lohn und Brot gebracht werden? Welche Wirkungen entfalten die vielfältigen familienpolitischen Leistungen und was bedeutet das Ehegattensplitting? Wie funktioniert der Gesundheitsfonds und wie begründet die katholische Kirche den priesterlichen Zölibat und die Sakramente?

Die 1980er-Jahre waren anders

Die Beantwortung derart komplexer Fragen eignet sich nur bedingt für Quizshows nach Art der von Marktführer Günther Jauch moderierten Sendung „Wer wird Millionär?“ (RTL). Sie sind aber Gegenstand zahlreicher Talkrunden, die seit Jahrzehnten auch in deutschen TV-Sendern populär sind. Besonders die öffentlich-rechtlichen Anstalten haben massiv aufgerüstet und bieten fast täglich mit einer bunten Mixtur von Themen- und Personality-Formaten viel Raum für belangloses Geplapper und boulevardeskes Getratsche, werbliche Bühnen für Bücher, CDs, Filme und Tourneen, aber auch ambitionierte politische Debatten.

Wurden Talkgäste in den 1980er-Jahren mitunter noch handgreiflich, gingen aufeinander los und sich auch mal wie bei der dienstältesten ARD-Sendung „3 nach 9“ an die Wäsche, so degenerierten Formate wie „Der heiße Stuhl“ (RTL) in der ersten Hälfte der Neunziger immer mehr zu Brüll- und Anbrüllorgien, bei denen ungebremste Emotionalität bis hin zu blankem Hass und unverhohlener Häme dominierten. Moderatoren und als Animatoren getarnte Einpeitscher hetzten die Talkgäste gleich Gladiatoren aufeinander und warfen sie einem gaudi- und sensationslüsternen Publikum zum Fraß vor.

Auch heute noch wird dem Saal- und dem TV-Publikum vor dem heimischen Bildschirm suggeriert, die Sendung inklusive nachfolgendem Faktencheck besorge eine hinreichende Wissensgrundlage, um richtig und falsch einordnen, gerecht und ungerecht beurteilen und sogar über gut oder böse ein moralisch fundiertes Werturteil sprechen zu können. Mit Günther Jauch, Reinhold Beckmann, Johannes B. Kerner, Anne Will und Maybrit Illner kamen und kommen auch bei ARD und ZDF Talkmaster zum Einsatz, die bereits bei der Moderation von Sportveranstaltungen und -magazinen und in großen Arenen viel Erfahrung gesammelt haben.

Die Grenzen zwischen sensationsträchtiger Skandalisierung, erläuterndem Journalismus, aufklärender Pädagogik und bewusstseinsverändernder Propaganda verwischen sich. Zwischen der pädagogischen Anweisung „viel Freude bei der Verdoppelung der gewonnenen Einsichten“ (Maybrit Illner) über alberne Schlussfragen wie die, welcher Talkgast nun mit welchem anderen aus welchem Grund gern auf eine einsame Insel reisen würde (Frank Plasberg); bis hin zu der belanglosen Aufforderung „bleiben Sie heiter, irgendwie“ (Maybrit Illner) reicht die Palette der finalen Sprüche in vielen Sendungen.

Die Versuchungen des Entertainments

Unaufdringlicher beendete Ulrich Wickert mit seinem „ich wünsche Ihnen eine geruhsame Nacht – das Wetter“ die von ihm 15 Jahre lang bis 2006 moderierten ARD-Tagesthemen. Aber auch der Kult-Moderator changierte in dem Nachrichtenmagazin oftmals zwischen dem Dolus, Gutmensch und Weltverbesserer zu sein, und einem angelsächsisch geprägten Journalismus mit mehr Distanz zu den Sub- und Objekten der Berichterstattung und einer angenehm empfundenen Enthaltsamkeit bei Werturteilen. Sein Bestseller-Buchtitel „Der Ehrliche ist der Dumme“ bringt dieses dialektische Dilemma auf den Punkt.

Allzu oft erliegen Journalisten und Moderatoren im Zeitalter des Infotainments den mit der Kombination von erforderlicher Informationsvermittlung und gewünschtem Entertainment einhergehenden Versuchungen. Auf der Jagd nach und unter dem Druck der „Quote“ bleibt oft auch die Qualität auf der Strecke. Intellektuell geprägte Interviewformate wie „Zur Person“ oder „Zu Protokoll“ mit einem feinsinnig nachfragenden Günter Gaus, die ebenso wie der vom ZDF von 1977 bis 1984 ausgestrahlte Polittalk „Die Bonner Runde“ mit dem belesenen Johannes Gross viel Reputation genossen, trauen sich die quotengeplagten Programmdirektoren ihrem auf eine vermeintliche Oberflächlichkeit getrimmten Massenpublikum nicht mehr zuzumuten.

Vergleichbare Formate verschwinden auf Phoenix, 3Sat und arte. Ärgerlich auch, dass es zudem oft an journalistischer Professionalität hapert. Selbst in den Journalistenschulen werden allenfalls die Grundformen der „offenen“ und „geschlossenen“ Fragen und deren Wirkweisen gelehrt; dass es zudem gut zwei Dutzend weitere Fragetypen gibt und wie diese in unterschiedlichen Situationen bewusst eingesetzt werden können, ist offenbar sogar vielen der hoch dotierten Profis in Hörfunk und TV unbekannt.

Will man aber als Talkgast beim Auftritt in der Öffentlichkeit und den Medien eine gute Figur machen, dann gilt es zunächst klug abzuwägen, welches Format für die Positionierung eines Themas und die Profilierung einer Persönlichkeit geeignet ist. Ein Interview oder auch eine Kreuzfeuer-Sendung wie „Was nun…?“ (ZDF) bietet mehr Raum für eine differenzierte Sachdarstellung als eine eher zu erregten Debatten animierende Talkplattform mit mehreren Talkgästen und Saalpublikum. Eine Kanzlerin, ein Topmanager oder ein Bischof gehören auch nicht in eine Arena, die weniger auf Zuhören und reflektierendes Nachdenken, denn auf hitziges Debattieren ausgelegt ist. Setzt man sich aber bewusst dem Rampenlicht einer Talkbühne aus, dann sind eine intensive Analyse der Sendung und des Fragestils des Moderators das A und O einer guten Vorbereitung.

Auftakt und Positionierung

Neben der Definition von komplizierten Begriffen in kurzen und nachvollziehbaren Formulierungen und Thesen gehört die in originell formulierten Statements mit pointierten Hauptbotschaften aufbereitete eigene Position zu dem Set, das vor dem Auftritt eingeübt werden muss. Eine griffige Argumentation mit plastischen Metaphern, die, mit stimmigen Bildern inszeniert, beim Publikum ein „Kopfkino“ initiiert, gehören ebenso wie prägnante Beispiele, angemessene Vergleiche (ohne Rückgriffe auf Kriegs- oder gar Holocaust-Begriffe) und illustrierende Anekdoten zu einer erfolgversprechenden Vorbereitung. Schließlich sollte auch das Outfit mit dem Studiodesign abgestimmt sein und eine günstige Sitzposition in der Nähe des Moderators vereinbart werden.

Nach der Eröffnungsrunde gilt es, die Diskussion mit Engagement mitzugestalten, sich aber aus Schlammschlachten herauszuhalten und mit Contenance eine authentische Souveränität zu bewahren. Dabei können Allianzen mit anderen Diskussionspartnern gebildet, Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausgearbeitet, aber auch Fehler zugegeben und Irrtümer eingestanden werden. Den Moderator anzugreifen, ist zumeist ungeschickt und bringt auch das Publikum auf die Barrikaden; stattdessen ist empfehlenswert, „bei sich zu bleiben“ und um Fairness zu bitten. Zum Abschluss die eigene Position noch einmal in einem Fazit oder Ausblick mit einem Appell und mit einer bewusst versöhnlichen Tonalität zu präsentieren, kann bewirken, dass auch der Auftritt in einer aufgewühlten Talkarena die Zuschauer zumindest zum Nachdenken anregt – damit ist dann schon viel gewonnen und ein Einsatz lohnenswert.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst auf TheEuropean.de.

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