Der Untergang der Universität

 

Ideologen, Bürokraten und Manager beherrschen die akademische Welt

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Der Philosoph Norbert Bolz hat im „Focus“ einen interessanten Artikel unter dem Titel „Unsere Universitäten sind zerstört“ geschrieben. Die deutsche Universität ist zu einem bürokratischen Apparat geworden. Der Humboldtsche Geist hat sie völlig verlassen.

Nach Bolz haben zwei gut gemeinte Utopien die deutsche Universität zerstört. Die erste ist „die Demokratisierung von Lehre und Forschung durch Mitbestimmung und Gruppenuniversität“. Mehr Demokratie bedeutet in seinen Augen immer mehr Bürokratie. Warum das zwingend so ist, wird von ihm allerdings nicht weiter ausgeführt. Muss mehr Demokratie immer mehr Bürokratie bedeuten? Lassen sich nicht demokratische Modelle etablieren, die ohne einen übertriebenen bürokratischen Aufwand auskommen könnten?

Bolz betont, dass es im politischen Leben keine vernünftige Alternative zur Demokratie gibt. An den Universitäten sollten jedoch andere „Gesetze“ als in der Politik gelten. Mit Max Weber fasst er das Studium als eine „geistesaristokratische Angelegenheit“ auf. Damit meint er zurecht, dass herausragende wissenschaftliche Ideen Produkte einzelner Wissenschaftler sind und nicht durch demokratische Entscheidungsprozesse gewonnen werden. Hier müsste Bolz jedoch mehr differenzieren. Die Organisation des akademischen Lebens, der Lehre und der Forschung, die nach demokratischen Prinzipien durchgeführt werden kann, und die geistige Arbeit beziehungsweise die Ideenproduktion, die nicht demokratisch vonstatten geht, sind zwei verschiedene Dinge.

Die zweite gut gemeinte Utopie kam von der EU und ist mit dem Namen „Bologna“ verbunden. Nach Bolz ist die Folge des Bologna-Prozesses eine „Verstaatlichung des Geistes“: „Die Universität verwandelt sich immer deutlicher in eine Welt der Drittmittel und Gefälligkeitsgutachten.“ Aus Dekanaten sind „Service-Center“ geworden. Wissenschaftler werden immer mehr zu Wissenschaftsmanagern, die wissenschaftliche Ressourcen verwalten und Dienstleistungen anbieten.

Bolz beklagt ferner die „Verschulung der Universität“. Studenten lernen statt sich zu bilden. Die Berufsausbildung ist wichtiger als die Bildung. Das Humboldtsche Bildungsideal, das die deutsche – und nicht nur die deutsche – Universität so lange positiv geprägt hat, geht dabei unwiederbringlich verloren.

Zu den Gewinnern des Bologna-Prozesses zählen die Verwaltung und die Wissenschaftsfunktionäre in den Gremien. Gewinner sind aber auch die Professoren, die sich als Service-Anbieter sehen. Die Hauptgewinner des Bologna-Prozesses sind aber die Ideologen, die Bolz als die „politisch Korrekten“ bezeichnet: „Sie haben den Politikern erfolgreich eingeredet, Universitäten seien pluralistische Institutionen, die nach Proporz und Quote besetzt sein müssten. Das neue Stichwort ´Diversity` heißt nämlich nichts anderes als: Bevorzugung bestimmter politisch organisierter Gruppen. Die ideologische Färbung eines Bewerbers wiegt viel schwerer als seine Qualität. Vor allem die Freiheit der Berufung ist durch die Gleichstellungspolitik und Quotierung radikal beschnitten worden. Und so ist ein neuer Typus entstanden: die Quotenfrau, die stolz auf sich ist.“

Viele Professoren reagieren auf diesen Prozess mit innerer Emigration oder einer Flucht in außeruniversitäre Bereiche. Bolz schlägt vor, wieder an Humboldt anzuknüpfen. Das Ideal der Wissenschaft sollte wieder die „Freiheit von Forschung und Lehre“ sein. Die gesellschaftliche Aufgabe der Universität wäre, „Geistesgegenwart bereitzuhalten“. Der „lebendige Geist“ sollte an den Universitäten herrschen.

Außerdem möchte er, dass sich die Verantwortlichen in der Wissenschaft von einer Paradoxie inspirieren lasen: „Je mehr Chancengleichheit wir für Schüler und Studenten erreichen, desto deutlicher werden Unterschiede in den Leistungsniveaus.“ Sowohl beim Studium als auch bei den Professuren sollten die Besten zum Zug kommen. Nicht die politische Gesinnung, sondern einzig und alleine die Leistung sollte zählen. Dem kann ich nur zustimmen. An den Universitäten sollte das Prinzip der besseren individuellen Qualifikation herrschen. Das Prinzip besagt: Eine wissenschaftliche Stelle sollte diejenige Person erhalten, die für diese Stelle am besten qualifiziert ist, und zwar unabhängig von Nationalität, Ethnie, Geschlecht, Hautfarbe, Parteizugehörigkeit, Religionszugehörigkeit und sexueller Orientierung.

Als ein Gegenbild zu dem gegenwärtig an den Universitäten herrschenden Ungeist und als ein Vorbild für die Wissenschaft möchte ich abschließend die Haltung des russisch-jüdischen Mathematikers Grigori Perelman schildern. Perelman ist ein Genie. Er hat ein mathematisches Jahrtausend-Problem gelöst: die Poincaré-Vermutung. Er publizierte im Jahre 2002 die Lösung des Problems nicht in einer Fachzeitschrift, wie es die Zunft verlangt, sondern im Internet. Perelman lehnte 2006 die ihm dafür verliehene Fields-Medaille ab, die als eine Art Nobelpreis für Mathematik angesehen wird. Auch den mit einer Million Dollar dotierten Millenium-Preis des US-amerikanischen Clay-Instituts lehnte er 2010 ab. Er fand die Entscheidung ungerecht. Ein amerikanischer Kollege hatte seiner Meinung nach genauso viel zur Lösung des Problems beigetragen.

Perelman lebt zur Zeit bei seiner Mutter in Sankt Petersburg und ist arbeitslos. Er möchte mit dem akademischen Betrieb nichts zu tun haben. Perelman lehnt Geld, akademische Privilegien und Ruhm ab.

Deutsche Systemmedien wie „Spiegel“, „Bild“ und „Handelsblatt“ haben ihn als „Einsiedler“, „Kauz“ und „Exzentriker“ bezeichnet. John Ball, der Präsident der Internationalen Mathematischen Union, sagte nach einem Gespräch mit Perelman: „Er hat eine etwas eigene Psychologie, aber das macht ihn auch interessant. Ich fürchte aber nicht um seine geistige Gesundheit.“ Klar, einer, der Preisgelder und Privilegien ablehnt, wird von den Vertretern der Systempresse und von den Entscheidungsträgern der Wissenschaft als ein Verrückter betrachtet.

Perelmans Verachtung des akademischen Betriebs, seine Selbstlosigkeit, Ehrlichkeit, Liebe zur Wahrheit und nicht zuletzt seine interessenlose Hingabe an die Wissenschaft machen ihn zu einem wahren Vorbild.

 

Der Artikel von Norbert Bolz:

www.focus.de/wissen/campus/tid-20475/debatte-unsere-universitaeten-sind-zerstoert_aid_565407.html

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