Der Umgang mit den Sozialversicherungen

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Rentenversicherung, Gesundheitsversicherung, Arbeitslosenversicherung, später auch die Pflegeversicherung, der Bundeshaushalt und die diversen Nebenhaushalte waren und sind eng miteinander verbunden, obwohl das eigentlich nicht so sein wollte. Bei privaten Versicherungen ist es in der Regel nicht so, dass sich die Versicherungen untereinander subventionieren sollten. Die Leistungen einer Lebensversicherung sollten nicht deshalb gekürzt werden, um die Beiträge zur Feuerversicherung senken zu können, die Berufsunfähigkeitsrente sollte von der Versicherung nicht für die Finanzierung ihrer Defizite in der Unfallversicherung gekürzt werden dürfen. Im deutschen Sozialversicherungssystem ist diese Quersubventionierung und die Verschiebung von Lasten zwischen den Versicherungen und den verschiedenen Haupt- und Nebenhaushalten eher die Regel als die Ausnahme. Das geschieht in der Regel nach einem einfachen Prinzip: Lasten werden in den Teil der Sozialversicherungen geschoben, wo die geringsten Widerstände erwartet werden. Die Verschiebebahnhof eröffnet verschiedene Möglichkeiten. Arbeitslosengeld wurde verlängert um die Kosten der Arbeitslosenhilfe zu senken. Der Bundeshaushalt kürzt seinen Zuschuss zur Bundesanstalt, wodurch die Neuverschuldung des Bundes sinkt und sich das Defizit der Bundesanstalt erhöht. Die Zahlungen der Rentenkasse an die Krankenkassen wurden gesenkt, was wiederum Kürzungen bei den Leistungen im Gesundheitsbereich nötig machte usw. usw. usw. usw.


Ein Beispiel dafür findet sich unter anderem im Zuge der Wiedervereinigung. Die Rentenversicherung verfügte im Jahr der Wiedervereinigung 1990 über Reserven von 33 Mrd. DM und einem Überschuss von 10 Mrd. DM. Das war die Folge des Wirtschaftsaufschwungs. Gleichzeitig wurde die Massenarbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern immer mehr zum Problem. Das belastete die Gesamtdeutsche Arbeitslosenversicherung erheblich. Dieser Umstand, eine finanziell notleidende Arbeitslosenversicherung und eine Rentenkasse, die Überschüsse abwarf und Reserven aufbaute, musste bei Lage der Dinge dazu verleiten, die eine Sozialversicherung für die andere in die Bresche springen zu lassen – wie das auch schon oft zuvor passiert war. Die politische Kalkulation lag auf der Hand. Ein Abbau der Rentenreserven würde für weniger Aufregung sorgen als eine Anhebung der Sozialversicherungsbeiträge. Was lag also näher als innerhalb der Sozialversicherungen so umzuverteilen, dass die Beitragszahler vorerst von höheren Beiträgen verschont blieben? Wegen der Arbeitslosigkeit im Osten musste der Beitrag für die Arbeitslosenversicherung erhöht werden. Diese Erhöhung konnte aber für die Beitragszahler kostenneutral gestaltet werden, indem der Rentenbeitrag entsprechend gesenkt wurde. Die Mindereinnahmen in den Rentenkassen würden wiederum durch das Aufzehren der Rentenreserven finanziert. Dies war nichts anderes als die Finanzierung der Arbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern durch die Überschüsse und die Reserven der Rentenversicherung. Die Arbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern wurde also kurz- und mittelfristig durch den Abbau der Rentenreserven bezahlt. Unterstützung für die neuen Bundesländer war notwendig, aber die Rücklagen der Rentenkasse waren dafür natürlich nicht gedacht.


Ich habe erwähnt, dass der Abbau der Rentenreserven die Reaktion auf die hohe Arbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern war. Es ist kennzeichnend für das deutsche Sozialversicherungssystem, das es sich in der Hauptsache auf den Faktor Arbeit verlässt. Die Lage auf dem Arbeitsmarkt schlägt deshalb schnell im Positiven wie im Negativen auf die Lage der Sozialversicherungen durch. Da die Lage auf dem Arbeitsmarkt wesentlich durch die Tarifparteien mit bestimmt wird, dürfen wir diese Interessengruppen nicht außen vor lassen, wenn wir über das Spannungsfeld der Interessen sprechen, in dem sich der deutsche Sozialstaat bewegt. Gewerkschaften wollen in der Regel möglichst hohe Löhne, Unternehmen wollen in der Regel Arbeitskämpfe vermeiden. Das führte dazu, dass es in der Vergangenheit nicht selten Tarifvereinbarungen auf Kosten Dritter, nämlich auf Kosten der Sozialsysteme gegeben hat. Gravierende und langfristige Folgen hatte das vor allem in der ersten Hälfte der siebziger Jahre und in ersten Hälfte der neunziger Jahre im Zuge der deutschen Einheit und des anschließenden Wiedervereinigungsbooms. Die kollektiv verbindliche Anhebung von Löhnen über Produktivitätsfortschritte hinaus, beschleunigten den Abbau besonders der Stellen für wenig qualifizierte Arbeitnehmer. Diese fielen aber in ein eng geknüpftes soziales Netz, was Druck von den Tarifparteien nahm. Der Unterhalt dieses Netzes verursachte aber immer höhere Kosten.


Die Regierung reagierte in beiden Fällen darauf, indem finanzielle Reserven abgebaut und die Staatsverschuldung zur Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme massiv erhöht wurde. Die Logik dahinter ist einfach: Die Erhöhung der Staatsverschuldung und das Abtragen vorhandener Reserven ist aus der Sicht der Politik erst einmal eine relativ schmerzfreie Methode auf diese Herausforderung zu antworten. Es gibt keine gesellschaftliche Großgruppe, die das direkt auf ihrem Konto zu spüren bekommt. Die Erhöhung von Steuern und Abgaben oder die Kürzung von Leistungen spüren die Menschen hingegen sehr schnell. Längerfristig höhlen sowohl die offizielle Verschuldung, sowie auch die nicht gedeckten Zahlungsversprechen wie die Renten- und Pensionsansprüche die Zukunftsfähigkeit nicht nur des Sozialversicherungssystems, sondern unseres Gemeinwesens im Ganzen aus.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: pirat

es mag unsinn sein, aber es ist eine Meinung, die toleriert werden sollte. Man wird doch wohl noch sagen können, was man denkt, auch wenn es einigen nicht passt

Gravatar: Menschenskind

So einen Unsinn, wie "pirat" das äußert, war selten auf diesen Seiten zu lesen.

Gravatar: pirat

einzig die staatliche Fürsorge sollte erhalten bleiben( vieleicht in abgespeckter Form) Die Privatversicherung hingegen ist ein Geschäft mit der Angst, ein Ablasshandel, der den fleißigen Menschen ihr gutes Geld aus der Tasche ziehen will

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