Der Tag, an dem Vater uns erzählte, dass er ein DDR-Spion sei

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Einem Drehbuchautor würde man diese Geschichte von Thomas Raufeisen, die das deutsch-deutsche Leben zu Zeiten des Kalten Krieges schrieb ,kaum abnehmen. Sie ist zu grotesk.
Ein Geologe aus der DDR verpflichtet sich, für die Staatssicherheit der DDR in den Westen zu flüchten, um dort Industriespionage zu betreiben. Er bringt seine Frau, die lieber in der DDR geblieben wäre, dazu, mit ihm zu gehen.
In Hannover beginnt das Paar ein gutbürgerliches Leben, bekommt zwei Söhne, die in einer westdeutschen Vorstadtidylle aufwachsen und keine Ahnung vom Doppelleben ihres Vaters haben.
Die Familie wird jäh aus ihrem Alltag gerissen, als der Vater nach Ostberlin zurück gerufen wird, angeblich, um einer bevorstehenden Verhaftung zu entgehen.
Raufeisen sen. lässt seine Frau und die beiden jugendlichen Söhne unter einem Vorwand in den Audi der Familie steigen. Die Söhne fallen aus allen Wolken, als der Vater ihnen auf einem Rastplatz an der Autobahn nach Berlin eröffnet, dass die DDR ihre neue Heimat werden müsste, weil er seit zwei Jahrzehnten Industriespionage für das sozialistische Deutschland betrieben habe.
Nun beginnt ein Albtraum, aus dem es lange Jahre kein Erwachen gibt.
Thomas Raufeisen schildert das Entsetzen eines 16-jährigen, dessen Welt aus den Fugen gerät und der sich auf einem fremden Planeten wieder findet, in dem er nicht heimisch werden kann, nicht heimisch werden will. Raufeisen sieht sich der Allmacht eines Systems ausgeliefert, das keine Skrupel kennt und jeden Widerspruch erstickt. Der Schock um so größer, weil der Verrat des Vaters an der Familie hinzukommt. Was geschah, um die Familie zusammenzuhalten, treibt sie auseinander.
Die Situation wird noch grotesker, als Raufeisen sen. Im Geologischen Institut, bei dem er jetzt arbeitet durch Zufall darauf stößt, dass die Erkenntnisse aus seiner Spionagetätigkeit in einer Schublade verrotteten. Er hatte seine Familie über Jahrzehnte umsonst gefährdet.
Die verzweifelten Versuche , der DDR legal oder illegal wieder zu entkommen, scheiterten vollkommen. Nur dem älteren Bruder, der bei seiner Einreise schon 18 Jahre alt war , gelang es nach Monaten, seine Ausreise zu erzwingen.
Der Rest der Familie landete vor dem Militärstaatsanwalt wegen angeblicher feindlicher Spionagetätigkeit. Lebenslänglich für den Vater, sieben Jahre für die Mutter, drei Jahre für den Sohn. Sie kommen nach Bautzen II, wo Mutter und Sohn ihre Strafe voll absitzen müssen. Freigekauft werden sie nicht. Die Bundesrepublik hat an ihren Bürgern kein Interesse. Raufeisen sieht das mit Recht sehr kritisch. Verständlich, dass man sich nicht um einen Spion bemüht. Die Frau und der Sohn waren aber Bürger der Bundesrepublik, die ein Anspruch auf Hilfe gehabt hätten.
Der Vater hat den Hass seiner ehemaligen Genossen und das Desinteresse der bundesdeutschen Behörden nicht überlebt. Er starb unter ungeklärten Umständen während seiner Haft.
Das Buch ist ein gutes Mittel, um alle Ostalgie- Gefühle ad absurdum zu führen.

Beitrag erschien zuerst auf achgut.com

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