Der Staat als häßliches Monster

Viele Ansätze der Libertären regen zum Nachdenken an. Was aber abstößt, ist ihr oft naiver Glaube an eine glänzende Zukunft, wenn nur ihr Modell umgesetzt würde.

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Angesichts der derzeitigen Diskussion über die „Rettung“ des Euro sprechen viele Kritiker von einem Demokratiedefizit. Sie sind der Meinung, daß sich ein kleines Kartell aus sogenannten „Experten“, Spitzenpolitikern, Bankern und Lobbyisten über die Interessen des Volkes hinwegsetzt und eine bei den Menschen durchaus unpopuläre „Rettungspolitik“ exekutiert. Die beiden niederländischen Autoren Frank Karsten und Karel Beckman beschreiten einen anderen Weg. Aus libertärer Sicht schreiben sie, daß das demokratische Prinzip in eine Sackgasse führe.

Damit brechen sie ein Tabu, denn Demokratie gilt vielen per se als gut. Trotzdem lohnt sich eine Auseinandersetzung mit ihren Thesen, auch wenn die Verfasser erkennbar im Elfenbeinturm beheimatet sind. Karsten und Beckman sind Idealisten, und Idealisten neigen dazu, vermeintlich einfache Lösungen zu präsentieren. Doch der Reihe nach.

Demokratie ist Sozialismus durch die Hintertür

Nach Auffassung der Autoren ist Demokratie Sozialismus durch die Hintertür. Demokratie sei nicht gleichzusetzen mit Freiheit, denn sie sei eine Form der Diktatur – „der Diktatur der Mehrheit und des Staates“. In ihrem schmalen Büchlein vertreten sie den Anspruch, zunächst 13 Mythen der Demokratie zu entlarven. Demokratie sei nicht alternativlos: „Zum Glück gibt es einen anderen Weg, auch wenn es vielen Leuten schwerfällt, sich ihn vorzustellen. Der Weg ist: weniger Demokratie. Weniger Staat. Mehr individuelle Freiheit.“

Anschließend überlegen sie, wie ein solches libertäres Ideal in der Praxis aussehen könnte. Konservative werden diesen Weg nicht mitgehen können, denn Karsten und Beckman halten den Nationalstaat und die parlamentarische Demokratie für ein Übel. Die westliche Welt brauche ein neues Ideal. Das unheilvolle Wirken der sogenannten „Neokonservativen“ in den USA hat gezeigt, daß wir weniger Idealismus, sondern mehr Realismus benötigen.

Wettbewerb der Regierungsstile

Mit einem gewissen Amüsement lesen wir, daß die beiden Verfasser einen Markt für Regierungsstile für denkbar halten. Die Leute erwarteten ja auch einen flexiblen freien Markt für Autos, Kleidung und Versicherungen. Warum sollten sie dann nicht von Fall zu Fall entscheiden, welcher Regierungsstil der beste wäre? Wie mit einem solchen Modell zum Beispiel eine Mittelmacht wie Deutschland regiert werden könnte, ohne ins Chaos abzudriften, bleibt das Geheimnis der Niederländer.

Natürlich darf auch das Modell Schweiz nicht fehlen, denn die Eidgenossen stünden für Dezentralisierung. Aber auch andere Modelle, die nicht parlamentarische Demokratien sein, könnten funktionieren. Hier erfolgt der Verweis auf Liechtenstein, Monaco, Dubai, Hongkong oder Singapur. Allen Ernstes wird die These vertreten, daß wirtschaftlich freie Zonen ein Modell für politisch freie Zonen sein könnten, „wo die Menschen mit verschiedenen Formen von Regierungsführung experimentieren können“.

Zum Glauben geht man in die Kirche

Wenn dann auch noch das anarchistische System von Wikipedia als Erfolgsmodell der digitalen Welt angepriesen wird, gerät man vollends ins Kopfschütteln. Denn bei Wikipedia tummeln sich viele eher links stehende Menschen mit enormer Tagesfreizeit, die „ihre Wahrheit“ verkünden. Konservative oder „Rechte“ haben es extrem schwer, mit einer fairen Darstellung bei Wikipedia zu rechnen. Insofern ähnelt dieses System eher einem linken Meinungskartell, das die Autoren ja eigentlich bekämpfen.

Viele Ansätze der Libertären regen zum Nachdenken an. Was aber abstößt, ist ihr oft naiver Glaube an eine glänzende Zukunft, wenn nur ihr Modell umgesetzt würde. Die zentralistischen und zwanghaften Aspekte der Demokratie resultierten in organisiertem Chaos, während individuelle Freiheit und die Dynamik des unorganisierten Marktes spontane Ordnung und Wohlstand hervorbrächten. Zum Glauben geht man in die Kirche – oder man liest libertäre Manifeste.

Menschen brauchen Ordnungen

Den Staat zeichnen Karsten und Beckman als „eigensüchtiges, übergriffiges Monster“. Er sei kein „wohlwollender Nikolaus“. Dies mag im Einzelfall so sein, doch generalisieren läßt sich dies nicht. Ein Plädoyer für ein Recht auf Sterbehilfe hört sich vielleicht zunächst gut an – doch Libertäre blenden aus, daß hierdurch auch der Euthanasie Tür und Tor geöffnet werden könnte.

Menschen brauchen Ordnungen. Ihre Freiheit und ihr Eigentum müssen geschützt werden, doch zurzeit ist es jedenfalls so, daß dieser Schutz in einer parlamentarischen Demokratie und im Nationalstaat am besten gesichert ist. Und so besteht die akute Gefahr eher darin, daß Brüssel immer mehr Macht an sich zieht und die demokratische Entscheidungsfindung auf nationaler Ebene Schritt für Schritt aushöhlt. Der von den beiden Autoren geforderte Demokratieabbau findet schon statt – dies ist nämlich das tägliche Werk unserer „Rettungseuropäer“, die Völker und Nationalstaaten für lästig halten und ein häßliches Monster in Brüssel geschaffen haben.

Frank Karsten/Karel Beckman: Wenn die Demokratie zusammenbricht. Warum uns das demokratische Prinzip in eine Sackgasse führt. FinanzBuch Verlag/Edition Lichtschlag: München 2012. 189 Seiten. 14,99 Euro.

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