Der Sozialismus als Heilslehre

Im großen und ganzen haben die Sozialisten sich um die wissenschaftliche Erörterung der Vorzüge und Nachteile der beiden denkbaren Systeme der gesellschaftlichen Produktion kaum gekümmert. Sie haben das sozialistische Programm als Heilslehre verkündet.

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Der Ökonom Ludwig von Mises (1881–1973) hat schon 1919, als der Marxismus noch ungeheuer populär war (Anfang des Jahres erschien z.B. in Österreich, Mises Heimat, Otto Bauers Der Weg zum Sozialismus), den Sozialismus als Heilslehre entlarvt, die langfristig nicht funktionieren kann. (Siehe auch diesen Beitrag von Carlos A. Gebauer.) Hier ein Abschnitt aus Nation, Staat und Wirtschaft. Beiträge zur Politik und Geschichte der Zeit, Wien 1919, S. 170–171:

„Der moderne Sozialismus tritt in der Propaganda nicht als rationalistische Forderung auf; er ist eine wirtschaftspolitische Partei, die sich als Heilslehre nach Art der Religionen gibt. Als wirtschaftspolitische Idee hätte er sich mit dem Liberalismus geistig messen müssen, hätte versuchen müssen, die Argumente seiner Gegner logisch zu entkräften und ihre Einwände gegen seine eigenen Lehren abzuwehren. Einzelne Sozialisten haben das auch getan. Doch im großen und ganzen haben die Sozialisten sich um die wissenschaftliche Erörterung der Vorzüge und Nachteile der beiden denkbaren Systeme der gesellschaftlichen Produktion kaum gekümmert. Sie haben das sozialistische Programm als Heilslehre verkündet. Alles irdische Leid haben sie als Ausfluß der kapitalistischen Gesellschaftsordnung hingestellt und von der Durchführung des Sozialismus die Aufhebung alles dessen, was schmerzt, versprochen. Für alle Mängel der Vergangenheit und Gegenwart machten sie die kapitalistische Wirtschaft verantwortlich. Im Zukunftsstaate wird alles Sehnen und Hoffen erfüllt werden, dort wird der Ruhelose Ruhe finden, der Unglückliche Glück, der Unzulängliche Kraft, der Kranke Genesung, der Arme Reichtum, der Entbehrende Genuß. Im Zukunftsstaate wird die Arbeit Vergnügen und nicht mehr Plage sein. Im Zukunftsstaate wird eine Kunst erblühen, von deren Herrlichkeit die ‘bürgerliche’ Kunst keine Vorstellung gibt, und eine Wissenschaft, die alle Rätsel der Welt restlos lösen wird. Alle Sexualnot wird schwinden. Mann und Weib werden sich wechselseitig ein Liebesglück schenken, das frühere Geschlechter nicht geahnt haben. Der menschliche Charakter wird eine durchgreifende Wandlung erfahren, er wird edel und makellos werden; alle geistige, sittliche und körperliche Unzulänglichkeit wird vom Menschen abfallen. Was dem germanischen Helden in Walhall, dem Christen in Gottes Schoß, dem Moslim in Mahomets Paradies blüht,das alles will der Sozialismus auf Erden verwirklichen.

Die Utopisten, vor allem Fourier, haben sich in der Ausmalung der Einzelheiten dieses Schlaraffenlebens nicht genug tun können. Der Marxismus hat jede Schilderung des Zukunftsstaates auf das Strengste verpönt. Doch dieses Verbot bezog sich nur auf die Darstellung der Wirtschafts-, Staats- und Rechtsordnung des sozialistischen Staatswesens und war ein meisterhafter Schachzug der Propaganda. Denn indem die Einrichtungen des Zukunftstaates in geheinmisvollem Dunkel belassen wurden, ward den Gegnern des Sozialismus jede Möglichkeit benommen, sie zu kritisieren und etwa nachzuweisen, daß ihre Verwirklichung keineswegs ein Paradies auf Erden schaffen könne. Die Ausmalung der günstigen Folgewirkungen der Vergesellschaftung des Eigentums hat der Marxismus hingegen keineswegs so verdammt wie die Aufzeigung der Mittel und Wege, auf dem sie erreicht werden könnten. Wenn er immer wieder alle irdischen Übel als notwendige Begleiterscheinungen der kapitalistischen Gesellschaftsordnung hinstellte und damit erklärte, daß sie im Zukunftsstaate fehlen werden, hat er an utopischer Ausmalung des Glückes, das er zu bringen verspricht, die phantasiereichsten Verfasser von Staatsromanen übertroffen. Geheimnisvolle Andeutung und mystische Hinweise haben weit stärkere Wirkung als offene Erklärung. Daß der Sozialismus als Heilslehre auftrat, das hat ihm den Kampf gegen den Liberalismus leicht gemacht.

Wer den Sozialismus vernunftgemäß zu widerlegen sucht, trifft bei der Mehrzahl der Sozialisten nicht, wie er erwartet, auf rationale Erwägungen, sondern auf einen nicht aus der Erfahrung geschöpften Glauben an Erlösung durch den Sozialismus. Man kann unzweifelhaft den Sozialismus auch rationalistisch verteidigen. Doch für die große Masse seiner Bekenner ist er Heilslehre; sie glauben an ihn, er ist ihnen, für die die religiösen Heilsbotschaften die Kraft verloren haben, anstatt des Glaubens Trost und Hoffnung in den Nöten des Lebens. Solcher Überzeugung gegenüber versagt jede rationalistische Kritik. Wer dem Sozialisten dieses Schlages mit vernunftgemäßen Einwänden kommt, findet dasselbe Unverständnis, dem rationalistische Kritik der Glaubenslehren beim gläubigen Christen begegnet. In diesem Sinne war es durchaus berechtigt, den Sozialismus mit dem Christentum zu vergleichen. Doch das Reich Christi ist nicht von dieser Welt; der Sozialismus hingegen will das Reich des Heiles auf Erden errichten. Darin liegt seine Kraft, darin aber auch seine Schwäche, an der er einst ebenso schnell, wie er gesiegt hat, zugrunde gehen wird. Auch wenn die sozialistische Produktionsweise wirklich die Produktivität zu steigern und größeren Wohlstand für alle zu schaffen vermöchte als die liberale, sie wird ihre Anhänger, die von ihr auch höchste Steigerung des inneren Glücksgefühles erhoffen, bitter enttäuschen müssen. Sie wird die Unzulänglichkeit alles Irdischen nicht beheben, den faustischen Drang nicht stillen, das innere Sehnen nicht erfüllen können. Wenn der Sozialismus Wirklichkeit geworden sein wird, wird man erkennen müssen, daß eine Religion, die nicht auf das jenseitige Leben hinweist, ein Unding ist.“

(Im Abschnitt zu Christentum und Sozialismus in Die Gemeinwirtschaft [Teil IV, Kap. 3] aus der Feder von Mises aus dem Jahr 1922 lag der große Ökonom aber auch oft daneben; „Lebendiges Christentum kann neben und im Kapitalismus nicht bestehen“, so dort die skeptische Schlussfolgerung des Agnostikers.)

Zuerst erschienen auf lahayne.lt

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Thomas Rießler

Warum sollten sich Marxisten um die wissenschaftliche Erörterung ihrer Theorie kümmern? Intellektuelle, die ein kapitalistisches System stützen, sind für Marxisten Teil der unterdrückenden Klasse und wieso sollte man mit solchen Unterdrückern vernünftig diskutieren können und wozu auch? Marxismus ist keine Theorie für den Elfenbeinturm, sondern eine „praktische Philosophie“, der es nicht in erster Linie um ein Verständnis der Welt, sondern um deren Verbesserung im Sinne einer Abschaffung von Unterdrückung und Diskriminierung geht. Dies geschieht mit allerlei kämpferischen Mitteln (wobei das verbale Anpöbeln und Verunglimpfen des politischen Gegners zu den zivilisierteren Mitteln zählt) und nicht durch schnöden Austausch des besseren Arguments. Was haben Marxisten also in Parlamenten verloren und wieso geben sich die Demokraten andauernd so verwundert darüber, dass sich Marxisten anders als sie selbst verhalten?

Gravatar: FDominicus

In gewisser Weise "amüsant" wie dasgleiche bei anderen anders ausgelegt wird. Wer wie Liberale auf Grundsätze setzt und auf wirtschaftliche Banalitäten wird schnell mal mit Gläubiger abgekanzelt. Der Unterschied, bisher hat noch kein Sozialismus auf Dauer funktioniert, Markt und Handel funktioniert seit ewigen Zeiten. Wer ist da dann der Gläubige?

Es ist sehr interessant wenn auf Wiedersprüche hingewiesen wird. Die konstruiert man nur. Aber spricht man sich für Markt und Handel aus, dann hört man immer nur - funktioniert nicht.

Funktioniert zumindest so gut um alle Unproduktiven in D mit durch zu füttern. Aber diese Leute darauf hinweisen, sie leben auf Kosten andere ist gleich mal doppeltplusungut.

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