Der perfekte Welle

Die große Koalition ging ins vierte Jahr, gähnende Langeweile hatte sich in den Redaktionen der großen Tageszeitungen breit gemacht, Kabarettisten gründeten schon Selbsthilfegruppen, um der unerträglichen Themanarmut zu entgehen, Stuhlkreis und Vornamen-Singen gehörten zum strukturierenden Tagesablauf....

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Dann kam die Wahl und so manch einen Journalisten oder Satiriker wird es in den Fingern gejuckt haben, dem politischen Ödland ein Ende zu setzen, damit endlich, endlich mal wieder etwas geschieht, über das man schreiben, über das man sich so richtig rotgesichtig reden kann... einen kleinen Schubs könnten sie wohl gebrauchen, damit die Sache sicher ist... und das war sie dann ja auch.

 Jubel im Lager der Turmspringer! Hurra! Die staubtrockene "Wir-haben-uns-alle-lieb-Politik" der großen Fraternisation hat ein Ende, Jungs, Mädels, schmeisst die Computer und Laptops an, spitzt die Bleistifte, zieht los, seid kreativ, endlich wieder eine Regierungskoalition mit Haken und Ösen, mit Menschen, die sich nicht tränenumflort in die Arme sinken, wenn sie sich drei Tage nicht gesehen haben, sondern auf ihre Meinung pochen, ein wenig zickig sein können, Ecken und Kanten und vor allem, eine Vorstellung davon haben, was sie wollen und was nicht.

Wen nehmen wir uns denn als ersten vor? Eher so eine Person speziell? Oder doch lieber gleich eine ganze Partei?

Hach, man weiß ja gar nicht, wo man anfangen soll, ist ja alles so0o herrlich... guck mal! Da! Oh mein Gott, wie toll, da machen sie doch schon den ersten Fehler, nein, wie wunderbar. Niebel als Minister in einem Laden, den er vor einigen Wochen noch auflösen wollte? Na wenn das mal kein Futter ist, was?

Wie? Die FDP hat Spenden erhalten? Super, können wir da mal was drüber machen, weiss jemand, ob da irgendwas dran war, was man ein wenig... aha? Das spendende Unternehmen hat auch ein Hotel im Portfolio? Na bitte, ich sag es euch, diese Koalition ist genau nach meinem Geschmack!

Hielten die "gesetzteren" journalistischen Kollegen noch eine zeitlang still und beobachteten das bunte Treiben im Blätterwald interessiert, irgendwann erhöhte sich auch in ihren Redaktionskonferenzen der emotionale Druck:

 "Jungs sagt mal, eurer journalistisches Grundverständnis in allen Ehren, aber wollt ihr nicht mal langsam mitmachen? Wie lange wollen wir noch warten? Irgendwann sind die schönen Themen weg, die Auflagen sinken wieder und wir? Wir können dem Zug nur hinterhersehen. Zieht los Leute, von unserem Ehrenkodex werden wir nicht satt, also macht hinne!"

Nach dem ersten Hype ist es wie nach der ersten Welle von kaufrauschigen Hausfrauen am Eröffnungstag des Winterschlussverkaufs. Oder wie um halb zehn bei Aldi, wenn es Kinderklamotten gibt. Das Beste ist weg.

Ratlos blicken die zu spät gekommenene in die Runde und überlegen, was denn aus dem kläglichen Rest noch zu machen ist. Man setzt sich bei einer Tasse Kaffee ins nahegelegene Bistro und wühlt ein wenig verkatert in den Informationsresten.

Und so kommt es, dass plötzlich die Frage aufgeworfen wird, ob Herr Dr. Westerwelle seinen Partner "eigentlich" hätte mitnehmen dürfen, warum ein Unternehmer, der im Jahr 2005 der Partei etwas gespendet hat, nun zur Delegation der Südamerika-Reise gehört und ob eine Künstlerin auf Staatskosten in die Türkei reisen durfte.

Zugegeben, nicht so toll, um ehrlich zu sein, nahezu fragwürdig, mal ganz davon ab, dass man eine gängige Praxis aller Parteien nun bei einer einzelnen zur Todsünde stilisiert, aber was soll man machen? In der Not frisst der Teufel Fliegen, das weiss doch nun jeder, oder?

Jaja, irgendwann werden wir auch aufdecken, dass alle anderen genau so verfahren, aber dann sind die Auflagen beim Leser, der Umsatz gemacht, denn mit dem zweiten Aufguss verdient sich nicht so leicht mehr was. Ist eben so.

Und mal ehrlich, wir MÜSSEN ihn einfach nutzen, den "perfekten Welle"!

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