Der Leiter der Staatssicherheit,

 jetzt AfNS genannt, Schwanitz gab heute vor zwanzig Jahren unter dem Titel: „Operative Arbeit in Sammlungsbewegungen“

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neue Richtlinien zur Bekämpfung der Opposition
heraus. Allerdings verschlechtern sich die Bedingungen für die „operative Arbeit“ rapide. Der Zerfall der SED , in deren Auftrag die Stasi immer gehandelt hat, hinterlässt tiefe Spuren beim „Schild und Schwert der Partei“. Selbst viele Inoffizielle Mitarbeiter wollen nicht mehr mitmachen.

Zwanzig Jahre danach suchen die Genossen von der Sicherheit immer noch nach einem Schuldigen für ihren Machtverlust. Weit entfernt von Schuldgefühlen oder gar Reue sind die „Tschekisten“ fleißig dabei, sich in Geschichtsdeutung zu üben. Was in ihrem Falle heißt,
Geschichtsfälschung zu betreiben. Besonders aktiv sind sie im Augenblick, weil sie die wankende Brandenburger Koalition, mit der Ministerpräsident Platzeck nicht nur die SED-Linke, sondern auch bekennende Inoffizielle Mitarbeiter der Staatssicherheit hoffähig gemacht hat, zu stützen. Da sich nicht leugnen lässt, dass neben den
bekennenden IMs auch mehrere heimliche Mitarbeiter der Stasi ins Brandenburger Parlament einzogen, soll der Öffentlichkeit noch schnell weis gemacht werden, dass die Stasi nicht so schlimm war. Die meisten Tatsachen über den Geheimdienst der DDR, der ein Unterdrückungsapparat war, seien erfunden oder aufgebauscht. Hinter all dem stehe das Kanzleramt, behauptet das neueste Buch zweier Stasiobristen,
Kierstein, im früheren Leben „Untersuchungsführer“ im Stasigefängnis Hohenschönhausen und Schramm, Spezialist der Spionageabwehr, „Freischützen des Rechtsstaates- Wem nützen die Stasiunterlagen und
Gedenkstätten?“.

Das wollte ich genauer wissen und ging gestern Abend
zur Buchvorstellung in die „Ladengalerie“ des Sektiererblattes „Junge Welt“. Beim Anblick der Räumlichkeiten, mit edelstem Natursteinboden
ausgestattet, kommt einem schon automatisch die Frage, woher solch ein obskures Blatt das Geld hat, um sich diesen Luxus leisten zu können.  Rückfluss aus dem von der SED unter der politischen Verantwortung
ihres letzten Vorsitzenden Gregor Gysi verschobenem DDR-Vermögen?

Zu Beginn der Veranstaltung überrascht Kierstein mit der Behauptung, das MfS hätte keine Gefängnisse betrieben, lediglich Untersuchungshaftanstalten. Dann zeigt der in Desinformation bestens ausgebildete Tschekist, dass er sein Handwerk nach wie vor beherrscht.
Früher waren es die „Bonner Ultras“, heute ist es das Kanzleramt, das die DDR samt ihrem Sicherheitsapparat delegitimiert. Seine „Beweise“ sehen so aus: Er nennt die Summe, die jährlich für die politische Bildung ausgegeben wird und behauptet, diese Geld diene der „Delegitimationskampagne gegen die DDR“ Dass davon das gesamte Spektrum politischer Bildung abgedeckt wird, verschweigt er, ebenso wie die Tatsache, dass auch die Linke- nahe Rosa-Luxemburg-Stiftung
und solche Vereine wie „Helle Panke“ Mittel aus diesem Budget beziehen. Bisher sind diese Vereine nicht mit bewussten Schädigungen des DDR-Bildes aufgefallen, es sei denn, man betrachte die von ihnen
finanzierten Auftritte von Stasileuten als solche.

In Ermangelung von Grausamkeiten, die gegen die Verantwortlichen des SED-Regimes verübt wurden, präsentiert Kierstein eine Selbstmordstatistik, von Leuten,
die sich das Leben genommen hätten, weil sie die „Hetze“ nicht hätten ertragen können. Wo diese „Hetze“ stattgefunden haben soll, lässt er offen. Auch fällt ihm oder seinen geneigten Zuhörern nicht auf, dass
er in aller Ruhe gut versorgt seine Schmähschriften gegen Demokratie und Rechtsstaat herstellen und veröffentlichen kann. Niemand nimmt ihn
hinterher mit, um ihn in einer „Untersuchungshaftanstalt“ in vollkommener Isolation von der Außenwelt und den Mitgefangenen psychologisch zu bearbeiten, um das Geständnis eines Gesetzesbruchs zu erzwingen. Neben mir sitzt ein Haftkamerad, der über fünf Jahre in
Gefängnissen der DDR zubringen musste. Ich hätte gern mal klar gestellt , wie viel Rente beide Männer erhalten. Es hätte sich erwiesen, dass die von Kierstein um ein Vielfaches höher liegt als die des ehemaligen politischen Häftlings. So viel zur „Verfolgung“ der Verantwortlichen eines Unrechtsregimes. Ich kann die Frage nicht
stellen, denn wichtiger ist, meine Kollegen aus Hohenschönhausen vor den Unterstellungen des Vernehmers in Schutz zu nehmen. Der
präsentiert nämlich Ausschnitte von Videoaufnahmen , die offenbar versteckt bei Führungen im „U-Boot“ von Hohenschönhausen gemacht wurden. Bei dem „U-Boot“ handelt es sich um einen von der sowjetischen
Geheimpolizei gebauten Gefängniskeller, der ab 1951 von der Stasi betrieben wurde. Die Haftbedingungen unterschieden sich, sie waren bei den Sowjets noch um Vieles schrecklicher, als bei der Staatsicherheit. Bei den Sowjets war es üblich, die Zellen bis an die Grenze des Erträglichen über zu belegen. Kierstein präsentiert dem
Publikum einen Ausschnitt, in dem der Kollege von den überbelegten Zellen erzählt und behauptet anschließend, er hätte das auf die Zeit der Staatsicherheit bezogen. Das nennt man gezielte Desinformation.

Oder die Wasserfolterzellen, die eine Rekonstruktion nach Berichten von Häftlingen sind, weil die Originale überall zerstört worden sind.  Kierstein bezeichnet sie als Erfindungen, weil es angeblich keine Berichte gäbe, das Häftlinge auf diese Weise gefoltert worden seien.
Die Schriftsteller Walter Kempowski und Erich Loest berichten in ihren Büchern, wie sie als Häftlinge der Wasserfolter unterzogen wurden .
Werner Tübke, der bekannte Staatsmaler der DDR, wurde als Gefangener in Schönebeck 48 Stunden ins Wasser gestellt. Man kann bei ihm nachlesen, welch schreckliche Folgen das für das menschliche Fleisch hat. In einem zweiten Ausschnitt lässt Kierstein den Kollegen von den
prominenten Häftlingen der siebziger Jahre wir Rudolf Bahro, Jürgen Fuchs und Gerulf Pannach erzählen, die alle an der gleichen, seltenen Blutkrebskrankheit, die durch erhöhte Radioaktivität ausgelöst wird,
gestorben sind. Wahrheitsgemäß sagt der Kollege, dass wir nicht wissen, wie die Gefangenen dieser Radioaktivität ausgesetzt wurden. Kierstein nimmt das als „Beweis“, dass es nie so etwas gegeben hat, da die Strahlengeräte, die nach seinem überraschenden Eingeständnis in
Hohenschönhausen versuchsweise eingesetzt waren, eine solche Krankheit nicht hätten auslösen können.

Abgesehen davon, dass man an dieser Stelle gern mehr über die Versuche mit Strahlungsgeräten erfahren
hätte, die offensichtlich an Häftlingen ausprobiert wurden, da das Wachpersonal und die Vernehmer als Versuchskaninchen ausfallen, ist etwas anderes wichtig. Die betreffende Blutkrebskrankheit kommt im
normalen Leben nur einmal unter 1,2 Millionen Menschen vor. In Hohenschönhausen hätten in den siebziger Jahren also 3,6 Millionen Gefangene gewesen sein müssen, damit die statistische Wahrscheinlichkeit gewahrt bleibt, dass drei davon erkranken. Die Radioaktivität kann durch kontaminiertes Essen., Kleidung, Bettwäsche
oder Medikamente beigebracht worden sein. Oder durch eine Kombination mehrer Methoden. Zeit genug gab es. Alle Betroffenen haben mehrere Monate in Hohenschönhausen zugebracht. Kierstein und Schramm könnten hier zur Wahrheitsfindung beitragen, indem sie offenlegen, wie die Kontamination vonstatten ging. Das werden sie nicht tun. Ebenso wenig wie sie Auskunft geben wollen, was es mit den „Maßnahme-, und
Zersetzungsplänen“ auf sich hatte, die sich zu Hauf in den Stasiakten finden. In diesem Plänen wurde die systematische Zerstörung von Persönlichkeiten, Familien, Berufskarrieren, Freundschaften geplant und exekutiert. Kierstein beruft sich darauf, lediglich „Untersuchungsführer“ gewesen zu sein und mit solchen Plänen nichts zu tun gehabt zu haben. Diese Argumentation kennen wir doch? Ach ja, die Nazis waren auch nie für etwas verantwortlich.

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