Der kurze Traum der Freiheit

„Die Hoffnung, Preußen würde ein liberaler Staat mit vorbildlicher Verfassung und vor allem einer repräsentativen Volksvertretung werden, erfüllte sich nicht. Stattdessen folgte die Zeit der Reaktion und Restauration.... Der Traum von der Freiheit war ausgeträumt.“

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Eine Geschichte des Politikversagens ist noch nicht geschrieben worden. Aber es gibt Bücher, die man als Mosaiksteine für eine solche Geschichte betrachten könnte. Dazu gehört „Der kurze Traum der Freiheit“ von Jürgen Luh, einem der besten Kenner der preußischen Geschichte. Luh, einem breiteren Publikum bekannt geworden durch seine vielgelobte Biografie Friedrichs II, wendet sich in seinem neuesten Buch einem der spannendsten Kapitel preußischer Geschichte zu: Preußen im Krieg mit Napoleon und unter der Herrschaft der Franzosen.

Mit seiner Niederlage fiel das alte Preußen in sich zusammen. Die Reformer sahen ihre Stunde gekommen: Staat und Gemeinwesen sollten reformiert, die Ständegesellschaft in eine Bürgergesellschaft umgewandelt und aus Untertanen Bürger gemacht werden. Der mächtige Aufbruch des Bürgerwillens bewirkte, dass der zögernde und zaudernde, den Franzosen im vorauseilendem Gehorsam willige König Wilhelm III zum Kampf und Sieg gegen Napoleon gezwungen wurde. Aber nach dem Sieg hintertrieb er erfolgreich die Reformen seines Staatsministers Stein. Preußen mauserte sich nicht zur freien Bürgergesellschaft, es blieb ein Untertanenstaat. Das dazu gehörige Untertanendenken macht uns bis heute zu schaffen.

König Wilhelms III Unfähigkeit trat exemplarisch in der Schlacht von Jena und Auerstedt zutage, die so heftig und verlustreich war, dass auf den Feldern heute noch beim Pflügen Überreste jenes Gemetzels zutage gefördert werden. Die Niederlage war verheerend, dabei konnte von einer Übermacht der Franzosen nicht die Rede sein. Das französische Korps zählte 27 000 Soldaten, das war nur die Hälfte dessen, was die Armee Wilhelms III aufgeboten hatte. Aber dem Oberkommandierenden der Preußen, dem Herzog von Braunschweig, war gleich zu Beginn der Schlacht in beide Augen geschossen worden. Der König versäumte es, einen neuen Befehlshaber zu ernennen. Das führte zu einem kopflosen Durcheinander bei den Preußen und direkt in die Katastrophe. Innerhalb eines einzigen Tages war Preußens vollkommene Niederlage besiegelt.

Der König nahm es ziemlich gelassen, um nicht zu sagen, kaltschnäuzig auf. Nicht so seine Umgebung: Die „Unentschlossenheit, Verblendung und Unfähigkeit, die an höchsten Stellen herrschten und selbst in der Umgebung des Königs, seien das größte Unglück“, resümierte Gräfin Sophie Marie von Voß. Die Zeitzeugen waren der Meinung, die preußische Monarchie sei unwiederbringlich dahin. Eine Welle von kampflosen Kapitulationen preußischer Festungen vollendete das Desaster. Der königliche Hof zog sich nach Ostpreußen zurück. „Unser Demel sitzt am Memel“ spottete das Volk.

Nur die unentwegtesten Mlitärs, wie Blücher, machten sich daran, den König zu überzeugen, der antinapoleonischen Allianz beizutreten, was erst nach langem, zähen Ringen erfolgreich war. Zum Entsetzen seines Volkes ließ sich Wilhelm III lange Zeit von Napoleon demütigen, statt ihm die Stirn zu bieten. So musste er stundenlang vor der Tür warten, als der französische Kaiser mit Zar Alexander verhandelte. Am Tisch war für Wilhelm III nicht gedeckt. Er sollte mit dem Gefolge speisen.

Während ihr König sich demütigen ließ, gab es immer wieder Aufstände in den preußischen Provinzen. Der bekannteste war der Feldzug des Hauptmanns Schill, der zwar bewundert und bejubelt, aber nicht ausreichend unterstützt wurde, als klar war, dass Schill nicht auf höheren Befehl, sondern auf eigene Faust handelte.

„Wir haben unsere Deutschen ....kennengelernt als Leute, bei denen der Weg vom Gedanken und vom Wort zur That ein recht weiter ist.“, kommentierte ein Zeitgenosse. Das Signal von oben kam nicht, Schill fiel, fast auf sich allein gestellt, in Stralsund im Straßenkampf.

Das zeigte den Reformern, wie nötig Widerstand gegen die Engstirnigkeit der preußischen Monarchie war. Fichte: Der Staat habe von jeher daran gearbeitet, seine Untertanen „auf jede Art zu gewöhnen, Maschinen zu sein, statt selbstständige Wesen.“

Und Wilhelm von  Humboldt: „durch eine zu ausgedehnte Sorgfalt des Staates“ litten „die Energie und der moralische Charakter“. Der freie „herrliche Geist im Volk“ sollte unterdrückt werden, denn ein solcher Geist trug die Gefahr des Unsturzes in sich.

Die preußischen Reformer wollten „die Freiheit jedes Einzelnen sich auszubilden, zu erwerben, sich emporschwingen zu können.“ (Gneisenau).

Humboldt: „auch Griechisch gelernt zu haben könnte dem Tischler ebenso wenig unnütz sein, als Tische zu machen, dem Gelehrten. Beide müssten ihre persönlichen Anlagen fördern können und dürfen.“ Diese Sätze zeigen, wie weit wir heute schon wieder vom preußischen Bildungsideal entfernt sind.

Individuelle Freiheit war der Grundstein von Humboldts Gedankengebäude zu Bildung, Forschung und Wissenschaft. Der Mensch sei „das Werk seiner selbst...autonom, frei und mündig.“

Der Staat solle „seine Tätigkeit auf ein Minimum, nämlich Rechtsschutz und Sicherheitspolizei beschränken und nur die Güter zur Verfügung stellen, welche die Individuen sich nicht selbst beschaffen können.“ Der Zusammenschluss der Individuen solle stets ein freiwilliger sein. Jeder Form von Kooperation, „dem über eine ganz  lockere Verbindung  hinausgehenden Zusammenschluss von Personen mit übergreifenden, aber nicht auf die Gemeinschaft als Ganze, auf Volk oder Nation und den diese repräsentierenden Staat bezogenen Ideen und Interessen“ begegnete Humboldt „mit großem Misstrauen“.

In dreimonatigen Verhandlungen gelang es Humboldt, Wilhelm III eine Universität in der preußischen Hauptstadt abzuringen. Innerhalb von drei Jahren, 1808-1810, schufen Humboldt und seine Helfer die Grundlage eines zukunftsweisenden Bildungssystems.

Was Humboldt erfolgreich für die Bildung tat, versuchte Freiherr vom und zum Stein für den Staatsapparat.

„Ich halte es für wichtig, die Fesseln zu zerbrechen, durch welche die Bürokratie den Aufschwung der menschlichen Tätigkeit hemmt, jenen Geist der Habsucht, des schmutzigen Vorurteils, jene Anhänglichkeit ans Mechanische zu zerstören, die diese Regierungsform beherrschen“ Man müsse die Nation befähigen, „aus jenem Zustande der Kindheit herauszutreten, in dem eine ....Regierung die Menschen halten will.“

Den von einer Regierung geforderten Gehorsam hatte Immanuel Kant schon 1793 als „den größten denkbaren Despotismus“ verworfen.

Man staunt beim Lesen solcher Sätze immer wieder, wie aktuell sie klingen.

Natürlich konnte sich Stein nicht lange halten. Er wurde vom König durch Karl August Fürst Hardenberg ersetzt, der die Revolution von oben wollte und damit staatstragender war. Die Bevölkerung, die erwartet hatte, für die im Kampf gegen Napoleon gebrachten Opfer belohnt zu werden, wurde enttäuscht.

Luh kommt zu dem Schluß: „Die Hoffnung, Preußen würde ein liberaler Staat mit vorbildlicher Verfassung und vor allem einer repräsentativen Volksvertretung werden, erfüllte sich nicht. Stattdessen folgte die Zeit der Reaktion und Restauration.... Der Traum von der Freiheit war ausgeträumt.“

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Jemeljan Pugatshow

Ja, die gerade sehr moderne Abkehr vom kantischen "Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit" ist tatsächlich überdeutlich geworden. Sich seines "eigenen Verstandes zu bedienen" (und das auch deutlich kundzutun) kann den Deutschen im Jahre 2015 zumindest Reputation und Freundeskreis, darüber hinaus aber auch Job und wirtschaftliche Existenz kosten. Der Obrigkeitsstaat Merkel-Maas´scher Prägung hat seine eigenen Wege, die "Unbotmäßigen" zur Konformität zu zwingen.
Nicht umsonst übrigens, wird auch an deutschen Universitäten und ihren Philosophischen oder Historischen Fakultäten heute wieder so gerne über Kant hergezogen und er letztlich nur zum "Hauptzeugen" für die vermeintliche Nichtexistenz Gottes degradiert.
Armes Deutschland. Geistig arm.

Gravatar: Bartholomay

Der "alte Fritz" erkannte wie die Hofschranzen um ihn intrigierten,und sagte sinngemäß : seid ich die Menschen kenne,vertraue ich nur noch meinem Hund ,er lügt nicht !!

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