Der helle Fleck

Wenn der Zirkus in der Stadt war und nach all den Aufregungen mit den Akrobaten und Clowns wieder weitergezogen ist, hinterlässt er - um es mit dem poetischen Blick von Christof Stählin zu sagen – einen „hellen Fleck“ in der Welt. Nun hat der ‚Zirkus Sarrazin’ sein Zelt abgebaut – und auch einen Fleck hinterlassen.

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Als ich noch Student war, wurden manchmal grobe Ausdrücke benutzt. Ich erinnere mich an die Formulierung, man müsse „den Herrschenden die Maske vom Gesicht reißen“, auch von „Charaktermasken“ war die Rede – ich hätte nicht gedacht, dass ich noch mal daran erinnert werde. Wenn ich noch weiter zurückdenke, fällt mir noch ein Spruch aus der Sandkasten-Zeit ein: „Wer’s sagt isses selber, das wissen alle Kälber.“

Die Empörung über Sarrazin war verräterisch. Es war, als hätte man eine Versammlung von Predigern gegen den Alkoholmissbrauch beim Saufen erwischt. Die Tugendwächter zündeten schnell viele Duftkerzen an, weil die Leichen im Keller schon anfingen zu stinken. Denn wer, bitte schön - so fragte sich der Zuschauer des Medienspektakels - grenzt hier wen aus? Wer spaltet? Wer urteilt pauschal auf biologischer Grundlage? Wer erteilt Absagen an die Möglichkeiten jedweder Emanzipation? Wer ist menschenverachtend?

Da suchten sie eifrig nach Zitaten, die eine „Menschenverachtung“ bei Sarrazin zumindest indirekt erkennen lassen und bemühten sich um eine nachträgliche Rechtfertigung für das peinliche Praecox-Urteil: Was könnte man ihm denn anlasten? Findet sich da nicht irgendwo das Restrisiko zum Missverständnis, das er hätte vermeiden müssen, als wäre er verantwortlich für Leute, die ihn mutwillig missverstehen wollen?

Da fragte man sich schon: Woher diese Feindseligkeit? Da brachen sie einen Streit vom Zaun und warfen ihm anschließend vor, dass er „umstritten“ ist. Sie hielten die Antwort auf eine Frage in einem Interview für eine „These“, und eine These für etwas, das neuerdings verboten ist. Sie taten so, als hätte er sich etwas ausgedacht, mit dem er ganz alleine dasteht, als würde er sich mit „seinen“ Thesen um ein Alleinstellungsmerkmal bemühen. Kaum zu glauben: Er hatte es tatsächlich gewagt, auf Missstände hinzuweisen, ohne sie gleichzeitig durch das Hervorheben von Erfolgen in den Schatten zu stellen.

Sie gaben sich richtig Mühe; sie erweiterten ihren Wortschatz und entdeckten „krude“ als neues Lieblingswort. Sie zogen nachträglich eine Linie und sagten: „Er hätte eine Linie überschritten“, als hätte er bei einer Sportveranstaltung gemogelt. Dass er „zum Nachdenken anregt“, nannten sie „Provokation“, und da er kein Theaterintendant ist, galt seine Provokation als „unerträglich“. Sie warfen ihm vor, dass er von „Kopftuchmädchen“ gesprochen hatte, statt von „Mädchen mit Kopftuch“. Er hatte sogar „Importbräute“ gesagt, statt wie üblich die „Zwangsheirat“ zu beweinen und sich gleichzeitig zu verbieten, eine Maßnahme dagegen vorzuschlagen.

Dabei sind die Empörten selber so, wie sie es ihm vorwerfen. Man erkennt es daran, dass sie es selber nicht erkennen - sie haben das gefürchtete Überlegenheitsgefühl des Herrenmenschen wirklich, sie haben es verinnerlicht. Sie halten sich ernsthaft für die Besseren und sind in ihrer Selbstgerechtigkeit eingerastet; sie fühlen sich zutiefst berechtigt, genau das zu tun, was sie anderen vorwerfen.

Etwa die SPD, die ihn nun loswerden will. In ihrem Parteiprogramm heißt es bekanntlich: „Wer die menschliche Gesellschaft will, muss die männliche überwinden.“ Das ist eine klare Ansage. Da wird eine Bevölkerungsgruppe pauschal nach biologischen Kriterien herabgewürdigt – wer dazugehört, gilt nicht als vollwertiger Mensch.

Da regt sich keiner auf. Dabei sollten wir gerade da in Deutschland hellhörig sein. Das sind wir normalerweise auch. Wenn sich eine Gruppe aufgrund von Naturgesetzen einer anderen überlegen wähnt, sind wir schnell bei einer Haltung, die – um ein Zitat von Alfred Andersch bis zum Anschlag zu strapazieren – „nach Gas riecht“.

Und was sagt Andrea Nahles dazu? „Wer einzelne Bevölkerungsgruppen pauschal verächtlich macht und gegeneinander aufbringt, treibt ein perfides, vergiftetes Spiel mit Ängsten und Vorurteilen und hat mit den Werten und Überzeugungen der SPD rein gar nichts mehr zu tun“. Damit meint sie Thilo Sarrazin. Bei ihm findet sie allerdings kein Zitat - „rein gar keins“ -, das die Einstellung, die sie verständlicherweise angreift, so deutlich belegen würde wie der Grundsatz aus dem Programm ihrer Partei, der ihre eigene Einstellung verrät.

Manchen in der SPD mag der Satz peinlich sein, manche nehmen ihn sicherheitshalber nicht ernst, und es gibt vermutlich nicht wenige gutherzige „Warmduscher“ (wie Thilo Sarrazin womöglich sagen würde); die meinen, der Satz hieße in Wirklichkeit: „Wer die menschliche Gesellschaft will, muss Lebensentwürfe von Frauen und Männern gleichermaßen ermöglichen.“ So heißt er aber nicht. So eine Partei würde ich übrigens wählen.

Aber da stelle ich wohl zu hohe Ansprüche. Die Stimmung im Lande ist heute anders. Hat es jemand bemerkt? Mit dem eben zitierten Grundsatz erwiest sich die gesamte Politik, die nach „Gleichberechtigung“, „Gleichstellung“ und „Gleichbehandlung“ ruft, als Schleiertanz. Etwas Gleiches ist gar nicht angestrebt. Männer gelten nicht als gleichwertig. Grundsätzlich nicht. April, April. Da gab es doch mal diesen Herren Müntefering, der so gerne von „Augenhöhe“ gesprochen hat. Musste der etwa immer sagen: „Ich schau dir in die Augen, Große!“?

Und dann diese böse Biologie! Während Thilo Sarrazin ausdrücklich „kulturelle“ Prägungen als Problem erkennt, nennt die SPD als einziges Kriterium, nach dem man zwischen „menschlich“ und „nicht menschlich“ sortiert, nur „männlich“ - ein anderes Kriterium ist nicht in Sicht. Eine Ausrede ist schlecht möglich: Zwar kann man sagen, dass nicht direkt von „Männern“ geredet wird, sondern von „männlich“, also nicht vom Geschlecht, sondern von Eigenschaften – aber von welchen denn? Ich will nichts Falsches sagen; aber ich vermute, dass die Frage, ob man männlich oder weiblich ist, irgendwas mit den Genen zu tun hat. 

Der Spruch der SPD ist deshalb auch „überhaupt nicht hilfreich“. Das Buch von Thilo Sarrazin schon. Denn gerade die kulturellen Prägungen bieten einen Ansatzpunkt für Veränderungen. So schlägt er - wie man nachlesen kann - vor, nicht etwa in die Kultur anderer Länder einzugreifen, sondern unsere eigene zu überprüfen und die Bedingungen für die Zuwanderung zu ändern, was letztlich auch die Zuwanderer zufriedener machen würde. Sie müssen ihn nicht fürchten. Er kümmert sich um sie. Man könnte den „Kopftuchmädchen“ nach der Melodie von ‚Guildo hat euch lieb’ vorsingen: „Thilo hat euch lieb“.

Er sorgt sich mehr um deren Zukunft als die Charaktermasken, die sich in erster Linie um sich selbst sorgen - um ihr Image. Sie führen eine ideologische Feinstaubmessung durch, mit der sie jede Form von Rechtsradikalismus und Ausländerfeindlich schon in geringster Dosis erkennen, verurteilen und entschieden zurückweisen. Das reicht ihnen. Mehr müssen sie nicht tun, um gut dazustehen. Mehr kann man in dieser Rolle auch nicht tun. Man müsste sonst darauf verzichten, das eigene Selbstwertgefühl aus der Verurteilung anderer zu beziehen.

Es ist der Fluch der politischen Korrektheit: Man unterstellt, dass derjenige, der etwas benennt, damit schon eine unzulässige Bewertung mitbringt. Man unterstellt, dass derjenige, der unterscheidet, das mit böser Absicht tut und dass er damit diskriminiert. Mit so einer Haltung erhebt man sich zwar bequem über andere - aber verurteilt sich unversehens selbst zur Handlungs- und Sprachlosigkeit. So kommt es zum politisch korrekten Verschweigen, zur politisch korrekten Untätigkeit.

Die Menschen in der SPD geben keine Hilfestellungen für die Minderwertigen. Die ist auch nicht zu erwarten, wenn man bei biologischen Faktoren stehenbleibt. „Integrieren“ ist etwas anderes als „überwinden“. Integration soll keine „Einbahnstraße“ sein, sagen sie nun gerne - „überwinden“ ist eine. Die SPD, der man früher Beißhemmungen nachgesagt hat, zeigt sich ausgerechnet an dieser Stelle überraschend rabiat. Also, aufgepasst, ihr Guten, der Satz lautet nicht: „Wer seine Menschlichkeit nicht voll entwickeln kann, dem muss mit allen Mitteln dazu verholfen werden.“

Die SPD hat die Mindermenschen nicht lieb: Es bleibt bei der pauschalen Herabwürdigung, bei der Zuweisung, die eine „ganze Bevölkerungsgruppe“ als Menschen zweiter Klasse sieht. Für die unterentwickelten Männer gibt es keine Kursangebote, keine Förderungen, nicht mal einen dezenten Hinweis, in welcher Richtung man sich als Mann entwickeln sollte, um irgendwann in die „menschliche Gesellschaft“ der SPD aufgenommen zu werden.

Vielleicht sollte man sich da auch nicht bemühen. Es ist zu fürchten, dass die „menschliche Gesellschaft“ á la SPD sowieso keine Zukunft hat. Wenn der Männer-Frauen-Ausgleich eine derartige Schieflage aufweist, kentert das Boot. Wenn ein Geschlecht gewinnt, verlieren beide. Eine Gesellschaft, bei der die Frauen die Männer „überwunden“ haben, ist nicht lebensfähig – oder doch?

Im Dorf Longshuihu bei Chongqing wird eine Frauenstadt eingerichtet, in der das Motto gilt: „Frauen machen nie Fehler und Männer dürfen einer Frau keinen Wunsch abschlagen“. Wenn sie es trotzdem tun, müssen sie „auf einem unebenen Brett knien“ oder Geschirr spülen. Angeblich geht es auf eine alte Tradition zurück, die nun wiederbelebt werden soll. Davon hatten wir noch nie gehört. Das sollte zu denken geben: Offenbar handelt es sich um eine Tradition, die sich nicht bewährt hat. Es müssen auch noch rund 28,5 Millionen Euro in die Infrastruktur investiert werden. Ausländische Investoren sind willkommen.

Zurück von Longshuihu bei Chongqing nach Burgdorf bei Hannover, dem alten Wahlkreis von Ursula von der Leyen. Da werden Jungs an bestimmten Wochentagen - an so genannten „Mädchentagen“ - aus dem Jugendzentrum ausgesperrt, auch wenn das ursprünglich errichtet wurde, um die Jugendlichen von der Straße zu holen und ihnen Gelegenheit zu geben, im Trockenen Pingpong zu spielen. Man macht den Jungs damit deutlich, dass ihre reine Gegenwart (zumindest an bestimmten Wochentagen) als unzumutbar für die höher bewerteten Mädchen empfunden wird, auch wenn die Jungs noch gar keine Gelegenheit hatten, sich irgendetwas zu Schulden kommen zu lassen und die Mädchen im Pingpong zu besiegen. Egal. Hier gilt die Vorverurteilung. Auf biologischer Grundlage. Pauschal. Mir ist nicht bekannt, dass für Jungs mit Migrationshintergrund oder für Juden Ausnahmen gemacht werden.

Es ging nicht von den Mädchen aus, es ist eine Maßnahme der Frauenpolitik der CDU von heute, zu der auch die Bemerkung von Ursula von der Leyen passt, die sagt, dass sie keine Schwierigkeiten damit hat, dass die Mädchen die Jungs „abhängen“. Dem wird an der Hochschule in Hannover noch mal nachgeholfen: Arbeiten von weiblichen Studenten werden grundsätzlich mit eineinhalb Punkten bewertet, die von männlichen Studenten mit nur einem. Es ist eine medizinische Hochschule. Die werden schon wissen, wie man das Geschlecht identifiziert und rein biologische Unterscheidungen anwendet, die werden sich nicht von uneindeutigen Vornamen in die Irre leiten lassen. Die neuen Herrenmenschen im Raum Hannover sind weiblich, der neue deutsche Untermensch ist männlich.

Nicht nur in Hannover. Nicht nur in der SPD und CDU. Der Spalt geht durch alle Parteien. Auch durch die FDP. Vielleicht sollte sich Guido Westerwelle mal mit seiner Parteifreundin Cornelia Pieper unterhalten – vielleicht passt er in ihr Männerbild. „Während die Frau sich ständig weiterentwickelt, heute alle Wesenszüge und Rollen in sich vereint, männliche und weibliche, und sich in allen Bereichen selbst verwirklichen kann, blieb der Mann auf seiner Entwicklungsstufe stehen. Als halbes Wesen. (...) Er ist weiterhin nur männlich und verschließt sich den weiblichen Eigenschaften wie Toleranz, Sensibilität, Emotionalität. Das heißt, er ist – streng genommen – unfertig und wurde von der Evolution und dem weiblichen Geschlecht überholt.“

Die Grünen haben die biologische Selektion am stärksten betrieben, es verträgt sich auch gut mit ihrer Naturverbundenheit. Bei ihnen ist die Männerausgrenzung Programm und ist fest im Statut der Partei verankert, von Beobachtern wird es als „Rassenstatut“ bezeichnet: Frauen haben ein Vetorecht, sie haben Anspruch auf die Listenplätze mit den ungeraden Nummern: 1,3,5 ... (sie können aber auch die Plätze 1 bis 5 belegen, einschließlich der geraden Nummern). Es galt auch bis vor gar nicht so langer Zeit als schick, nicht etwa ein „Realo“, sondern ein „Fundi“ zu sein - die Verniedlichungsform für den Fundamentalisten.

Fundamentalismus findet sich beim Feminismus und beim Islamismus. Durch ihre a-priori-Einteilung - Bist du gläubig oder ungläubig? Mann oder Frau? - pauschalisieren beide „in unerträglicher Weise“, so dass man auch nicht erwarten kann, dass sie sich von extremistischen Elementen in den eigenen Reihen distanzieren. Sie distanzieren sich immer nur von den anderen. Beide haben das Schwarzweißfernsehen wieder eingeführt. Allah verzeiht denen, die an ihn glauben. Frauen sind Frauen, egal was sie tun. Über Fehlleistungen fällt der Schleier des Schweigens, Selbstkritik findet nicht statt. Es tut sich ein unüberwindlicher Graben auf: Wer dazugehört, hat Glück, das Böse ist nach außen verlegt. Wer nicht dazugehört ist minderwertig.

Sie haben große Schnittmengen: Beide Ismen befördern eine Trennung der Geschlechter. Beide ordnen eine individuelle Ausprägung und freie Willensentscheidung einer dezisionistischen Vorentscheidung unter. Beide betreiben einen Ausstieg aus dem kulturellen Konsens, aus Werten der Aufklärung und Demokratie. Beide sind dauerbeleidigt und beleidigen ihrerseits dauernd - ohne Scham, heftige Beschuldigungen auszusprechen, schließlich sind die bereits durch eine stillschweigend akzeptierte Vorverurteilung abgesegnet. Beide Ismen entziehen sich dem Diskurs.

Beachten wir die Formulierung „männliche Gesellschaft.“ Darin ist ein „Basta“ versteckt. Es ist normalerweise der Trick von einer Sekte, einen Ausdruck zu benutzen, von dem sie ganz alleine wissen, was sie eigentlich damit meinen und sich die Definitionshoheit zu sichern wie ein Copyright. So kann man nicht diskutieren. Wenn man das wollte, müsste man auf dem Teppich von allgemein gültigen Termini bleiben. Nebenbei disqualifiziert sich die SPD damit als Stimme, von der man einen brauchbaren Beitrag zu gesellschaftspolitischen Fragen erwarten kann. Es ist ein Hintertürchen, durch das sie sich notfalls herauswinden wollen: „So ist das ja gar nicht gemeint ...“ Aber wie denn sonst? Das Türchen ist sowieso zu klein. Da passt keiner durch.

Stellen wir uns U-förmige, kommunizierende Röhren vor: Die Böswilligkeit, mit der man versucht, Sarrazin anzuschwärzen, korrespondiert mit der Gutwilligkeit, die man auf der anderen Seite aufbieten muss, um den erwähnten Satz aus dem Parteiprogramm nicht als menschenverachtend anzusehen. Dabei soll der gerade auf die gedankliche Goldwaage gelegt werden, soll als Zeichen dienen, an dem man die SPD erkennen kann. Und was erkennt man an dem neu gestrichenen Scheunentor, vor dem die Kälber stehen? Man sieht: Es ist nicht mehr die alte SPD, in der Männer – zum Beispiel im Bergbau mit dem traditionellen ‚Steigerlied’, Glück auf, Glück auf, der Steiger kommt“ auf den Lippen – in einer Arbeiterbewegung organisiert waren, heute sprechen sie auch von „ArbeiterInnenbewegung“ und singen: „Die Steigerin ist besser.“

Das fällt nicht auf. Männer sind nicht beleidigt und kollektiv gekränkt, so etwas gehört offenbar zu den weiblichen „Qualitäten“, die der zurückgebliebene Mann noch nicht für sich nutzbar gemacht hat. Männer haben keine Fürsprecher. Es gibt niemanden, der sich berufen fühlt - oder tatsächlich einen Beruf daraus gemacht hat -, stellvertretend den Beleidigten zu spielen. Das machen Männer schon selber. Oder eben nicht.

Das Schweigen ist vielstimmig: höflich, hilflos, gelangweilt. Es gibt darüber hinaus in der Männerwelt die freiwilligen Selbstanpasser, die ein Weicheier- und Muttersöhnchenverhalten an den Tag legen und aus Angst zu den Verlierern zu zählen, sich zu dem stilisieren, was man im Volksmund einen „lila Pudel“ nennt. Sie verhalten sich wie ‚Gustav Adolfs Page’ von Conrad Ferdinand Meyer, der sein Geschlecht leugnet, um wenigstens so in der Nähe des heimliche Geliebten zu sein. Die Bereitschaft zum Doppelselbstmord ist bei deutschen Männern groß - zum Selbstmord als Mann und als Deutscher.

Das ist die eine Seite. Auf der anderen gibt es eine Verlockung, sich zu den Auserwählten rechnen zu dürfen, die sich zum Ausgleich dafür, dass sie sonst immer zu den Schwächeren gehört haben und zu denen, die aufgrund böser Machenschaften ihre Fähigkeiten nicht voll entfalten konnten, sich nun in der ersten Klasse der Menschheit wieder finden und da Tollheiten und Tyranneien ausleben dürfen, weil niemand ihnen eine Grenze zeigt. Das ist kein speziell deutsches Problem.

Es gab auch keinen Anlass, keinen Stichtag, an dem jemand seine Stimme hätte erheben können. Der neue Fundamentalismus ist tröpfchenweise eingesickert, das „Gift“, von dem Andrea Nahles gesprochen hat, hat sich nach und nach verbreitet, und nun merken wir plötzlich: Wir können gar nicht mehr miteinander reden. Das können wir auch nicht, solange wir eine fundamentalistische Sprache haben mit Ausdrücken wie „frauenfeindlich“, „ausländerfeindlich“ und „islamophob“. Das können wir nicht, solange politische Korrektheit die Meinungsfreiheit ersetzt, solange eine moralische Pose als politisches Programm gilt.

 

Beitrag erschien zuerst auf achgut.com

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Meier

Meinen herzlichen Dank! Herr Lassahn.

Es freut mich und tut gut, Ihre vernünftigen Gedanken so schön formuliert zu lesen.

Gravatar: Dr. Alexander Ulfig

Ein hervorragender Beitrag, schon heute ein Klassiker.

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