Der feine Unterschied: Pirinçci und die Orientspezialisten

Veröffentlicht:
von

Integration fängt auch im eigenen Kopf an. Der deutsche Schriftsteller Navid Kermani, Sohn persischer Eltern, geboren in Siegen, hat nach dem Studium der Islamwissenschaft, Philosophie und Theaterwissenschaft in Köln und Kairo erst einmal den Weg in die Orientalistik gesucht. Deshalb veröffentlichte Kermani seine frühen Bücher über islamische („Gott ist schön“) und orientale Fragestellungen. Dann erst folgten Bücher mit immer allgemeingültigeren Inhalten – Politik, Liebe, Tod. Daneben immer wieder doch Stellungnahmen zum aktuellen Geschehen im Nahen Osten. Navid Kermani ist ein deutscher Schriftsteller. Kann er es wirklich sein?

Da Navid Kermani leben und auch eine Familie ernähren muss, ist er zu einer gewissen Regelmäßigkeit der Publikation gezwungen. Man geht sicher nicht fehl in der Annahme, dass er am ehesten bei nahöstlichen Themen zu journalistischen Arbeiten aufgefordert wird oder eben diese am leichtesten in Zeitungen unterbringt. Sein Output scheint dies deutlich zu bestätigen. Er ist für die deutschen Medien der „Orient- und Islamspezialist“. Er wird nicht als deutscher Schriftsteller, sondern als Vertreter der Kultur, aus der sein Name kommt, aufgefasst. Navid Kermani wird ganz offensichtlich nicht nur wegen seines Studiums, sondern wegen seines Namens in eine bestimmte Ecke gedrängt: die des Vorzeige-Deutschiraners. Wenn er nicht aufpasst, bleibt er in ihr für den Rest seines Lebens. Seine jüngsten Arbeiten zeigen ihn jedoch auf dem Weg der Befreiung von diesem Klischee.

Ganz ähnlich kann die Situation bei türkischstämmigen deutschen Künstlern wie Fatih Akin oder Feridun Zaimoglu beschrieben werden. Hatte letzterer mit „Kanak Sprak“ und „Abschaum – Die wahre Geschichte von Ertan Ongun“ begonnen und ist dann immerhin bei „Liebesbrand“ angekommen, der Geschichte eines „etwas später dazugekommenen“ Deutschen, so kann Akin offenbar nur Filme mit deutsch-türkischen, eventuell noch multikulturellen Plots bei den Produzenten unterbringen. Natürlich können Menschen mit den Grenzerfahrungen zwischen zwei Kulturen, die Betweeners, wenn sie auch Künstler sind, diese ihren besonderen Erfahrungen, die sie mit vielen anderen Menschen in Deutschland teilen, besonders gut beschreiben.

Maxim Biller hat genau dies in seiner Tirade mit dem Titel „Letzte Ausfahrt Uckermark“ als Heilmittel für die langweilige deutsche Literatur gefordert. Man kann seine Vorschläge aber auch so sehen, dass er die Migranten thematisch und sprachlich auf ihre Migrantenrolle festlegen will. Vielleicht wollen die Migranten das gar nicht. Außerdem: Die deutsche Literatur gehört den Deutschen; warum auch sollten sich Deutsche, wie Biller vorschlägt, für bosnische Massaker, die ein bosnischer Migrant, oder türkische Familienprobleme, die eine Deutsche türkischer Herkunft beschreibt, interessieren? Das ist der Unterschied zu den von ihm vorbildhaft beschworenen USA, wo Einwanderer zwar Migrantenprobleme beschreiben, aber zweifellos als US-Amerikaner und als amerikanische Probleme. Kein Wunder jedoch, denn da sind alle Migranten.

Einerseits muss man in Deutschland den Verdacht haben, dass Leute wie Kermani, Akin und Zaimoglu in die Rolle der Spezialisten für Themen, die von ihnen vielleicht gerade von den sich für besonders tolerant haltenden deutschen Kulturlinken erwartet werden, gedrängt worden sind. Feridun Zaimoglu hat das auch einmal explizit festgestellt: „Wegen meiner Biografie und meines Namens werde ich automatisch der orientalischen Seite zugeschlagen.“ Die kreative Phantasie dieser Künstler dürfte aber über Betrachtungen eigener Erfahrungen hinausgehen.

Dennoch scheint es andererseits für die Autoren selbst sehr schwer zu sein, von der Selbstbespiegelung und Nabelschau wegzukommen. Auch Mely Kiyak, in Sulingen geboren, hat nach einem Studium am Deutschen Literaturinstitut Leipzig Bücher vorwiegend zu türkischen Themen publiziert. „10 für Deutschland“ stellte türkischstämmige Abgeordnete vor, der Titel „Istanbul Notizen“ spricht für sich selbst und auch der autobiografische Roman „Herr Kiyak dachte, jetzt fängt der schöne Teil des Lebens an“ thematisiert die Situation des Migranten. Leider handelt es sich auch um die Autorin, die wegen des Versagens der Behörden in der NSU-Mordserie nicht glaubte, „dass die Generation Mölln, Solingen, Lichtenhagen dieses Mal Gras über die Sache wachsen lassen wird“, also implizit mit (Gegen-)Gewalt drohte. Frau Kiyak wird zwar in der „Zeit“ zu europäischen Themen befragt und unterstellt dann Schriftstellern, sie nähmen „rechtes Gedankengut“ in ihre Bücher auf, wozu ihrer Meinung nach die Bezeichnung Europas als „christliches Abendland“ zählt, kommt damit aber letztlich nicht weg von ihrer Rolle als „bikultureller“ Autorin, die ständig aus der Türkei berichten darf. Sie ist eigentlich geistig eine türkische Autorin, die deutsch schreibt.

Im Gegensatz zu allen diesen und vielen anderen Autoren „mit Migrationshintergrund“, wie es so schön heißt, hat Akif Pirinçci von Anfang an jede Orient-, Islam- und Türkentümelei vermieden. Er ist ohne jeden Zweifel ein deutscher Schriftsteller. Er hat sich von Anfang an freigeschwommen. Sein erster Roman schon war die in hohem Maße anrührende Liebesgeschichte eines Deutschen, der Akif heißt. Es folgten die Katzenkrimis, aber auch Romane mit anderen, häufig fantastischen Themen, die deswegen keineswegs gesellschaftlich unverbindlich sind. Darum – und hier sieht man den Anteil an Schuld der migrantischen Autoren an ihrem Elend – wird er auch nicht mit Fragen zur Türkei behelligt. Er ist kein Quotentürke, der von den deutschen Medien immer wieder in die Position gedrängt wird, die Situation im Gezi-Park zu kommentieren. Warum auch? Wieso sollte ausgerechnet er, ein deutscher Schriftsteller, darüber besser Bescheid wissen als irgend ein anderer deutscher Autor? Er ist der Beweis dafür, dass viele migrantische Autoren nicht vom Literaturbetrieb in die bikulturelle Ecke gedrängt wurden, sondern selbst nicht fähig sind, die Kultur ihrer Vorfahren zu verlassen.  Nun hat er sich mit seinem ersten Sachbuch zur politischen und kulturellen Situation in Deutschland zu Wort gemeldet. Seine türkische Herkunft mag ihm vielleicht einen perspektivischen Vorteil verschaffen; die Sorge um seine Heimat Deutschland ist einfach authentisch. Dieser originelle Beitrag zur Debattenkultur ("Wutschrift") und zur Integration ist nicht zuletzt wegen Pirinçcis eben beschriebener Unabhängigkeit so überzeugend.

Für die Inhalte der Blogs und Kolumnen sind die jeweiligen Blogger verantwortlich. Die Beiträge der Blogger und Gastautoren geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion oder des Herausgebers wieder.

Ihnen hat der Artikel gefallen? Bitte
unterstützen Sie mit einer Spende unsere
unabhängige Berichterstattung.

Abonnieren Sie jetzt hier unseren Newsletter: Newsletter

Kommentare zum Artikel

Bitte beachten Sie beim Verfassen eines Kommentars die Regeln höflicher Kommunikation.

Gravatar: Adorján Kovács

@qed
Nicht wirklich das, was ich meinte. Jedoch: "Jubelperser" für Kermani wg. seiner Rede im Bundestag, das ist witzig.

Gravatar: qed

In der Tat ist sog. 'Deutsche Literatur' verkommen zu sentimentalen Büßerhemdgeschichtlein à la Anne Frank in immer neuen Variationen- kein Monat vergeht ohne Neuerscheinung über Kollektivschuld, Holocaust und Naziväter- schließlich entstammen diese Schreiberlinge (ich merke mir nicht mehr auch nur einen einzigen Namen) einer Generation, für die in der Schule ausnahmslos grünrote Politkommissare die Deutsche Geschichte 1914 beginnen und 1945 enden ließen.
Was Wunder, wenn es ihnen die Kriegsgewinnler aus dem Orient nachtun.

Allerdings ist Navid Kermani ein besonderes Narrenstück gelungen mit seiner peinlichen Lobhudelei auf die freiheitlichdemokratischegrundordnungundso- endlich weiß nun auch der Blödeste, was mit einem 'Jubelperser' gemeint ist.

Gravatar: Helene

Crono hat recht. Von dieser Seite habe ich das noch nicht betrachtet. Aber das Dargelegte ist sehr bedenkenswert.

Gravatar: Crono

Wie immer, ein hervorhangender Artikel.
Danke sehr, Herr Kovács.

Schreiben Sie einen Kommentar


(erforderlich)

Zum Anfang