Der Fall Bengtsson: Climategate reloaded

Angenommen, ein Arbeitskollege entscheidet sich, wahlweise den Scientologen, dem Ku-Klux-Klan oder sonst irgendwelchen Faschisten beizutreten. Würde ich mit dieser Person noch zusammenarbeiten wollen? Ganz sicher nicht.

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Angenommen, besagter Kollege tritt Greenpeace bei, der ÖDP oder sonst einem Ökologistenclub? Könnte ich dann so weiter machen wie bislang? Aber sicher. Nicht, weil äußere Umstände mich dazu zwingen würden. Erstens könnte ich ein anderes Verhalten vor mir selbst nicht rechtfertigen. Und zweitens käme ich überhaupt nicht auf die Idee, dem Kollegen nun anders gegenüberzutreten, als vorher.

In meinem beruflichen Umfeld, ob Mitarbeiter, Kooperationspartner oder Kunden, treffe ich auf Menschen, die so ziemlich jede denkbare politische Sichtweise abdecken. Ich stecke den Kopf mit Genossen zusammen, mit Grünen, mit erzkonservativen Christdemokraten, mit Liberalen und Libertären, mit Kommunisten und Sozialisten. Da gibt es die NABU-Aktivistin ebenso, wie den BUND-Funktionär oder den Windkraft-Lobbyisten. Ich rede mit allen. Ich streite mit allen. Ich einige mich mit allen. Immer wieder aufs Neue. Meine Güte, eine gute Freundin der Familie ist Molekularbiologin. Überzeugt davon, Gott habe die Welt erschaffen und der Mensch würde diese – durch Kohlendioxid – nun vernichten. Was soll man da machen?

Alle diese vielen verschiedenen Menschen mit ihren vielen differierenden Meinungen kennen meine Auffassungen. Einige davon lesen auch hier mit. Schließlich blogge ich unter meinem realen Namen, ich trete für meine Überzeugungen mit offenem Visier ein, online und offline. Ich höre keine bösen Worte. Ich erlebe keine Versuche, mich zu bekehren. Beschimpfungen und Beleidigungen gibt es nur von unter Pseudonym agierenden Feiglingen im Internet. Im realen Leben kommt derlei nicht vor. Übrigens gab es auch nie einen Versuch, weder von Arbeitgebern, noch von Kunden oder Kooperationspartnern, mich mundtot zu machen. Ganz im Gegenteil, statt mich zu bedrohen, werde ich gezielt in bestimmte Projekte eingebunden, in Arbeitsgruppen, Gremien und Kommissionen berufen, weil man in der Suppe ein Haar vermutet. Weil man den benötigt, der es auch findet. Da sitze ich dann den sogenannten “Vertretern der Zivilgesellschaft” gegenüber. Auch so ein schlimmer Euphemismus, der eigentlich Umverteiler, Fortschrittsfeinde und Ökologisten meint. Mit denen diskutiere ich dann leidenschaftlich über Nachhaltigkeit und Vorsorge. Und anschließend kann ich immer noch mit allen einen trinken und ebenso leidenschaftlich über Fußball streiten. Weil man sich in der Sache uneins ist, aber die Integrität der Person niemals anzweifelt.

Lennart Bengtsson hat völlig andere Erfahrungen gemacht. Nach nur wenigen Tagen gab er sein neuestes Ehrenamt, dieMitgliedschaft im Fachbeirat der Global Warming Policy Foundation GWPF wieder auf.

Sein Rücktrittsschreiben an den Beiratsvorsitzenden Henderson wird überall im Web (ich verweise hier nur beispielhaft auf die intensive Debatte auf der Klimazwiebel) gleichlautend wie folgt wiedergegeben:

Dear Professor Henderson,

I have been put under such an enormous group pressure in recent days from all over the world that has become virtually unbearable to me. If this is going to continue I will be unable to conduct my normal work and will even start to worry about my health and safety. I see therefore no other way out therefore than resigning from GWPF. I had not expecting such an enormous world-wide pressure put at me from a community that I have been close to all my active life. Colleagues are withdrawing their support, other colleagues are withdrawing from joint authorship etc.

I see no limit and end to what will happen. It is a situation that reminds me about the time of McCarthy. I would never have expecting anything similar in such an original peaceful community as meteorology. Apparently it has been transformed in recent years.

Under these situation I will be unable to contribute positively to the work of GWPF and consequently therefore I believe it is the best for me to reverse my decision to join its Board at the earliest possible time.

With my best regards

Lennart Bengtsson

Gruppendruck? Nicht mehr auszuhalten? Angst um Gesundheit und Sicherheit? Ziemlich starke Worte. Und ganz sicher hätte Bengtsson nicht solche Formulierungen gebraucht, würde er es nicht auch genau so empfinden.

Die Diskussion in der Blogosphäre kocht seit Tagen allüberall. Leitmedien im angelsächsischen Sprachraum, aber mit Spiegel Online auch in Deutschland, widmen sich der Angelegenheit. Toleranz und Akzeptanz sind oft gebrauchte Begriffe, die Affäre solle nicht hinzunehmende Mängel in dieser Hinsicht in der Gemeinde der Klimaforscher dokumentieren. Ich denke, dies ist nicht der Kern der Sache. Die Perspektive auf eine vermutete oder gefühlte Diskriminierung Bengtssons zu verengen, verstellt den Blick auf das tatsächliche, viel schwerwiegendere Problem. Schließlich hätte Bengtsson sich nicht diskriminieren lassen müssen.

Zwei Dinge sind grundlegend für jede Form von Zivilisation, in der Menschen nicht dazu übergehen, sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen. Toleranz und Akzeptanz sind es gerade nicht. Mit meiner Toleranz in politischen Fragen ist es jedenfalls nicht weit her und akzeptieren kann ich ohnehin nur, was ich selbst auch vertrete. Wir leben in einer individualisierten und fragmentierten Welt in der für den einzelnen am Ende nur die eigene Erkenntnis, die persönliche Einstellung, als sinnvoller Maßstab bleibt. Jedenfalls für diejenigen, die nicht zu faul zum Selberdenken sind. Andererseits bietet die moderne Welt eine zu große Zahl an Möglichkeiten der Lebensgestaltung, als daß diese jemals alle von jedem wahrgenommen werden könnten. Deswegen lebt jeder von uns seiner eigenen, einzigartigen und unvergleichbaren Sphäre.

Zwei Dinge sind grundlegend für jede Form von Zivilisation, und zwar Respekt und Gleichgültigkeit. Das ist, was ich von jedem Mitmenschen in Bezug auf meine Person einfordere und das ist, was ich auch jedem Mitmenschen im Gegenzug anbiete. Alle diese supertoleranten Akzeptierer können mir gestohlen bleiben. Schließlich hindert mich niemand, so zu leben, wie ich das möchte. Auf Mitleid bin ich nicht angewiesen. Ganz im Gegenteil: Wer auch immer mir versichert, er würde meine klimaskeptische Haltung “tolerieren”, der würdigt mich herab. Denn was einer Berücksichtigung wert ist, das wird nicht toleriert oder akzeptiert, sondern bestritten. Oder übernommen. Respekt bedeutet, sich mit seinem Kontrahenten auseinanderzusetzen und nicht, seine Auffassung als irrelevant hinwegzutolerieren. Respekt bedeutet, die Möglichkeit des eigenen Irrtums in sein Kalkül einzubeziehen. Respekt bedeutet, sich selbst nicht als den universalen Maßstab für alle Fragen anzusehen, sondern seinem Gegner ein Recht auf eine eigene Wahrheit zuzubilligen. Denn man kann nichts erzwingen. Menschen sollten nicht nach ihren politischen Auffassungen bewertet werden. Mir ist gleichgültig, welcher Richtung die Kollegen zuneigen. Solange diesen ebenso gleichgültig ist, was ich denke. Meine Güte, in meiner kleinen Firma finden sich Juden, Moslems, in der Kirche engagierte Christen und Atheisten wie mich. Es ist egal, wir mögen und respektieren uns alle. Und können sehr gut zielgerichtet zusammenwirken.

Deswegen würde es mit den zu Anfang genannten Fundamentalisten nicht funktionieren. Weil diese zu Respekt und Gleichgültigkeit nicht in der Lage sind. Sondern ihr Weltbild als das einzig vertretbare ansehen und keine andere Wahrheit dulden können. Weil diese Andersdenkende, die man nicht missionieren kann, vernichten müssen, um ihre Einstellung vor sich selbst zu bestätigen. In welcher Form daher beispielsweise Faschismus und Rassismus einen Rückfall in die Barbarei bedingen, bedarf keiner weiteren Beschreibung.

Nichts liegt mir ferner, als die Causa Bengtsson unnötig zu dramatisieren. Aber der Vorgang verdeutlicht, worum es in der Klimadebatte wirklich geht. Nicht um Wissenschaft jedenfalls, nicht um die Frage, ob denn der Stand des Wissens über das Klimasystem durch das IPCC richtig wiedergegeben wird oder nicht. Es geht um die Unterordnung von Wissenschaft unter eine Ideologie, die fundamentalen Charakter anzunehmen beginnt. All die Forscher, die Bengtsson auf unterschiedliche Weise unter Druck gesetzt haben, sollten sich selbst folgende Fragen stellen: Warum kann ich eigentlich einen Abweichler nicht dulden? Warum kann ich die wissenschaftliche Expertise eines Fachkollegen nicht respektieren, unabhängig von seiner politischen Meinung? Warum ist es mir nicht gleichgültig, welche Empfehlungen für die Politik andere Wissenschaftler aus ihren Erkenntnissen ableiten? Warum eigentlich sollte die Erforschung des irdischen Klimasystems überhaupt eine politische Relevanz haben? Warum wäre es schlimm, wäre es anders?

Die Unfähigkeit zur Selbstreflektion ist ein Wesensmerkmal aller fundamentalistischer Ideologien. Wir haben hier bei Science Skeptical schon oft thematisiert, daß der Ökologismus, insbesondere die Phantasie von der bevorstehenden oder bereits eintretenden Klimakatastrophe, auf dem Weg dorthin schon weit vorangeschritten ist. Dieser Blog startete vor einigen Jahren, als mit Climategate ein erstes Signal dies auch der breiten Öffentlichkeit verdeutlichte. Der Fall Bengtsson ist in gewisser Weise eine Fortsetzung dieser Geschichte. Es hat sich nichts geändert, es ist nicht besser geworden.

Beitrag erschien auch auf: science-skeptical.de

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Gravatar: Hans Meier

Es zeigt sich wie dogmatisch sich eine als politisch, modische „Klima-Burschenschaft“ eingerichtet hat und sich rachsüchtig abschirmt.
Kritik oder neutrale wissenschaftliche Unvoreingenommenheit, wird als störendes Vergehen geahndet, denn die „Klima-Burschen“ am Versorgungs-Trog, sind zwar weiterhin nicht in der Lage, das Wettergeschehen, z.B. der nächsten drei Monate, präzise zu prognostizieren, bedrohen aber Jeden der ihre Langzeitprognosen der zukünftigen Klima-Szenarien in Frage stellt.
Obwohl diese Zukunfts-Prognosen lediglich beliebige Rechnermodellkurven darstellen ohne jeden echten Praxisbezug aber ihre Kurven-Grafiker werden aus politischen Töpfen alimentiert, um auftragsgemäß unsinnige Lobbypolitik zu empfehlen, mit der sich sehr viel Geld abgreifen lässt.
So hat wohl leider jede Epoche ihre eigenen esoterischen Mythen, in denen schon mal „wissenschaftlich“ Köpfe vermessen werden, „wissenschaftliche“ Nachfolger Klimamodelle „aus- und ent-wickeln“, im gleichen Trend, „Gender-Lehrstühle“ einrichten und eigentlich „Schabernack als Wissenschaft vermarkten“.
Liberal und tolerant sind Eigenschaften, die in einer substanziellen Wissenschaftsatmosphäre, den Wettbewerb, die Diskussion und das Bemühen um die rationale Weiterentwicklung wissenschaftlicher Erkenntnisse erst ermöglichen.
In Zeiten wo der liberale Geist einer aufgeklärten Kultur abhandenkommt, korrumpieren hässliche Hofschranzen nicht nur Wissenschaftler, sondern ihre hinterhältigen, manipulierenden Machtstrukturen nehmen Einfluss bis in die Wissenschaften und die steigenden Abgaben im Alltag der Untertanen, die das sich erneut etablierende Hofschranzentum wie einen neuen Feudalismus finanziert.
Darum brauchen wir dringend viel mehr direkte Demokratie, mit Volksabstimmungen statt einer Re-Installation eines repräsentativen Feudalismus.

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