Der Fall Bengtsson

Die Naturwissenschaft ist voller offener Fragen, auf die verschiedene Forscher unterschiedliche Antworten geben. Daraus entstehen Diskussionen, die manchmal auch heftig verlaufen.

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Obwohl viele ungeklärte Hypothesen Grundlegendes betreffen, man denke an die Funktionen unseres Gehirns, an die Entstehung und die Entwicklung des Kosmos, an die innere Struktur der Materie, werden diese Auseinandersetzungen in der Öffentlichkeit – wenn überhaupt – nur beobachtend und mit distanziertem Interesse wahrgenommen. Manche, die sich der Wissenschaftskommunikation verschrieben haben, bedauern das. Aber es ist kaum zu ändern, da der verstehende Zugang zu solchen Themen eine intensive Auseinandersetzung erfordert, die weder Wirtschaftsführer, noch Politiker oder Journalisten und schon gar nicht die breite Bevölkerung leisten können oder wollen. Und es hat auch etwas Gutes. Denn der Abstand zu den für die Tagespolitik relevanten gesellschaftlichen Debatten schafft erst den Freiraum, in dem die Wissenschaft Erkenntnisfortschritte nach ihren eigenen erprobten Regeln erzielen kann.

Zuviel Nähe zur Politik hingegen birgt die Gefahr der Vereinnahmung und Instrumentalisierung. Die Eugeniker des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts beriefen sich auf die Evolutionstheorie. Sie waren fest davon überzeugt, mit ihren Konzepten Gutes bewirken zu können. Tatsächlich aber öffneten sie Tür und Tor für totalitäre, rassistische Ideologien und furchtbare, staatlich sanktionierte Verbrechen. Auch Trofim Lyssenko wollte eigentlich nur ein Wohltäter sein. Erreicht hat er nichts anderes als den Hungertod von Millionen Menschen und ein jahrzehntelanges Bremsen der biologischen Forschung in der damaligen Sowjetunion.

Die Unfähigkeit von Gesellschaften, aus solchen Beispielen zu lernen, scheint eine Konstante zu sein. Jedenfalls sind nur wenige dazu in der Lage, ähnliche Prozesse in der Gegenwart zu erkennen und gegen diese die Stimme zu erheben. Man nennt diese Menschen Klimaskeptiker. Ich gehöre übrigens dazu, was regelmäßige Leser dieser Seite nicht überraschen wird. Meine Skepsis speist sich nicht aus der Ablehnung der Forschung, sondern aus ihrer Anerkennung. Denn Skepsis und Wissenschaft sind nur Synonyme, die ein und dasselbe beschreiben: Den Wunsch, die Welt besser zu verstehen. Auf Spiegel-Online führt (Zitat) “einer der renommiertesten Klimaforscher”, der Meteorologe Lennart Bengtsson dazu aus:

Ich bin immer ein Skeptiker gewesen, und ich glaube, das ist es, was die meisten Wissenschaftler wirklich sind.

Seine Entscheidung, dem Fachbeirat der Global Warming Policy Foundation GWPF beizutreten, also seine Expertise in die Arbeit einer der prominentesten und bedeutendsten klimaskeptischen Denkfabriken einzubringen, ist vor diesem Hintergrund verständlich. Viel Aufregung verursachte der Vorgang in den letzten Tagen, Georg Hoffmann äußerte sich ebenso, wie Hans von Storch und Pierre Gosselin. Einmal mehr ist es die Blogosphäre, die den Spiegel auf die Geschichte aufmerksam macht. Weitere Mainstream-Medien werden folgen, da kann man sicher sein.

Eigentlich sind doch die Fragen nach dem Aufbau des irdischen Klimasystems, nach den wirkenden Prozessen und deren gegenseitiger Beeinflussung, nach der Größe der Klimasensitivität und dem Einfluß menschlicher Aktivitäten auf all dies von eher akademischen Interesse. Die Öffentlichkeit wäre allenfalls tangiert, wenn man aus diesbezüglichen Hypothesen und Theorien bessere Wettervorhersagen ableiten könnte. Nur ein solcher Zusammenhang könnte jedenfalls unsere Leitmedien bewegen, das Thema intensiver zu kommunizieren. Wäre da nicht die Phantasie von der drohenden Klimakatastrophe, die ihren Weg in die Politik im Jahr 1988 fand. In “Wie alles begann…” beschreibe ich den Vorgang. Ich möchte hier erneut Fred Singers berühmten Artikel “Fact and Fancy on Greenhouse Earth” aus dem Wall Street Journal eben dieses Jahres zitieren:

A hot summer, plus drought in parts of the U.S. has renewed longstanding concerns about the atmospheric greenhouse effect and spawned both doomsday scenarios and legislative proposals to stabilize the climate. As usual, we are dealing with a mixture of fact and fancy. Here are some of the facts:

     

  • The concentration of several minor atmospheric constituents is increasing because of human activities. These trace gases include carbon dioxide, mainly from fossil-fuel burning and cutting down of forests; nitrous oxide, mainly from fertilizers; methane from a variety of natural and human sources; and chlorofluorocarbons (CFC’s), synthetic chemicals widely used in refrigeration, air conditions and plastic-foam manufacture.
  • These molecules, because of their inherent radiative properties, enhance the normal greenhouse effect of the atmosphere that relies mainly on existing water vapor and carbon dioxide.
  • The enhanced greenhouse effect should increase the earth’s average temperature provided that all other factors remain the same. Any climatic change has a multitude of consequences; some are beneficial, many are not.
  •  

Aside from these facts, all the rest is theory at best, speculation at worst. The crucial issue is to what extent “other factors remain the same.” In technical language; Will changes in the atmosphere, ocean or land surface reinforce the climate change (thus causing positive feedback) or will these changes counteract and partly cancel the climate warming (negative feedback)? For example, as oceans warm and more water vapor enters the atmosphere, the greenhouse effect will increase somewhat, but so should cloudiness – which can keep out incoming solar radiation and thereby reduce the warming.

In nur wenigen Sätzen erläutert Singer die Sicherheiten und Unsicherheiten in der Klimaforschung. Und bis heute, mehr als 25 Jahre danach, hat sich nichts an diesen geändert. So funktioniert Wissenschaft. Jede neue Antwort eröffnet ein Vielfaches an neuen Fragen, von denen man bislang nicht einmal wußte, daß man sie der Natur stellen könnte. Forschung ermöglicht eben auch die immer genauere Kenntnis über den zunehmenden Umfang des Unbekannten.

Es ist daher nicht die Forschung an sich, die Skeptiker wie mich auf den Plan rief. Es ist ihre Vereinnahmung durch die Politik, ihre Instrumentalisierung für Partikularinteressen, von der Gefahr ausgeht. Erstens für die Forschung selbst, denn als Fundament einer Ideologie ist sie nur nützlich, wenn der Stand des Wissens endgültigen Charakter annimmt. Man denke nur an Al Gores Ausruf “The science is settled”. Weiterer Erkenntnisgewinn kann eben nur dann in gewünschter Weise politisch instrumentalisiert werden, wenn er der etablierten Strategie nicht widerspricht. Zwangsläufig ist die Wissenschaft durch die Politik in geeigneter Weise zu lenken. Über die Strukturen des IPCC wurde eine derartige Einflußnahme über die Jahrzehnte hinweg schleichend etabliert. Man konnte auf diese Weise mit einem “Konsens” argumentieren. Bengtsson führt dazu aus:

SPIEGEL ONLINE: Und hier sehen Sie Nachholbedarf in der Klimaforschung?

Bengtsson: Es ist frustrierend, dass die Klimawissenschaft nicht in der Lage ist, ihre Simulationen richtig zu validieren. Die Erwärmung der Erde verlief seit dem Ende des 20. Jahrhunderts deutlich schwächer, als es Klimamodelle anzeigen.

SPIEGEL ONLINE: Aber der Uno-Klimabericht diskutiert diese Probleme doch im Detail.

Bengtsson: Ja, aber er tut es nicht ausreichend kritisch. Ich habe großen Respekt für die wissenschaftliche Arbeit hinter den IPCC-Berichten. Aber ich sehe keine Notwendigkeit für das Bestreben des IPCC, einen Konsens herbeizuführen. Ich halte es für essentiell, dass es Gesellschaftsbereiche gibt, wo kein Konsens erzwungen wird. Gerade in einem Gebiet, das so unvollständig verstanden ist wie das Klimasystem, ist ein Konsens sinnlos.

Aber Al Gore hatte noch mehr Gift im Köcher: “This is not a partisan issue, this is a moral issue”. Frei übersetzt und erläutert: Es handele sich um eine moralische Frage, die von allen politischen Richtungen gleich beantwortet werden muß.

Die Dynamik des Klimasystems? Eine moralische Frage?

Klimaskeptizismus bedeutet, die Ausrichtung der Klimaforschung an moralischen Vorstellungen nicht zuzulassen. Denn ihr Untersuchungsgegenstand kennt keine Moral, folgt keinen menschlichen Konstruktionen von “verwerflichem” oder “begrüßenswertem” Handeln. Die Freiheit der Forschung ist massiv gefährdet, wenn Interpretationen gewonnener Daten unterdrückt oder gezielt marginalisiert werden, weil sie die moralische Aufladung des Themas nicht stützen.

Es ist ja nicht allein die Phantasie von der bevorstehenden Klimakatastrophe, die die Debatte ausmacht. Viel wichtiger ist deren Verwendung zur Unterstützung des Konzeptes der Nachhaltigkeit. Das da vorsieht, wir hätten eher Verantwortung für kommende Generationen zu tragen, statt Verantwortung für die gegenwärtigen. Auch hierzu hat Bengtsson etwas anzumerken:

Ich war mein Leben lang fasziniert von Vorhersagen und frustriert von unserer Unfähigkeit, Prognosen zu treffen. Ich glaube nicht, dass es Sinn ergibt für unsere Generation zu glauben, dass wir die Probleme für die Zukunft lösen – aus dem Grund, dass wir die Probleme nicht kennen. Machen wir ein Gedankenexperiment und bewegen uns zurück in den Mai 1914: Versuchen wir aus der Sicht von früher einen Aktionsplan für die nächsten hundert Jahre – es wäre sinnlos!

Gerade der mit unverhohlenem Unverständnis auf Bengtssons Seitenwechsel reagierende Spiegel hat durch die Übernahmeeines Textes aus dem Magazin enorm seinen Lesern die Folgen der politischen Instrumentalisierung von Wissenschaft plastisch vor Augen geführt. Die Nachhaltigkeitsideologie basiert auf der Idee von Grenzen, die Forscher erkannt zu haben glauben. Die Klimafrage ist letztlich auch eine solche, vielleicht sogar die zentrale. Denn die Alarmisten hängen dem Glauben an, der Kohlendioxid-Gehalt der Atmosphäre dürfe nur bis zu einem bestimmten Punkt steigen, um nicht den Weltuntergang zu riskieren. Daher wollen sie die Gesellschaft transformieren, Verzicht und Selbstkasteiung erwarten sie von jedem Individuum. Wenn diese aber nicht wollen, dann müssen entsprechende Gesetze her, Verbote und Beschränkungen. Und am Ende steht gar die Idee von der (Zitat) “geistigen Umprogrammierung”.

Spiegel-Umweltredakteur Axel Bojanowski leitet sein Interview mit Bengtsson auf folgende Weise ein:

Die GWPF, also die “Klimawandel-Politik-Stiftung”, ist eine gemeinnützige Organisation aus Großbritannien, die sich als “Denkfabrik” bezeichnet. Sie wurde 2009 von dem konservativen Politiker Nigel Lawson gegründet, um angebliche Überreaktionen gegen die globale Erwärmung zu verhindern. Ihr Ziel verfolgt sie mit kämpferischen Informationskampagnen. Der Tenor: Der Klimawandel werde als Problem überschätzt.

Die propagierte geistige Umprogrammierung ist also keine “Überreaktion”? Nach Bojanowskis Meinung kann es scheinbar keine solche geben. Sind wir denn schon so weit, daß Untergangsphantasien nicht mehr hinterfragt werden dürfen, sondern alles rechtfertigen?

Über die GWPF hat Bojanowski nur folgendes zu sagen:

Die Lobbygruppe steht in krassem Gegensatz zu den Ergebnissen des Uno-Klimarats IPCC, für den Hunderte Wissenschaftler in jahrelanger Arbeit das Klimawissen bewerten und einordnen. Dem aktuellen Stand des IPCC zufolge droht aufgrund des menschengemachten Treibhausgas-Ausstoßes eine erhebliche weltweite Erwärmung mit schweren Umweltfolgen.

Die GWPF dagegen schreibt über sich selbst:

We have developed a distinct set of principles that set us apart from most other stakeholders in the climate debates:

     

  • The GWPF does not have an official or shared view about the science of global warming – although we are of course aware that this issue is not yet settled.
  • On climate science, our members and supporters cover a broad range of different views, from the IPCC position through agnosticism to outright scepticism.
  • Our main focus is to analyse global warming policies and their economic and other implications. Our aim is to provide the most robust and reliable economic analysis and advice.
  • We regard observational evidence and understanding the present as more important and more reliable than computer modelling or predicting the distant future.
  •  

Above all we seek to inform the media, politicians and the public, in a newsworthy way, on the subject in general and on the misinformation to which they are all too frequently being subjected at the present time.

Es geht dieser Organisation also um Klimapolitik, Herr Bojanowski, nicht um Klimaforschung. Die Berichte des IPCC können und müssen interpretiert werden. Nicht die Wissenschaft determiniert politische Entscheidungen. Sondern demokratische Prozesse des Aushandelns von Kompromissen zwischen differierenden Interessen. Den Wunsch nach einer Debatte über die Interpretation der IPCC-Berichte und über die aus ihnen zu ziehenden Folgerungen zu tabuisieren, ist totalitäres Denken in Reinkultur. Was soll nur mit denen geschehen, die sich dieser geistigen Umprogrammierung konsequent widersetzen? Mich schaudert.

Klimaskeptizismus bedeutet, Angst als Mittel der Politik nicht zu akzeptieren. Denn Furcht schaltet den Verstand aus und verhindert den Blick auf bessere Alternativen. Bengtsson hat sich einen rationalen Blick bewahrt:

[...] aber ich glaube, die beste und vielleicht einzige vernünftige Politik für die Zukunft ist, die Gesellschaft mit Anpassung auf einen Wandel vorzubereiten. In einer Welt von neun bis zehn Milliarden Menschen in den kommenden 25 Jahren, die doppelt so viel Primärenergie wie heute erfordern wird, müssen wir neue Wissenschaft und Technologie fördern. Wir brauchen gerade in Europa dafür einen offeneren Zugang, einschließlich der Themen Kernenergie und Gentechnologie, um die wachsende Weltbevölkerung mit Energie und Nahrung versorgen zu können.

Vor diesem Hintergrund kann sein Schritt eigentlich niemanden wirklich überraschen. Mich erstaunt eher, warum Bengtsson sich erst so spät dazu durchgerungen hat, quasi im Herbst seiner Karriere. Und mich erstaunt auch, warum nicht noch viel mehr seiner Kollegen es ihm gleichtun. Aber vielleicht ist es eine Initialzündung.

Beitrag erschien auch auf: science-skeptical.de

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