Der Euro bleibt, aber Europa bröckelt

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Dieser vermeintliche Blick durchs Brüsseler Schlüsselloch liest sich streckenweise so zäh wie Kaugummi. Schon der Titel des Buches heischt nach Aufmerksamkeit: „Europas Strippenzieher. Wer in Brüssel wirklich regiert“. Überraschungen bietet das Werk nicht. Wen wundert es denn, dass in Brüssel nicht viel passiert, was nicht auf die Weisung der EU-Staats- und Regierungschefs zurückgeht? Dass Berlin die eigentliche Hauptstadt Europa sein soll, liest sich wie ein Vorwurf und ist ein Treppenwitz in einer Zeit, in der Deutschland zur Übernahme von mehr Verantwortung und Führung in Europa aufgefordert wird.

Cerstin Gammelin (Süddeutsche Zeitung) und Raimund Löw (ORF) wollen erkennbar einen journalistischen Coup landen. Da passt es gut, dass vom 22. bis 25. Mai dieses Jahres die Bürger in den 28 europäischen Ländern zur Wahlurne gehen. Ob die 400-Seiten-Scharte im Jahr der Europawahlen „ein unverzichtbares Buch“ darstellt, muss mit einem Fragezeichen versehen werden. Aufmerksamkeit ist jedenfalls garantiert.

Die beiden Autoren haben sich eine Menge vorgenommen. Sie beschreiben die politischen Allianzen in Europa, widmen sich der Bankenrettung, nehmen die Brüsseler Gesetzgebung ins Visier, beleuchten die Rolle der Medien, untersuchen die europäische Außenpolitik und arbeiten sich an Angela Merkel, der europäischen „Monarchin“ ab. Sie stützen sich dabei auf streng vertrauliche Protokolle vergangener EU-Gipfel. Dies macht die Lektüre nicht immer spannender, und zur Erhellung tragen sie auch nicht viel bei.

Erkennbar schreiben die beiden linken Journalisten gegen Angela Merkel an, die in Deutschland den sozialdemokratischen Konsens pflege, in Europa aber knallhart deutsche Interessen vertrete. Sollte diese Befund stimmen, so müsste man sagen: Damit verhält sich die Kanzlerin nicht anders als die übrigen Staats- und Regierungschefs. Denn Nationen pflegen nun einmal keine Freundschaften, sondern vertreten ihre ureigenen Interessen. Nur bei uns scheint dies ein wenig aus der Mode gekommen zu sein.

Geradezu rührend liest sich der Appell: „Die Nationen Europas müssen großzügig miteinander umgehen, um zusammenleben zu können“. Bei der Lektüre beschleicht einen zunehmend der Verdacht, dass dieses Rezept vor allem den ökonomisch schwächeren Südländern zugute käme. So plädieren Gammelin und Löw für eine einheitliche europäische Sozial- und Lohnpolitik. Auch eine gemeinsame europäische Arbeitslosenversicherung halten sie für unverzichtbar.  Angeblich hat Deutschland bisher finanziell von der Krise des Euro nur profitiert: „Deutsche Staatsanleihen sind begehrt. Italienische und spanische weniger. Zwischen der Bundesrepublik und anderen Staaten Europas wächst rein volkswirtschaftlich ein immer tieferer Graben“.

Aus Sicht der Südländer ist es interessenpolitisch ja nur vernünftig, immer mehr Europa zu fordern. Die EU als Schuldenunion mit Länderfinanzausgleich bringt Griechenland, Italien und Spanien viel, Deutschland aber wenig. Ob die beiden Autoren mit ihrer Schelte gegenüber den angeblich hartherzigen Nordländern mit der besonders eiskalten „Merkiavelli“ (Ulrich Beck) an der Spitze wohl mehr Europabegeisterung schüren werden? Vielleicht dann, wenn diese vergessen, dass sich das Sparen wegen der Minizinsen kaum noch lohnt und die Vermögensverteilung in Europa Deutschland ein ganz schönes Stück ärmer erscheinen lässt.

Als Strafe für ihre jahrelange Lohnzurückhaltung und ihre wettbewerbsfähigere Wirtschaft sollen die Deutschen nun auch noch mit Eurobonds und einem europäischen Lastenausgleich bedacht werden. Angesichts dieser trüben Aussichten kann sich kein verantwortlicher deutscher Politiker mehr die Vereinigten Staaten von Europa wünschen. Ursula von der Leyen tut es dennoch.

Entgegen der Wunschgebilde von Intellektuellen wie Robert Menasse oder Jürgen Habermas ist das Europa der Vaterländer tagtägliche Realität. Und dies ist auch gut so. Wer dieses Buch wutschnaubend oder auch nur zähneknirschend aus der Hand legt, sollte zu Dominik Gepperts Studie „Ein Europa, das es nicht gibt“ greifen. Dessen Leitbild einer offeneren, vielseitigeren und dezentraleren EU dürfte dem Wunsch der meisten deutschen Bürger und Wähler viel mehr entsprechen als dem durchsichtigen Versuch von Gammelin und Löw, in einem immer Mehr an Europa ein Allheilmittel zu sehen. Abseits dieser Unterschiede kommt in beiden Büchern zum Ausdruck: Der Euro hat Europa mehr Fluch als Segen bereitet. Er ist zu einer Gefahr für den Kontinent geworden, der lange verschüttet geglaubte Ressentiments ans Tageslicht befördert.

Cerstin Gammelin / Raimund Löw: Europa Strippenzieher. Wer in Brüssel wirklich regiert. Econ-Verlag, Berlin 2014. 384 Seiten. 19,90 Euro.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Florian Hohenwarter

Dazu passt auch dieses Zitat des Eurokraten Jean-Claude Juncker:

"Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter - Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt." - zitiert von Dirk Koch: Die Brüsseler Republik. Der SPIEGEL 52/1999 vom 27. Dezember 1999, S. 136

Gravatar: Klaus Kolbe

Auch zu diesem Artikel paßt nchfolgender Link mit dem Titel „Europa ist ein Machtprojekt“

http://www.geolitico.de/2014/03/26/europa-ist-ein-machtprojekt/

Die Entwicklung, die diese EU scheinbar unaufhaltsam nimmt, ist eiskalt geplant gewesen.

Auszug:

„Laut Attali soll damals Mitterand mit einer Wiederbelebung der ´Tripple Entente‘ (Militärbündnis von 1907 zwischen Großbritannien, Frankreich und Russlands gegen Deutschland) gedroht haben. Im Januar letzten Jahres (also 2011) ließ Attali die Katze aus dem Sack. In einer Rede über die Eurokrise sagte er, die Krise sei nicht nur vorhersehbar gewesen, man habe sie sogar bewusst geplant, um eine starke europäische Haushaltsföderation zu schaffen.“

Zwei Bewunderer von Monnet, Merry und Serge Bromberger, legten in ihrem Buch: „Jean Monnet und die Vereinigten Staaten von Europa“ seinen Plan dar:
„Allmählich sollten die supranationalen Behörden, die vom Europäischen Ministerrat in Brüssel und dem Europaparlament in Straßburg überwacht werden, die gesamte Politik des Kontinents bestimmen. Der Tag würde kommen, da die Regierungen gezwungen wären, zuzugeben, dass ein integriertes Europa eine vollendete Tatsache ist, ohne dass sie bei der Festlegung seiner Grundlagen auch nur das Geringste zu sagen hätten. Alles, was ihnen noch bliebe, wäre, ihre sämtlichen autonomen Institutionen zu einer einzigen Bundesverwaltung zu verschmelzen und dann die Vereinigten Staaten von Europa zu verkünden.“

Laut Focus 34/ 2010 sagte Monnet:
„Europas Länder sollten in einen Superstaat überführt werden, ohne dass die Bevölkerung versteht, was geschieht. Dies muss schrittweise geschehen, jeweils unter einem wirtschaftlichen Vorwand.“

Bestätigung durch das Verfassungsgericht
Dieses Ziel haben seine Genossen und Nachfolger nie aus dem Auge verloren – bis heute. Aus den Erinnerungen von Hans-Dietrich Genscher geht hervor, dass die Fortführung der europäischen Integration zu einem Bundesstaat zu den Bedingungen der USA für eine Zustimmung zur deutschen Wiedervereinigung 1989 gehörte.

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