Der erste Arbeitsplatz

 

Wenn das Mittel zum Zweck wird

Der Gründung einer Partei geht das dringende Bedürfnis nach Veränderung bestehender Verhältnisse voraus. Eine Bewegung entsteht, der sich immer mehr Menschen anschließen, ein Parteiprogramm wird ausgearbeitet – es beschreibt die Ziele der Partei.
Die Partei ist das Mittel, das einem genau definierten Zweck dient. Die Partei ist Mittel zum Zweck, hat also dienende Funktion. Es scheint ein ehernes Gesetz zu sein, daß ausnahmslos jedes Mittel im Laufe der Zeit selbst zum Zweck wird.

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Das Phänomen der Verzweckung ist bei staatlichen Einrichtungen regelmäßig zu beobachten. Für Behörden, die aufgrund historischer Entwicklungen überflüssig werden, definiert man eiligst neue Aufgabengebiete, um deren Fortbestehen zu sichern. Damit ist der Beweis erbracht, daß die betreffende Einrichtung nicht mehr bloß einem bestimmten Zweck dient. Das institutionelle Weiterbestehen ist zum eigentlichen Zweck geworden.
Dieses Schicksal ereilt alle politische Einrichtungen, gleichgültig, wie human und wohltätig die programmatischen Ziele zur Gründungszeit auch gewesen sein mögen. Eine Erklärung läßt sich unschwer finden, sobald das typische Entwicklungsmustern einer Partei oder Institution betrachtet wird.

Die erste Arbeitskraft

Wer sich entschließt, öffentlich tätig zu werden, muß „sich persönlich einbringen“, wie es auf neudeutsch so hübsch heißt. Für die Erreichung idealistischer Ziele leisten die Parteimitglieder Arbeit, wozu persönliche Freizeit geopfert wird. Ab einem gewissen Zeitpunkt stößt diese altruistische Praxis an ihren natürlichen Schranken.
Auch bezüglich der Finanzierung sind der jungen Partei vorerst enge Grenzen gesetzt. Die anfänglich geringen Ausgaben werden aus Mitgliederbeiträgen und freiwilligen Spenden bestritten. Ist die Summe groß genug, wird eine Schreibkraft eingestellt. Dieser zu einem frühen Zeitpunkt der Parteienexistenz unternommene Schritt ist weichenstellend! Sobald auch nur eine einzige Person ihren Lebensunterhalt ganz oder teilweise aus der Parteientätigkeit bestreitet, schwenkt das Unterfangen unabwendbar in eine neue Richtung. Mit der Schaffung des Arbeitsplatzes werden arbeitsteilige Wirtschaftsprinzipien wirksam; der erste Arbeitsplatz bildet den Keim zur Verzweckung.
Nehmen wir an, die Schreibkraft ist alleinerziehende Mutter. Nehmen wir weiters an, sie kann die Arbeit für die Partei zu Hause erledigen, was ihr ermöglicht, zugleich mütterliche Pflichten zu erfüllen. Nehmen wir noch zusätzlich an, daß sie einen Kredit aufgenommen hat, um den häuslichen Arbeitsplatz entsprechend auszustatten. Damit ist die Partei zum Arbeitgeber geworden, der Verantwortung trägt. Für das persönliche Wohlergeben der Schreibkraft ist nicht das Parteienprogramm ausschlaggebend, sondern das Bestehen der Partei selbst.
Wenn sich die Partei politisch behaupten kann, beginnen die Parteimitglieder damit, die materielle Basis auszubauen. Dem ersten Arbeitsplatz folgen bald weitere nach. Spätestens jetzt hat sich die Partei in ein arbeitsteiliges Wirtschaftsunternehmen gewandelt; für den Fortbestand des Geschäftsmodells müssen Einnahmen und Ausgaben in einem günstigen Verhältnis stehen. Fragen der Buchhaltung sind alles andere als folgenloses papierenes Spiel. Das betriebswirtschaftliche Ergebnis ist untrennbar verknüpft mit dem individuellen Schicksal der Mitarbeiter. Inzwischen arbeiten viele Personen für die Partei, und wie für die erste Schreibkraft sind ihre Hauptanliegen nicht die Realisierung der Inhalte und Ziele der Partei, sondern deren Fortbestehen und Gedeihen. Die Verzweckung ist in vollem Gange.

„Der Sinn einer Behörde liegt in ihrer Existenz“
(Murphy’s Gesetz)

Inzwischen ist es den Repräsentanten der Partei gelungen, Vorhaben und eigenes Wirken aus öffentlichen Mitteln und großen Spenden zu finanzieren. War bereits die Einrichtung des ersten Arbeitsplatzes ein Indikator, der auf ein „langes Parteileben“ hinweist, so gilt das Parteiunternehmen alsbald als „too big to fail“ – und dies einzig deswegen, weil die Partei für viele, sehr viele Mitarbeiter zum Lebensmittelpunkt geworden ist und deren persönlicher Existenzsicherung dient. Damit ist das Vorhandensein der Partei endgültig wichtiger als die Verwirklichung des ursprünglichen Zieles, für das die Partei anfangs bloß Mittel zum Zweck sein sollte. Im Laufe der Spezialisierung sowie der unvermeidlichen Fluktuation bei Repräsentanten und Beschäftigten auf Verwaltungsebene verschwindet das eigentliche Anliegen der Partei allmählich ganz aus dem Blickfeld. Die ursprüngliche Zielsetzung überlebt lediglich in Form inhaltsleerer Schlagwörter, die als Werbung und Propaganda in die Öffentlichkeit gebracht werden und der verbalen Rechtfertigung der Parteiexistenz dienen. 

Das „Umfallen“ gehört zum Parteiprogramm

Die Entrüstung über die Unwahrhaftigkeit führender Politiker kocht zur Zeit gewaltig hoch. In diesem Zusammenhang erscheint es notwendig, sich auf die Frage zu besinnen, welcher Art die eigentlichen Ziele der Mitglieder und Sprecher einer etablierten Partei sind. Aufgrund der ökonomischen Verästelungen bis in die kleinsten Zweige hinein kann es kaum um anderes gehen als um die Erhaltung des Unternehmens selbst. Leider scheint das den meisten Wählern nicht klar zu sein; sie erwarten, daß sich die Wortführer der Parteien auch in ihrem Handeln an das halten, was sie öffentlich verkünden. Die Partei wird nicht wahrgenommen als wirtschaftliches Unternehmen, in welchem unzählige Personen Broterwerbsarbeiten nachgehen. Die Öffentlichkeitsarbeit der Partei dient, bewußt oder unbewußt, einem einzigen Zweck: Ausbau und Erhaltung der eigenen Existenz.
Das aktuelle internationale Währungsgeschehen der Gegenwart hat eine geradezu atemberaubende Eigendynamik entwickelt. Politiker können da nur noch ex post, also nachträglich, auf Entwicklungen reagieren. Daß dabei Einflußbereich und Machterhalt ihrer eigenen Parteien im Zentrum der Bemühungen stehen, dürfte jedem klar sein. Unter den gegebenen Umständen sind weder Prinzipientreue noch Wahrhaftigkeit zielführend. Das Umfallen gehört zum überlebensnotwendigen Programm der verzweckten Partei.

Handeln und Denken sind zweierlei

Wer handeln will, muß sich den Gesetzen des Handelns unterwerfen. Denken aber kann der Mensch, wohin und wie weit er will – dem Denken sind keine Grenzen gesetzt. Die Produkte seiner geistigen Aktivität kleidet der Politiker in Worte und verkündet sie der Öffentlichkeit. Was wird nicht alles gesagt und versprochen! Der Körper aber ist und bleibt erdgebunden. Gesetze des Handelns unterscheiden sich grundsätzlich von den Gesetzen des Geistes: „Die Logik des Handelns ist unentrinnbar“, schreibt Mises in seinem brillanten Werk „Nationalökonomie“ (1940). Über Glaubensfragen könne man sich mit Mitteln der Vernunft nicht auseinandersetzen, heißt es im selben Werk. Genau hier liegt das Perpetuum Mobile des Erfolgs politischer Parteienprogramme: niemand kann ihren Wahrheitsgehalt beweisen. Deshalb scheinen sie niemals falsch zu sein. Der Zweck der Partei besteht darin, ihre Programme der Öffentlichkeit gut wie möglich zu „verkaufen“. Obwohl selten in die Wirklichkeit umgesetzt, glauben die „Kunden“ der Ideologieproduzenten immer wieder von neuem die wohlklingenden Botschaften und Versprechungen. Immer wieder schlagen die Wogen der Empörung hoch, wenn einer der politischen Wortführer es mit der Wahrheit nicht genau nimmt und die Prinzipien von gestern auf den Müllhaufen von heute wirft.

Was eigentlich erwarten wir von der durch und durch verzweckten, kommerzialisierten und auf Show-Elemente reduzierten Parteienlandschaft? Weshalb wird immer wieder, allen negativen Erfahrungen zum Trotze, den Worten der Merkels, Schäubles und Steinmeiers der Welt Glauben geschenkt? Messen wir sie doch ausschließlich an ihren Taten! Und genießen wir das Politspektakel, das sich den Augen und Ohren darbietet. Schauspielkunst vom Feinsten: die Akteure übertreffen sich zuweilen selbst. Applaus! Sind sie nicht schon allein deswegen ihr Geld wert?

 

 

Lesetip:

Ludwig von Mises. Die Bürokratie. Academia Verlag Sankt Augustin

derselbe. Nationalökonomie. Philosophia Verlag München

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Markus F.

"Im Laufe der Spezialisierung ....verschwindet das eigentliche Anliegen der Partei allmählich ganz aus dem Blickfeld."

Guter Artikel, aber hier kann ich nicht folgen. Die eigentlichen Anliegen bleiben schon erhalten:
Grün - keine Jacke für Anna sondern ein Schutzteich für Eidechsen.
Rot - es gibt nicht genug Jacken für alle, also bekommt keiner eine.
SPD - für alle Jacken, aber ohne Innenfutter, und erst in 10 Jahren.
CDU - für jeden 2. ist eine gute Jacke drin - vielleicht.
FDP - jeder 10. (der sich genug anstrengt) bekommt eine Luxusjacke.

Gravatar: Anke Nordwig

Kann mich Ihren Worten nur anschließen, Petra.

Gravatar: Petra Z.

Toll, der Artikel ist Klasse. Bisher waren mir Zusammenhänge, die dort angesprochen werden, überhaupt nicht klar. Sie leuchten mir - Dank der überzeugenden Ausführungen - aber vollkommen ein. Ich wünschte mir mehr solcher Aufklärungsarbeit und danke der Autorin.

Gravatar: Karin Pfeiffer-Stolz

Herr Meier, ich verstehe Ihren Einwand nicht.
Weder ziehe ich ein Resümee, noch begebe ich mich auf die Ebene des Moralisierens und Aburteilens. Von einer Bewertung habe ich bewußt abgesehen.
Dieser Text ist ein Versuch, einige widersprüchliche Erscheinungen des gesellschaftspolitischen Lebens nüchtern zu beschreiben und sie gedanklich in einen größeren Rahmen einzuordnen, um sie danach besser verstehen zu können.

Gravatar: Meier

Ihrem Resümee, Frau Pfeiffer-Stolz stimme ich nicht zu.

Personen die ihren Diensteid brechen gehören u.a. vor ein Disziplinargericht, das sie aus dem Amt und der Besoldung entfernt, sofern der Zeitgeist die offizielle, amtliche Zivilisation nicht einer korrupten Beliebigkeit preisgibt.

Entweder steht eine politische Figur als machtgeil und zu allen Schandtaten bereit und nutzt sein mediales Netzwerk, um sich als das Gegenteil eines geldgeilen Betrügers darstellen zu lassen und die "Leute schauen verunsichert zu".
Oder es gilt den Tricksern und Täuschern ihre Masken, ihre Tarnungen, ihre Lügen und ihre vermeintliche Macht zu nehmen. Ihre Destruktivität nicht zu tolerieren, den offensichtlichen Machtergreifungs-Allüren und den neuen Ermächtigungs-Gesetzen laut zu widersprechen, scheint mir konstruktiver zu sein.

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