Der Bürger als Bürge

Einstehen für die Schulden seines Staates muss nämlich er / Ein juristischer Genesungsversuch am „Patienten Staat“ durch Paul Kirchhof

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Der Bürger ist nicht nur Bürger, sondern auch Bürge – Bürge für seinen Staat, für dessen Schulden und das ziemlich unfreiwillig.Der Staat hat ihn einfach dazu gemacht, über die Jahrzehnte immer mehr, denn die Schulden sind gestiegen und gestiegen, deutlich stärker als die Staatseinnahmen.Aber der Bürger hat es mit sich geschehen lassen, kommt es ihm doch so vor, als wenn er von den Schulden profitiert.Denn die Schulden finanzieren mit, was er vom Staat an Leistungen erwartet.Folglich ist er mit dem Staat zufrieden und mit den Schulden ebenfalls.

Warum der Staat Kredit überhaupt bekommt

Aber für die Schulden und die Schuldzinsen kommt der Bürger selbst auf, nicht der Staat, der sucht nur die Kreditgeber, sorgt nur für die technische Abwicklung.Der Schuldendienst (Tilgung und Verzinsung) geschieht mit dem Geld der Bürger.Es ist der Bürger, der die Schuldenlast trägt.Der Staat selbst hat kein Geld.Was der Staat an Geld einnimmt und ausgibt, ist das Geld seiner Bürger.Daher bekommt der Staat nur deshalb Kredit, weil die Gläubiger Vertrauen in dessen Bürger setzen, in ihre Arbeits- und Leistungskraft1) und in die gesetzliche Kraft des Staates, dass er seinen Bürgern das Geld für den Schuldendienst abzuknöpfen versteht und die das hinnehmen.

Wie kommt der Bürger aus der Bürgerei heraus?

Weil das so gut funktioniert, rutscht der Staat in die Überschuldung.Schlecht wegen der Überschuldung steht es jetzt in vielen Staaten, auch in Deutschland.Nun wird der Bürger als Bürge erst recht in Anspruch genommen.Wie kommt er da heraus?PaulKirchhof, der Rechts- und Finanzwissenschaftler und einstige Bundesverfassungsrichter, beschreibt, wie es geht, richtiger: wie es ginge, wenn die Politik dem, was er vorschlägt, folgen würde.Kirchhof nennt es den „Weg vom Bürgen zurück zum Bürger“.So lautet der Untertitel seines neuen Buches.

Wer Bürge für seinen Staat ist, muss aufpassen

Bürge für seinen Staat ist der Bürger zwar stets, aber bei staatlicher Überschuldung geht es ihm richtig an den Kragen.Wer bürgt, wird erwürgt, lautet eine herkömmliche Warnung.Sie  gilt dem, der freiwillig bürgen will.Der Staatsbürger jedoch ist zwangsweise Bürge.Gefragt, ob er bürgen wolle, hat ihn niemand.Hier gilt: Wer staatlicher Zwangsbürge ist, muss aufpassen und rechtzeitig merken, was ihm droht, also der Politik, den Politikern, dem Staat beizeiten in den Arm fallen.Tut er’s nicht, ist er dran, geschieht’s ihm sozusagen recht.

Die Staatsverschuldung eine „stetige Rechtsverletzung“

Kirchhof holt weit aus, bis er im letzten Buchviertel dem Leser schließlich den „Weg vom Bürgen zum Bürger“ weist.Im ganzen Vorangeschickten aber deutet sich der Weg in vielen Überlegungen oder Bemerkungen schon an.Im ersten Abschnitt unter dem Titel „Übermäßige Staatsverschuldung“ finden sich der Krisenbefund und die Rechtfertigungslehren zur Staatsverschuldung.Beschrieben werden dann die Folgen des Übermaßes und die Leistungsfähigkeit des Rechts.Der zweite Abschnitt befasst sich mit der „Verbindlichkeit des Rechts“ und behandelt unter anderem die Verletzung der Kreditschranken im deutschen Grundgesetz und die der europarechtlichen Kreditschranken.Die Staatsverschuldung sieht Kirchhof als „stetige Rechtsverletzung“

Patient Staat chronisch verschuldungsgeneigt, aber heilbar

Im dritten Abschnitt geht es in zehn Kapiteln um das „Vermeiden neuer Schulden“.Hier äußert sich Kirchhof unter anderem zum neuen Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt (zustimmend); zum ESM-Vertrag (kritisch); zum Fiskalvertrag (bedenklich) und zur konjunkturbedingten Kreditaufnahme (enttäuscht).Für die Familienpolitik schlägt er sechs Erneuerungen vor, weil nachhaltiges Wirtschaftswachstum nur durch die Kindergeneration geschehe.Andere Stichworte sind Abschirmen des Staatshaushalts gegen fremden Zugriff, Aufgaben der öffentlichen Hand, die Rechtspflicht zum Subventionsabbau, der Finanzausgleich.Der Patient Staat, so schreibt Kirchhof am Ende des zehnten Kapitels, sei „chronisch verschuldungsgeneigt, aber heilbar“.Heilung jedoch verspreche „allein eine organische Erneuerung des Staates“.So böten die drückenden Schulden „die Chance, den Staat konzeptionell zu erneuern“ (Seite 143).

Schulden auf Null zurück, und dort sollen sie auch bleiben

Wie können die drückenden Schulden abgebaut werden? Darum geht es im abschließenden vierten Buchabschnitt. Kirchhof will sie auf Null zurückgeführt sehen. Dort sollen sie auch bleiben, mit der Verschuldung soll es ein Ende haben. Gemeint ist die offen ausgewiesene, die „explizite“ Verschuldung; die versteckte „implizite“ ist ein anderes Handlungsfeld. Kirchhof „unterbreitet Lösungsvorschläge“, wie er im Vorwort schreibt.Gewiss, es sind Vorschläge, aber erteilt werden sie mit juristischer Strenge, mit einer apodiktischen Sprache, die einen Widerspruch eigentlich nicht duldet.Das ist nicht missbilligend gemeint.Die klare und elegante Diktion gefällt.Die durchweg knappen Sätze haben ihren Vorzug.Sie machen, was Kirchhof meint und will, unmissverständlich.Sie sind frei von der sonst so häufigen Weichspülerei, die sich nicht festlegen will und Eindeutiges meidet.

Abtragen der Schuldenlast durch Sondermaßnahmen

Abzutragen sei die gewaltige Schuldenlast nur durch Sondermaßnahmen, und die Außerordentlichkeit der Aufgabe sei so groß, dass die Schuldenverwaltung budget-technisch zu verselbständigen sei, um sie für Parlament und Öffentlichkeit deutlich sichtbar zu machen.Der Bürger müsse sich von der Vorstellung verabschieden, der Staat sei zu stetig wachsenden Leistungen bereit.Der erste und wichtigste Schritt: auf Neuverschuldung verzichten, kein Haften und Einstehen für Verbindlichkeiten anderer Staaten (grundsätzlich); ferner alle Mehreinnahmen in den Staatshaushalten für die Entschuldung reservieren, Subventionen zurückfahren (wozu das geltende Recht ohnehin verpflichte); die Gläubiger des Staates an der Sanierung beteiligen (Umschuldung); die Einnahmen aus der Ergänzungsabgabe zur Einkommensteuer („Solidaritätszuschlag“) und der Erbschaftssteuer umwidmen für den Schuldenabbau.Eine Schuldentilgung durch Inflation weist Kirchhof als rechtsverletzend zurück.

Die verfassungsrechtliche Besteuerungsgrenze respektieren

Stets pocht er bei allem auf „die Herrschaft des Rechts“, ein Handeln nach „Kriterien des ökonomisch Möglichen“ lehnt er entschieden ab.Wenn der Staat trotzdem nach solchen Kriterien handeln müsse, weil das Übermaß der Verschuldung so bedrohlich sei, hätten Rechtsstaat und Europäische Rechtsgemeinschaft „alle Anstrengungen zu unternehmen, die Staatssanierung auf den Weg des Rechts zurückzuführen“ (Seite 149).Es gelte nicht das Prinzip „Not kennt kein Gebot“.Die Dringlichkeit der Haushaltssanierung rechtfertige es nicht, Sanierungsbetroffene rechtswidrig zu belasten.Auch wenn der Staat wegen Haushaltsnot auf höhere Einnahmen angewiesen sei: er dürfe keine verfassungswidrige Steuer erheben.Die Verschiebung des Verschuldungsübermaßes in ein Besteuerungsübermaß erweitere das Unrecht.Die Zahlungspflichten des Staates dürften nur in Bahnen des Rechts verringert werden.Steuererhöhungen könnten beim Schuldenabbau zwar helfen, hätten aber die verfassungsrechtliche Besteuerungsgrenze zu respektieren.

Vermögensabgabe zum Schuldenabbau nicht gerechtfertigt

Auch wenn der verschuldungsbedingte Finanzbedarf allein noch keine steuerlichen Zusatzlasten rechtfertigt, wie Kirchhof schreibt, gibt es für ihn doch „besondere Steuerarten, die sich zur Schuldenfinanzierung anbieten“.Hier plädiert er ausdrücklich für eine Finanztransaktionssteuer – auf breiter Grundlage und in der Europäischen Union sowie über sie hinaus.Ohnehin sei auf dem Finanzmarkt eine Besteuerungslücke (Umsatzsteuer) zu korrigieren, eine Marktverzerrung zu beenden, dem globalen Finanzmarkt Verantwortlichkeiten (für durch Finanzwetten mitverursachte bedrohliche Störungen) zuzuweisen.Eine einmalige Vermögensabgabe lehnt Kirchhof mit rechtlichen Begründungen ab: Die „Krise im Euro-Raum“ sei kein einmaliges historisches Ereignis, sondern ein durch Rechtsverletzungen entstandener, in kollektiver Illegalität verstetigter Prozess.„Auch die europäische Staatsschuldenkrise rechtfertigt derzeit keine einmalige Vermögensabgabe.“2)  Die Möglichkeit einer Vermögenssteuer streift Kirchhof nur kurz: Das Bundesverfassungsgericht habe sie für verfassungswidrig erklärt, die damalige Vermögensbewertung sei nicht gleichheitsgerecht gewesen, und die Probleme realitätsnaher Bewertung seien kaum zu bewältigen.

Die juristische und die reale politische Welt

Dies ist nur eine sehr gedrängte, aber die wesentliche Beschreibung dessen, was Kirchhof vorschlägt, das Buch enthält mehr, vor allem die Erläuterungen und Begründungen dazu.Es ist zugleich ein kleines Lehrbuch, zum Beispiel darüber, warum und in welcher Weise Steuern gerechtfertigt sind und wo die Besteuerung ihre Grenzen findet.Auch in diesem Kirchhof-Buch geht es um Rechte und Pflichten des Staates: Was darf er, was darf er nicht? Was muss er, was muss er nicht? Wenn Kirchhof den Rechtsrahmen beschreibt, entfaltet sich gleichsam eine heile Welt: Gesetzlich ist alles abgesichert gegen Verschwendung, Überschuldung, direkten Kauf von Schuldtiteln durch die Zentralbank, Haften für anderer Staaten Schulden.Juristisch ist alles klar, sachlich alles zwingend.Doch die reale, die politische Welt ist anders: Gegen alle diese Verbote wird verstoßen.So geistreich und klug, so glänzend und geschliffen die Darbietung ist, sie liegt neben der politischen Realität, ist idealistisch, wirkt träumerisch – aber auf sehr sympathische Weise: So müsste, sollte, könnte alles sein, was realiter aber so leider nicht ist.

Paul Kirchhof: Deutschland im Schuldensog. Der Weg vom Bürgen zurück zum Bürger. C.H. Beck, München 2012. 307 Seiten. 19,95 Euro.

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 1)  Hierzu schreibt Kirchhof (Seite 163): „Ein Staat erhält auch erhält auch bei hoher Verschuldung und selbst nach einer Zahlungsunfähigkeit immer wieder Kredite, weil der Darlehensgeber auf die Steuerkraft der Staatsbürger und Inländer vertrau. Der Staat scheint seine Kreditfähigkeit fast unbegrenzt steigern zu können, solange er die Steuern erhöhen kann. So werden aus überhöhten Schulden überhöhte Steuerlasten. Die aber führen of in die Revolution.“  Und auf Seite 198: Als wirtschaftliche Grundlage und Sicherheit für seine Kreditfähigkeit verstehe der Staat nicht das Staatsvermögen, sondern die Produktivität von Staatsvolk und Inländern.

2)  „Nur in Zeiten großer Not sind Eingriffe außerhalb des üblichen Maßes gerechtfertigt und dürfen einmalige Vermögensabgaben erhoben werden. Eine solche Notlage ist die Staatsschuldenkrise aber nicht.“ (Seite 188)

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Klaus Peter Krause

@Bürger: Stimmt, mir ging das genauso. Gut, dass Sie daran erinnern. Mit diesem Gutachten zeigt sich Kirchhof als Staatsknecht.

Gravatar: Dr. Claus-Dieter Klügel

Also wieder einmal Sonntags Reden. Vor sieben Jahren habe ich den Herrn Professor aus Heidelberg gebeten mir zu schreiben, was man tun kann, um eklatante Rechtsbrüche unserer Regierungen nach der Wiedervereinigung zu korrigieren? Da hielt ich den Verfassungsrichter für die rechte Adresse. Geantwortet hat er mir nicht. Oder steht die Antwort in dem von Dr. Krause sehr übersichtlich dargestelltem Kommentar über das Buches? (das ich mir dann garnicht nehr zu kaufen brauche.)
Justus

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