Der Bodeneffekt und die Zukunft der Mobilität

Der Bus ist des Ökologisten liebstes Transportsystem, wenn dieser denn nicht gleich die Rückkehr zum Pferd oder zur Muskelkraft für geboten erachtet.

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Er gilt als das energieeffizienteste Transportsystem, betrachtet man den Treibstoffbedarf pro Passagierkilometer bei entsprechender Auslastung. Aber der Vergleich mit Eisenbahn oder Flugzeug hinkt an dieser Stelle gewaltig. Denn die eigentlich interessante Frage ist die nach dem Energiehunger eines Busses, der 1.000 Kilometer pro Stunde zurücklegt. Auch würde eine Fahrt von beispielsweise Berlin nach New York gewisse Probleme bereiten. Es kommt eben immer darauf an, was man braucht.

Ein jedes Verkehrsmittel hat einen spezifischen Nutzen und daher einen eigenen Markt. Schiff und Auto, Eisenbahn und Flugzeug stehen weit weniger in einem gegenseitigen Wettbewerb, als die grünen Ideologen glauben. Eines dieser Systeme abzuschaffen oder durch ökodiktatorische Regeln massiv zu behindern, würde eher Verzicht als Substitution erzwingen. Eine Reduktion von Wertschöpfungsmöglichkeiten, denn Mobilität als physische Bewegung von Menschen und Gütern ist die Voraussetzung für den Handel mit Waren, Dienstleistungen und Ideen und damit für unseren Wohlstand. Die Technologien der Fortbewegung entwickeln sich folgerichtig nicht in Richtung einer umweltideologisch geprägten Monokultur, sondern in Richtung einer immer größeren Vielfalt, die für jeden Transportbedarf die individuell effektivste und effizienteste Reisekette ermöglicht. Zukunftsträchtig sind Innovationen in diesem Bereich vor allem dann, wenn sie das bestehende Verkehrssystem sinnvoll ergänzen.

Eine jeder Fahrzeugtyp ist dabei seinen eigenen konzeptionellen Grenzen unterworfen. Es ist die Physik, die Schiffe mit Flugzeuggeschwindigkeiten unmöglich macht, weil das zu verdrängende Wasser nicht einfach Platz macht. Es ist die Physik, die Flugzeugen das vorschriftsgemäße Fliegen in Tempo-30-Zonen verwehrt, denn sie benötigen eine Mindestgeschwindigkeit, um den erforderlichen Auftrieb zu erzeugen. Bei Automobilen steigt die zur Überwindung des Luftwiderstandes erforderliche Leistung mit der dritten Potenz der Geschwindigkeit, was ihre Wirtschaftlichkeit bei sehr hohem Tempo entscheidend reduziert. Die theoretisch mögliche bzw. praktisch sinnvolle Geschwindigkeit ist daher ein wichtiges Kriterium für den Vergleich über die Verkehrsträger hinweg. Ein zweites stellt die für eine bestimmte Geschwindigkeit erforderliche Vortriebskraft dar. Diese unterscheidet sich natürlich je nach zu überwindenden Strömungs- oder Rollwiderständen zwischen Schiene und Straße, Luft und Wasser erheblich. In erster Näherung aber hängt sie bei jedem Fahrzeug von dessen Gewicht (Masse mal Schwerebeschleunigung) ab. Schiffe schwimmen, weil die Menge des verdrängten Wassers die Gewichtskraft des Schiffes durch Auftrieb kompensiert. Flugzeuge fliegen, wenn der dynamische Auftrieb am umströmten Tragflächenprofil ihrem Gewicht entspricht. Auch der Rollwiderstand bei Landfahrzeugen hängt mit der Achslast zusammen. Dividiert man Vortriebskraft durch Gewichtskraft ergibt sich eine dimensionslose Größe, die auch spezifischer Widerstand genannt wird. Je geringer dieser ist, je weniger Vortrieb pro Masse für eine bestimmte Geschwindigkeit benötigt wird, desto effizienter ist ein Fahrzeug. In einem sogenannten von Karmann-Gabrielli-Diagramm wird der spezifische Widerstand gegen die Geschwindigkeit aufgetragen, um einen Vergleich der Transportsysteme trotz ihrer unterschiedlichen technischen Eigenschaften zu ermöglichen. Ein Beispiel für ein solches Diagramm, in dem aus darstellerischen Gründen auf der Senkrechten der Kehrwert des spezifischen Widerstandes eingesetzt wurde, zeigt die folgende Abbildung.

Natürlich, so sei den Puristen unter den Lesern entgegengehalten, natürlich überschneiden sich die hier für Wasser- (dunkelblau), Land- (braun) und Luftfahrzeuge (hellblau) angegebenen Bereiche deutlich. Die Abbildung soll nur das Prinzip verdeutlichen, deswegen sind die Achsen auch nicht mit konkreten Skalen versehen (für ein genau berechnetes von Karmann-Gabrielli-Diagramm sei auf diesen Artikel verwiesen: What Price Speed – Revisited). Denn es geht um den grundsätzlichen Weg, den die technische Entwicklung der Mobilität einschlägt. Nach rechts oben, kurz gesagt. Dort, wo das Fragezeichen steht, befindet sich der heilige Gral aller Fahrzeugbauer: Eine Technologie für sehr hohe Geschwindigkeiten bei sehr hoher Effizienz.

Alle sinnvollen Innovationen bei bestehenden Transportmitteln weisen in diese Richtung. Je größer das Schiff, desto schneller kann es fahren (wer das nicht glaubt: Rumpfgeschwindigkeit) und desto geringer ist der Energieaufwand je transportierter Masse.  Grenzen setzt hier die verfügbare Infrastruktur, schon heute können die riesigen Tanker und Containerschiffe viele Häfen nicht mehr anfahren. Der Transrapid wäre entsprechend die natürliche Entwicklung bei schienengebundenen Systemen gewesen, aber auch dieser ist bislang an den erforderlichen Investitionen in einen neuen Verkehrsweg gescheitert. Weit besser sieht es bei den Fahrzeugen aus, die keine solche Infrastruktur benötigen. In der Luft sind es die leichten, kleinen Jets, die einen Markt für das individuelle Fliegen jenseits der Linienluftfahrt schaffen können. Den Vorstoß in einen neuen Geschwindigkeitsbereich jenseits der Möglichkeiten klassischer Turbinen versprechen Raketenflugzeuge. Die Tragschrauber sind als Sport- und Freizeitgeräte seit einigen Jahren etabliert und beginnen nun auch kommerziell nutzbar zu werden.

Jede Entwicklung dagegen, die vom heutigen Stand aus in diesem Diagramm nach unten links führt, ist zum Scheitern verurteilt. Paradebeispiel sind die Luftkissenfahrzeuge oder Hovercrafts, deren Bedeutung in den letzten Jahren rapide gesunken ist. Andere Technologien überleben nur aufgrund spezieller Eigenschaften. Etwa die Hubschrauber, die senkrecht starten und landen und auf der Stelle schweben können.

Nicht nur Optimierungen vorhandener Technologien, auch gänzlich neue Systeme müssen ihre Marktfähigkeit durch einen Schritt nach rechts oben nachweisen. Und da findet sich ein Eintrag in diesem Diagramm, von dem viele Leser vielleicht noch nichts gehört haben: Das Bodeneffektfahrzeug oder englisch WIG für “Wing IGround effect aircraft“. Es handelt sich hier um extrem tief, in nur wenigen Metern Höhe fliegende Geräte, die Auftrieb ganz ähnlich wie Flugzeuge dynamisch durch die Umströmung eines Profils erzeugen. Nur wird dicht am Boden die Luft zwischen Tragflächen und Untergrund aufgestaut und formt auf diese Weise ein sich mit dem Fahrzeug mitbewegendes Luftkissen, das es zusätzlich trägt. Bei geringerer Leistung wird auf diese Weise mehr Auftriebskraft generiert, als im freien Flug. Zweitens ist der durch die Strömung an den Flügelspitzen induzierte, energiefressende Luftwiderstand geringer, denn die Wirbelschleppe hat weniger Raum zur Ausbreitung. Grundsätzlich funktioniert das bei jedem Untergrund, der inkompressibel, also durch das dynamische Luftkissen nicht verformbar ist. Betonpisten, Sand, kurzgeschnittene Grasflächen, Eis und eben Wasser eignen sich. Viele Zugvögel nutzen den Bodeneffekt, um energiesparend weite Strecken über große Seen und Ozeane zurückzulegen.

Bodeneffektfahrzeuge haben eine lange Tradition seit den 1950er Jahren. Deutschland und Rußland sind Zentren der Entwicklung. In der ehemaligen Sowjetunion verfiel der Schiffskonstrukteur Rotislav Alexejew der Vision extrem schneller Schiffe, die den Beschränkungen der Verdrängung durch das Gleiten auf der Wasseroberfläche entkommen sollten. Die Optimierung dieses Ansatzes führte zu Tragflächen („Hydrofoils“), die den Schiffsrumpf bei hohen Geschwindigkeiten ganz aus dem Wasser heben. Die Klasse der Ekranoplane war geboren, riesige Bodeneffektfahrzeuge mit Massen von bis zu 500 Tonnen, die bei Geschwindigkeiten von bis zu 500 km/h Truppen und Ausrüstung im Tiefflug über das kaspische Meer verlegen konnten. In Deutschland wiederum stand der Aerodynamiker Alexander Lippisch für die Idee hocheffiziente Flugzeuge mittels des Bodeneffektes zu konstruieren. In ihren Ländern begründeten diese beiden Konstrukteure eine Tradition, in der immer und immer wieder Bodeneffektgeräte prototypisch gebaut und erfolgreich demonstriert wurden, aber es blieb bei Einzelstücken ohne Marktrelevanz.

Denn viel von der im Flug gesparten Energie wird durch den aufwendigen Start aus dem Wasser wieder konterkariert. Hinzu tritt der Wellenschlag, der bei sehr hohen Geschwindigkeiten ein großes Risiko darstellt und dem durch entsprechend massive, schwere und damit ineffiziente Strukturen begegnet werden muß. Drittens schließlich nehmen Bodeneffektfahrzeuge – im Gegensatz zu herkömmlichen über drei Achsen gesteuerten Flächenfliegern – nicht von selbst eine stabile Fluglage ein. Nickmomente entstehen, die den Bug heben und das Flugzeug um die Querachse kippen wollen. Es ist für einen menschlichen Piloten physiologisch nicht immer möglich, in ausreichender Reaktionsgeschwindigkeit gegenzusteuern und von entsprechend dramatischen Unfällen wird vor allem aus der ehemaligen Sowjetunion berichtet.

Seit einigen Jahren allerdings stehen den Konstrukteuren schnelle Rechner zur Verfügung, auf denen mittels strömungsdynamischer Berechnungen neue aerodynamische Konfigurationen schnell und preiswert noch vor dem eigentlichen Bau getestet werden können. Auch ist die Qualität der Hardware mittlerweile ausreichend hoch, um den Piloten bei der Steuerung entlasten zu können. Eine völlig autonome Lageregelung ist in Reichweite, bei der der Fahrzeugführer sich vollständig auf die Vermeidung von Kollisionen konzentrieren kann. Faserverbundwerkstoffe ermöglichen leichtere und dennoch stabilere Konstruktionen, als noch vor zehn oder zwanzig Jahren. Für den energiefressenden Start schließlich hat sich Hanno Fischer etwas ausgedacht.

Die Geschichte der Bodeneffektfahrzeuge in Deutschland ist auch die Geschichte dieses Mannes. Als Mitarbeiter lernte er noch von Lippisch selbst und entwickelte seit Beginn der 1970er Jahre dessen Konzepte weiter. Sieben erfolgreich erprobte Prototypen hat er im Laufe der Jahrzehnte konstruiert und der bislang letzte und wohl auch entscheidende Streich gelang ihm 2001 mit dem Hoverwing-Konzept. Die Bezeichnung erinnert nicht zufällig an die oben kritisierten Hovercrafts. Der Hoverwing ist ein Katamaran mit Flügeln, zwischen die beiden Rümpfe wird für den Start von den Turboprop-Triebwerken Luft gepumpt. Schürzen schließen den Bereich ab, wodurch das Bodeneffektgerät über ein selbst erzeugtes statisches Luftkissen als zusätzliche Starthilfe verfügt. Im Flug werden die Schürzen geöffnet, die Strömung kann auch zwischen den beiden Rümpfen frei fließen, der dadurch, im Gegensatz zu klassischen Flugzeugkonzepten, eine zusätzliche Auftriebsfläche darstellt.

Der Hoverwing 20 – eine Version für 20 Passagiere – steht mit all diesen Neuerungen nun kurz vor der Serienproduktion. Der Prototyp entsteht zurzeit in Augsburg bei der Firma Aerostruktur, er wird noch in diesem Sommer in Nordenham durch die dort neugegründete Aerostruktur Maritim zu Wasser gelassen werden und in der Nordsee ausführlich getestet. Ab 2015 soll er dann in Serie produziert und durch weitere Typen für verschiedene Einsatzzwecke ergänzt werden. Über mangelndes Kundeninteresse kann sich das Unternehmen derzeit nicht beklagen, denn die Bodeneffektfahrzeuge haben tatsächlich das Potential, die bestehenden Mobilitätssysteme sinnvoll zu ergänzen und völlig neue Transportmöglichkeiten zu schaffen.

Technisch gesehen sind es Flugzeuge, nach geltender Rechtslage aber Schiffe, was die Zulassung entscheidend vereinfacht. Tatsächlich genügt mitunter ein Bootsführerschein, um am Steuer eines kleinen Bodeneffektfahrzeuges Platz nehmen zu dürfen. Schwimmen können sie richtig gut, zur Start- und Landezone geht es schließlich per herkömmlicher Verdrängerfahrt. Sicher sind sie auch, denn immer ist die Landebahn nur wenige Meter in der Vertikalen entfernt. Das besondere aber ist ihre Geschwindigkeit. Für lange Strecken gibt es derzeit nur das Schiff, langsam, aber mit hoher Kapazität, oder das Flugzeug, schnell, aber mit geringem Transportraum. Nun kommen die Bodeneffektfahrzeuge endlich hinzu, viel schneller als Schiffe und mit potentiell höherer Zuladung als Flugzeuge.

Der Hoverwing 20 wird eine Reisegeschwindigkeit von 200 km/h aufweisen und dabei auch noch weniger Energie verbrauchen, als eine schnelle Fähre. Und er ist ja erst der Vorbote eines Transportsystems, das beispielsweise die Küstenschiffahrt, die Anbindung von Inseln und die Binnenschiffahrt revolutionieren könnte.  

Beim Auto ist es egal, mit welchem Antrieb man es ausstattet. An seiner Positionierung im von Karmann-Gabrielli-Diagramm ändert sich dadurch nichts. Von Bedeutung waren, sind und werden letztendlich nur die Innovationen sein, die bestehende Systeme in Richtung höherer Geschwindigkeiten bei gleichzeitig geringerem spezifischen Widerstand optimieren. Oder neue Transporttechnologien, die ein Stück weiter “rechts oben” anzusiedeln sind, als die vorhandenen. Wie der Bodeneffekt zeigt, gelingt dies durch die gezielte Auslösung, Regelung und Verstärkung natürlicher Effekte. Möglichkeiten hierzu ergeben sich durch die Wechselwirkung von Innovationen untereinander.  Wenn man daher Leichtbaumaterialien für Windkraftwerke fördert, darf man sich nicht wundern, diese auch in Automobilen, Kleinflugzeugen und Tragschraubern wiederzufinden. Wenn man für Forschungseinrichtungen große Computer zur Erkundung hypothetischer Klimarisiken beschafft, darf man sich nicht wundern – über deren Einsatz zur Berechnung neuer aerodynamischer Konfigurationen für Fluggeräte aller Art. Wenn man viel in die Entwicklung einer Wasserstoffinfrastruktur investiert, darf man sich nicht wundern, falls am Ende keine PKWs, sondern Raketenflugzeuge betankt werden. Dies alles haben die Ökologisten nicht verstanden. Deswegen träumen sie von Bussen und Fahrrädern. Und das werden sie auch dann noch, wenn sie mit letzteren in den Hoverwing einsteigen.


Beitrag erschien zuerst auf: science-skeptikal.de

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