Der Avantgardist avant la lettre

Zum 125. Todestag von Franz Liszt, der als echter Neuerer neben vielen musikalischen Entdeckungen auch den neuen Typus des Komponisten ohne Personalstil begründete.

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Manchmal ist Popularität von Nachteil. Der ungarische Komponist Ferencz (Franz) Liszt, der am 31. Juli vor 125 Jahren verstarb (sein Geburtstag jährt sich ebenfalls dieses Jahr am 22. Oktober zum 200sten Male), hatte zu Lebzeiten seinen ausreichenden Anteil am Erfolg,beruflich und auch finanziell (als europaweit berühmter Pianist, der die moderne Form des Recitals und des Auswendigspielens begründete)sowie, in zahllosen Affairen, bei den Frauen. Als Komponist blieb erlange Zeit mit romantischen "Hits" wie dem Grand Galop Chromatique,dem Liebestraum, Les Préludes oder den Ungarischen Rhapsodien in Erinnerung; schöne Melodien ohne Zweifel, aber doch eine Spur zu brillant. Über diesen "Hits" wurden wesentlichere Teile seines Œuvres vergessen.

Liszt war zudem ein Mann, der Neid oder Konkurrenz nicht kannte,deshalb (besonders in seiner Weimarer Zeit als Kapellmeister) zahllose Komponisten freigebig durch Unterricht und Aufführungen unterstützte,nicht zuletzt den Egomanen Richard Wagner, das "Pumpgenie", der ja dann durch die Heirat von Liszts Tochter Cosima zu seinem Schwiegersohn wurde. Sogar das hat ihm Liszt verziehen. Liszt war also nach Beendigung seines öffentlichen Auftretens als Pianist nicht daran interessiert, vor allem sich selbst zu propagieren, was aber schon damals für einen Komponisten unverzichtbare Voraussetzung war, um Erfolg im musikalischen Zirkus zu haben. Ausserdem ist Dankbarkeit auch in musikalischen Kreisen nicht weit verbreitet. Liszts Transskriptionen von Musik anderer Komponisten zeigt diese seine großzügige Seite ebenfalls sehr deutlich: Viele klavierspielende Amateure hätten in einer Zeit vor Erfindung des Radios und der Schallplatte nicht alle Beethoven-Symphonien hören können; durch Liszts Bearbeitungen dieser Symphonien für Klavier wurde diese Musik einem größeren Kreis von Musikliebhabern zugänglich.

Alfred Brendel hat vor kurzem gemutmaßt, dass umgekehrt Liszt "der grösste Neiderreger der Musikgeschichte" war. "Esprit und Vielseitigkeit,männliche Schönheit, der gesellschaftliche Glanz eines Emporkömmlings und ein Liebesleben am Rande des Skandals erwiesen sich ... als schwer verzeihlich, zumal jene mildernden Umstände fehlten, die den Nachruhm der Genies zu garantieren pflegen:...früher Tod, ... Verarmung, ... Syphilis, ... Taubheit, ... Schwindsucht, ...Wahnsinn." Vielleicht ist auch Liszts privat motivierte Ansiedlung in Rom,abseits von den damaligen Musikzentren, und seine Hinwendung zum Katholizismus in einer Zeit der Religionsfeindlichkeit und des Kulturkampfs nicht gerade förderlich für eine Anerkennung als überragender Komponist gewesen. Gegen Ende seines Lebens hat Liszt dann neben eigener Krankheit sehr schmerzliche Verluste erlebt, einige seiner Kinder starben, und er wurde mehr und mehr von Trauer und Resignation erfüllt, die ihm das Schicksal seiner Kompositionen gleichgültig werden liess, zumal diese immer weniger Verständnis fanden.

Diese Melancholie beglaubigt sein Ungartum endgültig. Franz Liszt hat sich sein Lebtag für einen Ungarn erklärt. In den angelsächsischen und romanischen Ländern wird er auch selbstverständlich als ungarischer Komponist bezeichnet. Das passt speziell den Deutschen gar nicht, die nun wirklich genügend herausragende Frauen und Männer ihr eigen nennen und den Ungarn anscheinend einen Liszt dennoch nicht gönnen wollen - ein Charakterzug, über den man nachdenken kann. Kaum eine hierzulande erschienene Biografie, die nicht relativiert: Eigentlich sei sein Vater ja deutschstämmig gewesen und das Burgenland, wo er geboren wurde, doch ohnehin österreichisch (was erst nach 1921 stimmt). Immer auch der Hinweis, dass Liszt zwar Deutsch und Französisch, wohl auch Italienisch, aber das Ungarische nur schlecht sprechen konnte (was bei der halbkolonialen Abhängigkeit Ungarns von Habsburg damals kein Wunder war). Mir unvergessen ein"Internationaler Frühschoppen", der nach dem Amtsantritt von Jimmy Carter darüber diskutierte, ob man den Präsidenten denn so flapsig"Jimmy" nennen dürfe. Man einigte sich schliesslich darauf, dass entscheidend sei, wie der Mann sich selber genannt wissen wolle, und dies sei eben "Jimmy". So großzügig ist man im Falle Liszts nicht.Umgekehrt dürfte in Deutschland kaum jemals Albrecht Dürer "der ungarischstämmige Maler" genannt worden sein, was in seinem Fall sogar stimmen würde.

Was an Liszts kompositorischem Gesamtwerk sofort auffällt, ist die ausserordentliche stilistische Vielfalt. Es handelt sich um immerhin über 700 einzelne Werke, eine ungeheuere Zahl. Während man traditionell bei einem Komponisten rühmend erwähnt, er habe "seinen Stil gefunden", was ja nichts anderes bedeutet, als dass er die Breite seines Ausdrucks so eingeengt hat, dass man ihn sofort, schon nach einigen Takten, erkennt, kann man bei Liszt eine große Bandbreite finden. Auch dies mag zur Verkennung seiner eigentlichen Größe beigetragen haben,was erst heute, etwa seit den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts,langsam revidiert wird. Die oben genannten Werke sind eben nur Facetten eines riesigen, diversifizierten Œuvres: Der große und fruchtbare Künstler konnte es sich leisten, auch einmal populär zuschreiben, er hatte ja Ideen zuhauf, und von Seiten des Publikums,mehr noch der Fachwelt war es wohl ziemlich spaßgebremst, in Liszt und seinen effektvollen Stücken nur Posieren und Scharlatanerie sehen zu wollen. Wir sollten heute entspannter sein und dankbar sein für einen solchen Reichtum.

Man kann diese Auffassung vom Komponisten bereits als Prägung eines neuen Künstlertypus ansehen, der eben gerade keinen Stil haben will,sondern so objektiv wie möglich kompositorische Probleme angeht,ohne immer auf seine eigenen subjektiven Befindlichkeiten zu rekurrieren. Insofern weist Liszt weit über Wagner und Mahler hinaus auf Stockhausen, so unglaublich sich das lesen mag (leider war Stockhausen, der nach Berichten vieler Ohrenzeugen ein hervorragender Jazzinterpret war, nicht nonchalant genug, diese seine populäre Seite auch öffentlich zu machen). Keinen Personalstil zuhaben, ist eben in dieser Deutung kein Defizit, sondern eine Tugend -und es ist keineswegs leicht: Strawinski beispielsweise hat seinen Stil öfters versucht zu ändern, man erkennt ihn dennoch relativ leicht in jeder seiner Phasen. Und während viele berühmte Komponisten keine Neuerer waren, hat Liszt gerade die Entdeckung und Wegbereitung vor allem in seiner Spätphase zu seinem erklärten Ziel gemacht. Das berühmte Zitat lautet: "Meine einzige Ambition als Musiker war und wird es sein, meinen Speer in den unendlichen Raum der Zukunft zuschleudern."

Seine jeweils zwei wunderbaren Klavierkonzerte und Symphonien (zu Dante und Faust), die ganz neuartige einsätzige Sonate für Klavier h-moll,die programmatische Musik (Symphonischen Dichtungen), die er"erfunden" hat, alles mittlerweile mehr und mehr bekannt und anerkannt.Zwei große Klavierzyklen sind durch ihre immense Schwierigkeit und Ausdehnung limitiert, was ihre Aufführbarkeit angeht, aber ihre Schönheit und Bedeutung sieht man heute klarer denn je: Étudesd'exécution transcendante und Années de pèlerinage. Im letzteren Zyklus finden sich Stücke, die den Impressionismus vorwegnehmen.

Besonders Liszts Klavierwerk etwa ab 1870 muss aus heutiger Sicht revolutionär genannt werden, denn die Auflösung der Tonalität und der Aufbau auf dem System der gleichberechtigten zwölf Töne machen Liszt zu einem Vorläufer der Moderne, und wenn es nicht anachronistisch wäre, müsste man ihn einen Avantgardisten nennen. Jedenfalls war er vielleicht der erste, der das Neue in der Musik zu suchen zur Hauptaufgabe eines Komponisten erklärte. Geistige Unabhängigkeit und Unabhängigkeit vom "Markt" waren dafür die Voraussetzung. Genannt seien hier nur Unstern, Nuages gris, die vier Stücke "in memoriam Richard Wagner" und die Historischen ungarischen Bildnisse. Es ist zuhoffen, dass die Musik von Franz Liszt in Zukunft öfter im Konzertsaal zuhören sein wird, denn sonst wären die Aktivitäten im Jubiläumsjahr 2011 umsonst gewesen. Leidtragende wären keine Anderen als die Musikfreundinnen und -freunde.

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