Das wahre Problem: Misstrauen gegenüber dem Staat

Die Empörung über das weltweite Abhörsystem der US-Geheimdienste ist ungebrochen groß. Viele Leser reagierten auf die Kolumne vom vergangenen Freitag, in dem ich Verständnis für die USA geäußert hatte, mit Kritik. Eine Antwort.

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In den vergangenen Tagen hatte ich viel zu lesen. Eine wahre Flut von Zuschriften erreichte die Redaktion nach der Kolumne über den angeblichen Helden Edward Snowden und die weltweite Kontrolle der Telefon- und Mailverbindungen durch den US-Geheimdienst NSA. Eine deutliche Mehrheit widersprach meiner Auffassung, und viele von Ihnen haben das ausführlich begründet. Dafür danke ich Ihnen, denn das macht eine gute Debatte aus.

Was habe ich aus Ihren Beiträgen gelernt? Zumindest ist eindrucksvoll belegt, wie tief die Ängste bei vielen Menschen sitzen, in ein System totaler staatlicher Kontrolle zu geraten, in dem nichts Privates mehr verborgen bleibt. Sicher haben die besonderen deutschen Erfahrungen mit Nazi-Diktatur und später SED-Diktatur uns besonders sensibilisiert.

 

 

Obwohl ich Ängste und scharfe Kritik am Vorgehen der amerikanischen Geheimdienste und an der lahmen Reaktion der Bundesregierung verstehe, sehe ich einen entscheidenden Widerspruch nach wie vor nicht aufgelöst: Schon heute werden wir in vielfältiger Hinsicht kontrolliert und staatlich gegängelt – ohne dass uns jemand vorher fragt. Das Finanzamt checkt unsere Konten, ohne zu fragen. Die Einwohnermeldeämter geben 70 Millionen persönliche Daten an die GEZ zur Optimierung des Abkassierens weiter, ohne zu fragen. An Mautstellen werden täglich zigtausend Fahrzeuge erfasst und gespeichert, ohne nach möglichen Bewegungsprofilen zu fragen.

Und dann kommt die freiwillige Herausgabe persönlicher Daten: 20 Millionen Deutsche sind in sozialen Netzwerken wie Facebook, viele begehen Seelenstriptease. In Fernsehsendungen geben Menschen sämtliche Peinlichkeiten des eigenen Lebens preis. Nichts bleibt geheim, niemand schert sich ernsthaft um all das.

Wenn aber Polizei und Sicherheitsbehörden Zugriff auf Daten nehmen wollen, ist die Empörung groß. Was man in vielen Zuschriften deutlich herauslesen kann, ist ein tiefes Misstrauen gegen den Staat im Allgemeinen und gegen die USA im Besonderen. Und Misstrauen gegen die Obrigkeit ist erst einmal angebracht.

 

 

Aber letztlich überzeugen mich persönlich die Stasi-NSA-Vergleiche nicht. Eine demokratische Gesellschaft mit politischer Kontrolle ist etwas anderes als eine Diktatur, die Nachbarn zum Bespitzeln politischer Gegner rekrutiert. Ich bin kein sonderlich ängstlicher Mensch, aber der Gedanke, in einem entführten Flugzeug auf ein Hochhaus zuzufliegen, macht mir mehr Angst als die Vorstellung, dass irgendwo in Maryland ein Computer zwischen täglich zig Millionen Telefonverbindungen weltweit auch meine Rufnummer auf Kontakte zu Terrorverdächtigen abgleicht.

 

Beitrag zuerst hier erschienen: www.rp-online.de.

 

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Stefan S.

Mißtrauen gegenüber einem Gewaltmonopolisten - und das ist der moderne Staat - ist immer angebracht.
Wer glaubt , daß Gewalt (also das politische Mittel - im Gegensatz zum ökonomischen Mittel, dem Vertrag) dadurch besser wird, daß diese auch noch monopolisiert wird, hat wirklich nichts verstanden und steht offen gegen jede empirische, praxeologische, anthropologische, ökonomische und soziologische Erkenntnis, die allesamt um die Nachteile eines solchen Konstrukts wissen.
Die moderne Staatsidee ist gescheitert und mußte scheitern. Selbst liberale Initiativen, diese human einzugrenzen (Menschenrechte, Verfassungen etc.,) haben diesem Ungeheuer keine Zivilisation beigebracht. "Staat" dient inzwischen nur noch dazu, Meinungen mit Gewalt durchzusetzen, Sonderrechte zu beanspruchen, Rechte zu verletzten und einzuschränken und Menschen zu gängeln und zu schikanieren. Ökonomen sprechen von Leistungsabfall und Monopolgewinnen, Orwell sprach davon, daß es doch immer wieder "bessere Schweine" gäbe.
Selbst die modernen Katholiken, die ihren Frieden mit dem modernen Staat gemacht haben, glauben ernsthaft, daß die Idee eines Demos zur Gewaltherrschaft (Kratie) legitimiert ? Sie glauben ernsthaft, daß ein Monopol Allen Vorteile bringt und dem Gemeinwohl dient? Man glaubt ernsthaft, daß ein Staat, der alle wichtigen menschlichen Institutionen (Bildung, Justiz, Sicherheit, Gesundheit, Soziales - das deutsche SGB hat ein dutzend Gesetzbücher, zivilisierte Menschen kommen mit einem BGB hin) okkupiert und monopolisiert hat, auch nur rechtens sein kann?
Der Staat und die Staatler werden natürlich nicht von selbst gehen, so überflüssig und schädlich sie auch sein mögen. Immerhin bricht allmählich die ach so menschenfreundliche Fassade dieses Ungeheurs, die diese durch das geschickte Ausnutzen der Psychologie der Masse und vor allem durch die Okkupation des Bildungssystems und selbst der Medien, errichten konnten. Es wurden ungeheure Anstrengungen unternommen, die politische Gewalt hinter allem zu verbrämen. Es gibt kaum noch einen Intellektuellen (das sind die, die so etwas können), der nicht vom Staat abhängig ist.
In der freien Welt brauchen wir die nicht auch noch.

Gravatar: Karin Weber

mir ist ehrlich gesagt völlig egal, ob mich ein demokratischer Staat oder eine Diktatur bespitzelt, ich möchte einfach nicht bespitzelt werden. Wenn Sie wie ich einmal in der Lage gewesen wären, die eigene Stasi-Akte zu lesen und nach Jahrzehnten über „nette Nachbarn“ und Informanten informiert zu werden, dann beschleicht Sie ein ungutes Gefühl. Mit dem Verweis auf den heutigen Stand der Technik ist es schon irgendwie eine Kunst, nicht paranoid zu werden. Wenn Sie glauben, dass es heutzutage keine Denunziationen von Nachbarn gibt, dann irren Sie gewaltig. Ohne die (tlw. anonymen) Anzeigen aus der Bevölkerung könnte fast keine Staatsanwaltschaft irgendetwas machen. Genau aus diesem Grund wird man auch nie gegen diese mittlerweile exzessiven Falschbeschuldigungen von Frauen gg. Männer vorgehen, denn sonst würde ja niemand mehr eine Anzeige machen, wenn er damit rechnen müsste, für diese Hinterfotzigkeit zur Verantwortung gezogen zu werden. Warten wir einmal ab, was im Falle des inzwischen vor Gram gestorbenen Fall des Horst Arnold herauskommt. Ganz aktuell dieser Fall hier von einer Denunziation: http://www.t-online.de/nachrichten/panorama/justiz/id_64723718/sohn-versteckte-tote-mutter-im-wohnwagen.html … und besonders interessant der letzte Absatz. Die Staatsanwaltschaft scheint keine Beweise für eine Straftat zu haben, aber man unterstellt dem Mann (natürlich wieder unter Umgehung der gesetzlich verankerten Unschuldsvermutung) nur auf Grund der Aussage einer „Hinweisgeberin“ faktisch einen Mord. Die Motive von dem Mann sind mir plausibel, auch wenn das was er da gemacht hat schon krank ist. Ihn aber als Mördern nun wegzuschließen? Um aber mal zum Ausgangspunkt zurückzukommen: Diese ganze Bespitzelung und Denunziation macht doch das Verhältnis zwischen den Menschen doch auf Dauer kaputt. Ihre Frau kennt doch diese Probleme durch den Feminismus, der das Verhältnis zwischen den Geschlechtern regelrecht vergiftet hat, doch zur Genüge. Hinterfragt man das alles, dann begreift man, dass dies alles nur Methoden der politischen Klasse sind, um unser Volk zu beherrschen und ihre Macht & Pfründe zu sichern. Genau darum geht es doch.

Gravatar: Michael Ziefle

Sehr geehrter Herr Kelle,
Habe vor einigen Tagen, bei einem Interview von Frau von Storch, "Ich glaube der Kanzlerin nicht" einem Kommentar Schreiber geantwortet, der eben auch eine ähnliche Anschauung zu der Lage um die NSA vorbrachte wie Sie. Mein Kommentar dazu:
"Sie haben aber eine schlechte Meinung von den USA, wenn Sie jede Kritik, die man gegen die Vereinigten Staaten in dieser Angelegenheit äußert, als quasi Kriegserklärung dort auffassen würde. Es gibt in den USA nicht wenige kritische Stimmen gegen die NSA. Mr. Snowdon ist so eine. Auch im Repräsentantenhaus gab es nur zwölf Stimmen mehr für ein weiter so der NSA. Es geht ja nicht nur darum, dass die NSA meine “wichtigen” Telefonate abhört oder meine Mails liest. Aber es kann Betriebs und Wirtschaftsspionage durchgeführt werden, was für den Industriestandort Deutschland sehr schädlich sein kann. Stellen Sie sich den Konkurrenzkampf von Airbus und Boeing vor, was man da alles in Erfahrung bringen kann, bevor eine z. B. Angebotsabgabe erfolgt. Die Deutschen Repräsentanten sahen nicht sehr gut aus, es gab Kanzler wie Adenauer, Schmidt und Kohl, die mit einer solchen Behandlung nicht einverstanden gewesen wären und das auch klar zum Ausdruck gebracht hätten. Und von den USA werden wir ja schon fast wie ein Schurkenstaat eingestuft, also warum in dieser Hinsicht Rücksichtnahme. Etwas mehr Selbstvertrauen wäre richtiger. Die USA brauchen uns auch ein “bisschen”."
Auch der Bundespräsident ist plötzlich umgeschwenkt, zuerst nannte er Snowdon einen Verräter und jetzt hat er Respekt vor ihm. Es ist ihm zu Bewusstsein gekommen, dass er nun nicht mehr alles am Telefon besprechen kann und auch nicht mehr alles über emails machen wird. Den USA gehts in erster Linie um sich und sonst gar nichts. Ich hab generell nichts gegen Geheimdienste, aber man kann ja im Vorfeld schon sondieren wo Ausspähung angebracht ist. Trotz Verfassungsschutzbeobachtung gab es die NSU Morde. Warum waren die Boston Bomber nicht im Visier der NSA. Die Unverschämtheit Deutschland als fast "Schurkenstaat" einzustufen hätte es bei Carter, Clinton,Reagan, Bush sr. nicht gegeben. Lesen Sie mal, was Jimmy Carter zu dieser Aktion sagt!!!!!!

Gravatar: Holger Lass

Sehr geehrter Herr Kelle,

ob eine demokratische Gesellschaft mit politischer Kontrolle etwas anderes ist als eine Diktatur (oder uch nur die Diktatur der Mehrheit, oder nur die von Lobbygruppen, oder...) ist schon sehr strittig.
Am schwerwiegensten ist jedoch die seltsame Auffassung dass da viele Ihre Daten freiwillig hergeben, oder der Staat schon bedenkliche Eingriffe in nderen Zusammenhängen macht, eine Rechtfertigung für noch mehr Kontrolle zu folgern. Wenn ich freiwillig mein Geld einem Bettler schenke, darf der nächste mich ja auch nicht beklauen. Hier haben Sie schon das entscheidene Wort gesagt: "freiwillig" und somit auch transparent!
Man muss sich immer bewusst machen, dass die grausamsten und zahlreichsten Verbrechen immer vom Staat ausgehen. Die MAfia ist dagegen im historischen Vergleich ein Kindergarten.

Gruss

Dr. H. Lass

Gravatar: Clara West

Sehr geehrter Herr Kelle,

ich frage mich bei der Lektüre Ihres Artikels, ob Sie wirklich so naiv sind oder nur so tun?

In beiden Fällen empfehle ich Ihnen dringendst, sich näher mit dem Thema Staatsterrorimus zu befassen, als da wären ganz vorne Operation Northwood. Es könnte übrigens sein, dass Ihnen diese Informationen sehr bekannt vorkommen. Des weiteren wären da z.B. Gladio oder auch die Operation Satanique.

Wussten Sie schon, dass selbst das FBI Osama bin Laden für alles mögliche gesucht hat, aber nicht für den 11. September?

Wie auch immer. In Anbetracht Tausender Toter im Straßenverkehr und durch Ärztepfusch ist die Wahrscheinlichkeit deutlich höher, dort zu sterben, als in einem entführten Flugzeug.

Und zum Schluss noch eines: Hitler wurde demokratisch gewählt. Das Übel begann danach erst. Bedeutet also, dass eine Demokratie keinen wirklichen Schutz darstellt, sondern die Kontrolle der Staatsapparate. Macht korrumpiert. Wie sehr, das kannman übrigens in der Eurokrise sehr gut sehen. Die Umwälzungen "privater Investitionen" auf den Steuerzahler ist nur ein Teil davon. Diese Kontrolle war mal die Aufgabe des investigativen Journalismus, der sich im Laufe der Zeit zu anschmiegsamen und opportunistischen Jubelmedien entwickelt hat. Wer wirklich noch investigativ arbeitet, muss damit rechnen, seinen Job zu verlieren. Der nächste auf der Abschussliste ist m.E. Mr Dax mit seinen neuen Veröffentlichungen zu Griechenland.

Des weiteren kann ich nicht fassen, dass Sie tatsächlich glauben, man würde Ihre Daten nur gegen terroristische Daten abgleichen um Flugzeugentführungen zu vermeiden. Was dort tatsächlich passiert, ist die Erstellung von Persönlichkeitsprofilen einschließlich sich daraus bildender Bewegungsprofile, Ihre Interessen, was Sie kaufen, was Sie essen und trinken, rundum alles, was Ihr Leben betrifft. Wann betreiben Sie online-Banking, was buchen Sie wohin, wofür geben Sie Ihr Geld aus? Woher bekommen Sie Ihr Geld und von wem? Wer schreibt Ihnen was und warum? Briefgeheimnis war gestern. Es ist ja nicht unbedingt freiwillig. Sehr oft MÜSSEN Sie ja mittlerweile Dinge online erledigen, weil es nicht mal mehr eine Telefonhotline gibt. Bedeutet, Sie haben keine andere Wahl.

Hier können Sie den Weg Ihrer Informationen verfolgen:

http://apps.opendatacity.de/prism/en

Wirklich lustig ist hierbei, dass die einzige Seite, die Ihre Informationen nur im Land, also dem BND, zur Verfügung stellt, die Pornoseite YOUPORN ist. Selbst die Amerikaner sind als nicht an diesem Schrott interessiert. Alles andere - selbst BILD - geht über Großbritannien oder auf dem direkten Weg in die USA.

Wenn Sie dem Link auf der Seite folgen, kommen Sie zu einer Seite, auf der Sie mal vergleichen können, welchen Raum die Stasiakten im Vergleich zur NSA-Schnüffelei ausmachen, wenn es sich denn auch um Akten und nicht elektronische Dateien handelte.

Nein, es bleibt dabei: Snowden hat uns allen einen großen Dienst erwiesen und verdient die Solidarität der Bürger und deren lautstarken Protest.

Welcome to the real world.

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