Das süße Gift der Koordinaten

Kilometergeld statt Kfz-Steuer. Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht?

 

 

In den Niederlanden wird die bisherige Kfz-Steuer nach und nach durch ein Kilometergeld ersetzt, u.a. um das Klima zu schützen. So weit, so gut. Kann man so machen – kann man auch anders machen, z.b. durch emissionsabhängige Steuern wie in Deutschland, durch einen Aufschlag auf die Mineralölsteuer oder auch ganz anders, keine Ahnung. Nicht mein Thema.

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Haarsträubend ist in meinen Augen die gewählte Technologie.

Beim Wort “Kilometergeld” assoziiere ich persönlich zunächst “Kilometerzähler” und stehe damit sicher nicht allein. Es gibt praxiserprobte, einfache Abrechnungssysteme: Stromzähler, Wasserzähler und eben auch Kilometerzähler. Mögliche Umsetzung: Die jährlich gefahrenen Kilomter werden dem Finanzamt gemeldet; die Behörden lesen selber ab oder kontrollieren stichprobenartig, Manipulationen am Kilometerzähler werden unter Strafe gestellt (in Deutschland so seit 2005).
Beim Kilometrzähler werden bekanntlich  die Radumdrehungen gezählt und abhängig vom Raddurchmesser in die zurückgelegte Strecke umgerechnet. Um das Ergebnis zu meinen Gunsten zu verfälschen und pro Umdrehung mehr Strecke zurückzulegen, müsste ich also größere Reifen wählen (was sich leicht kontrollieren liesse) oder ständig mit zu hohem Reifendruck fahren. In diesem Fall würde die Steuerersparnis vom gestiegenen Spritverbrauch und Reifenverschleiß vermutlich aufgefressen. Bliebe als letzter Ausweg für Steuerbetrüger das Rückwärtsfahren. Anstrengend, vor allem mit Wohnwagen (SCNR).

In den Niederlanden hat man sich aber dafür entschieden, alle Fahrzeuge mit speziellen GPS-Empfängern auszustatten (auf Staatskosten); welche die gefahrenen Kilometer erfassen und an eine Zentralkasse übermitteln.
Vor meinem Haupteinwand ein paar Probleme, die mir durch den Kopf schiessen – und die hoffentlich geklärt sind:

- Wie stelle ich sicher, dass der Nutzer das GPS-Gerät vor der Fahrt nicht deaktiviert hat (und “steuerfrei” fährt)? Oder seine Kennung verändert?
- Sind die erfassten Daten für den Nutzer transparent und nachvollziehbar – oder kommt der Schreck analog zu manchen 34.000€-Montasabrechnungen fürs Telefon erst am Jahresende, wenn man für 2.345.698 km bezahlen soll?
- Wie sichere ich die Übertragung (Integrität, Vertraulichkeit, Verfügbarkeit etc.)?

Das alles wäre schon zu bedenken, wenn es “nur” Kilometerangaben wären. Aber tatsächlich werden weit mehr Daten erfasst. Das liegt in der verwendeten Technik begründet. Wikipedia zum GPS (Global Positioning System):

 

GPS basiert auf Satelliten, die mit kodierten Radiosignalen ständig ihre aktuelle Position und die genaue Uhrzeit ausstrahlen. Aus den Signallaufzeiten können spezielle GPS-Empfänger dann ihre eigene Position und Geschwindigkeit berechnen. [...] Mit den GPS-Signalen lässt sich aber nicht nur die Position, sondern auch die Geschwindigkeit des Empfängers bestimmen. Dieses erfolgt im Allgemeinen über Messung des Dopplereffektes oder die numerische Differenzierung des Ortes nach der Zeit. Die Bewegungsrichtung des Empfängers kann ebenfalls ermittelt werden und als künstlicher Kompass oder zur Ausrichtung von elektronischen Karten dienen.

 

Der informative heise-Artikel zum Thema täuscht sich hier also an einer wichtigen Stelle – oder vereinfacht:

 

Für die Gebührenberechnung müssen allerdings alle niederländischen Autos mit speziellen GPS-Systemen ausgestattet werden. Diese erfassen die gefahrenen Kilometer und senden die Informationen an eine staatliche Zentralkasse, die das Geld von den Konten der Fahrzeughalter einzieht.

 

Erfasst werden eben nicht die gefahrenen Kilometer, sondern die jeweiligen Positionen, die Ortskoordinaten. Daraus wird die gefahrene Strecke berechnet. Man verzichtet lediglich derzeit auf die Nutzung der erfassten Positionen: “Informationen über den Streckenverlauf sollen aus Datenschutzgründen nicht gespeichert werden.”

Warum ist diese Unterscheidung so wichtig? Koordinaten sind ein süßes Gift, von dem viele naschen möchten.

Mit der Einführung des geplanten GPS-Systems ist technologisch der Weg frei zu einer umfassenden Kontrolle der Autobesitzer. Ein paar Szenarien:
- Welches Auto war bei Straftat X oder Demonstration Y  in der  Nähe? Oder hat unberechtigt eine Umweltzone befahren?
- Wie schnell fuhr der PKW von A nach B?
- Parkt der Wagen von NN an seinem Wohnsitz?
- Welches Unternehmen hat der Firmenboss besucht?
- War mein Mann tatsächlich auf Dienstreise, meine Tochter in der Bibliothek, meine Schwester nicht zuhause?
- Ein positiver Effekt soll nicht verschwiegen werden: Autodiebstähle wären zukünftig unmöglich, falls sich das GPS-Gerät tatsächlich nicht deaktivieren oder verändern lässt. Falls.

Klar, dass solche Informationen – noch dazu in einer zentralen Datenbank – vielerorts Begehrlichkeiten wecken werden: Bei Finanzämtern, Sicherheitsbehörden, Versicherern, Arbeitgebern, Rechtsanwälten, Werbetreibenden, Detektiven, Erpressern, Hackern, Wirtschaftsspionen. Geheimdiensten usw.

Dagegen schützen – vermutlich – nur ein dünner Zweckbindungsparagraf und ein “Wir speichern keine Positionen”-Versprechen. Deren Halbwertzeit könnte nach einem Terroranschlag oder bei klammen Kassen rapide sinken. Vom technischen Schutz ganz zu schweigen. Insgesamt eine beängstigende Vorstellung.

Einige Parallelen gibt es zur aktuell wieder aufflammenden Diskussion um die PKW-Maut. Deutschland hat sich bei der Einführung der LKW-Maut ebenfalls für ein datenüberschäumendes Paket entschieden. Schon jetzt werden neben den LKW alle PKW an den Mautbrücken fotografiert, ihre Geschwindigkeiten wird gemessen und ihre Kennzeichen werden ermittelt. Allein die (aktuellen) rechtlichen Rahmenbedingen stehen einer Nutzung im Wege:

Die Erfassung der Fahrzeuge an der Kontrollbrücke erfolgt exakt im Rahmen der Vorgaben des Gesetzgebers. Das ABMG erlaubt gemäß § 7 Abs. 2 unter anderem das Erstellen von Bildern des Fahrzeugs sowie das Erheben des Kennzeichens zweckgebunden zur Überwachung der Vorschriften des Mautgesetzes. Gemäß § 9 Abs. 5 ABMG sind diese Daten unmittelbar nach dem Kontrollvorgang zu löschen, wenn das Fahrzeug nicht der Mautpflicht unterliegt. Toll Collect verarbeitet Fahrzeugbilder und Kennzeichendaten nur im Rahmen des aufgeführten gesetzlichen Zweckes und der Löschungsvorschriften. Die Fahrer sind auf den Bildern nicht erkennbar. Darüber hinaus wird bei nicht mautpflichtigen Fahrzeugen, bei denen aufgrund der Vermessung das Nichtbestehen der Mautpflicht festgestellt wurde, das erstellte Bild nicht hinsichtlich des Kennzeichens ausgewertet, sondern innerhalb von Sekundenbruchteilen gelöscht. (Quelle: TOLL COLLECT)

Ob diese Daten – wie jetzt – nach Sekundenbruchteilen gelöscht oder vielleicht bald für die PKW-Maut genutzt werden: TOLL COLLECT  kann beide Maschinen ölen. Die Voraussetzungen sind da.

Gleiches kann mit den GPS-Daten in den Niederlanden geschehen.

Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht?

Weil man vielleicht mehr vorhat, als man jetzt zeigen möchte. Kein schöner Gedanke. Gern lasse ich mich vom Gegenteil überzeugen.

(Zuerst erschienen im Blog Datenschutzalltag.)

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Heti

Die Holländer sausen mit ihren Autos doch in ganz Europa umher. Das bißchen Total-Überwachung zu Hause können die da gut verschmerzen :)Gravierender wär für die Holländer, wenn wir sie nachahmten...

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