Das gallische Dorf in der Glücksspiellandschaft

Mit einer Reform des Glücksspielstaatsvertrages könnten die finanziellen Mittel für die Breitensportförderung, die Sporthilfe, aber auch für Sozialverbände und deren Projekte langfristig gesteigert werden.

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Kiel, Juni 2010 – Als Boris Becker sich vor 25 Jahren anschickte, in Wimbledon das bedeutendste Tennisturnier der Welt zu gewinnen, hatte der damals 17-Jährige schon eine ansehnliche Karriere als Jugendspieler hinter sich. Unterstützt von der Deutschen Sporthilfe und der Nachwuchsförderung auf Verbandsebene finden Talente nach wie vor den Weg an die Spitze ihrer Disziplin. Mit einer Reform des Glücksspielstaatsvertrages könnten die finanziellen Mittel für die Breitensportförderung, die Sporthilfe, aber auch für Sozialverbände und deren Projekte langfristig gesteigert werden.

 

Das Land Schleswig-Holstein hat mit seiner Gesetzesinitiative für einen neuen Glücksspielstaatsvertrag der realitätsfernen und ökonomisch unsinnigen derzeitigen Regelung, die vor allem die Soziallotterien benachteiligt, den Kampf angesagt und hofft auf Mitstreiter in anderen Bundesländern. Der Marktanteil ausländischer und mithin unregulierter Anbieter bei Sportwetten liegt nämlich bereits bei 94 Prozent, das staatliche Monopol existiert lediglich auf dem Papier, so die Ansicht von CDU und FDP in Kiel, die gemeinsam zum FördeForum ins Kieler Landeshaus geladen hatten. 2009 sind demnach nur 500 Millionen Euro über reguläre Wettanbieter wie Oddset, Fußballtoto und Pferdewetten umgesetzt worden, dagegen steht ein geschätzter Jahresumsatz von 7,8 Milliarden Euro im unregulierten Markt. Von der Aufhebung des Internetverbots für Sportwetten und steigenden Steuereinnahmen sowie der Liberalisierung der Werbemöglichkeiten für den Lotto- und Totoblock soll dann auch der Breitensport profitieren.

 

In der gemeinsamen Veranstaltung der Kieler Regierungsfraktionen entpuppte sich Sportmanager Reiner Calmund als leidenschaftlicher Verfechter einer verbesserten Förderung des Breiten- und Amateursports. Alle, die sich der Möglichkeit verweigerten, durch liberalisierte und kontrollierte Wettstrukturen Mehrerlöse in Millionenhöhe für die Unterstützung der ehrenamtlichen Vereinsarbeit zu generieren, „verkennen die Realitäten“, so Calmund. „Bei uns in Deutschland werden Wettanbieter von den Trikots der Sportmannschaften und den Stadion-Banden verbannt. Das betrifft auch den Amateursport. Im Fernsehen sehen wir dann Logo und Internetadresse der Anbieter bei allen europäischen Top-Vereinen, die davon profitieren.“ Deutschland dürfe sich nicht länger in der Rolle des gallischen Dorfes in der Glücksspiellandschaft gefallen, so sein Plädoyer.

 

Kopfschütteln über die deutsche Gesetzeslage beobachtet Tennislegende Boris Becker, der mittlerweile unter die professionellen Pokerspieler gegangen ist, auch in seiner Wahlheimat England. Wetten habe dort ohnehin einen ganz anderen, quasi Lifestyle-Charakter, so Becker in Kiel. „Wetten ist dort das Normalste der Welt, für den Taxifahrer wie für den Vorstandschef. Die Diskussionen in Deutschland kann niemand auf der Insel nachvollziehen.“

 

Nach Ansicht von Professor Martin Nolte von der Christian-Albrechts-Universität Kiel bringt die Liberalisierung des Marktes eine erhebliche Verbesserung der Sponsoringmöglichkeiten mit sich, von denen der Profisport, aber über das Solidarprinzip auch der Amateur- und Breitensport, profitiert. „Mir leuchtet es nicht ein, warum auf diese Einnahmemöglichkeiten verzichtet werden sollte“, so der Sportrechtler, der von Mehreinnahmen in dreistelliger Millionenhöhe ausgeht. Gleichwohl müsse eine Öffnung des Wettmarktes die Integrität des Sports wahren, deshalb müsse der organisierte Sport Mitbestimmungsrechte über das Wettangebot erhalten.

 

FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki outete sich zwar lediglich als kundiger 17+4-Spieler, verwies aber auf Millionen von ungezählten illegalen Wetten, die jeder im Freundes- und Kollegenkreis anlässlich der Fußball-Weltmeisterschaft eingehe. „Allein das zeigt die Absurdität des geltenden Rechts“, so der Liberale, für den angesichts des Spargebotes des Landes auch die zu erzielenden jährlichen Steuer-Mehreinnahmen von 60 bis 70 Millionen Euro alleine für Schleswig-Holstein ein gewichtiges Argument sind. Das überzeugt nach seiner Einschätzung auch die Parlamentarier in anderen Bundesländern. Seine Ansicht, auch mit Blick auf einen möglichen Alleingang Schleswig-Holsteins: „Die anderen Bundesländer werden kaum zulassen, dass wir die Sahne alleine abschöpfen.“ Nach einer aktuellen Studie mit dem Titel „Glücksspielmarkt Schleswig-Holstein 2015“ kann das Land nach einer Liberalisierung im Jahr 2015 rund 179 Millionen Euro an Steuereinnahmen aus dem Glücksspiel- und Wettensektor generieren. „Das entspricht einer Verdopplung des nach geltendem Recht absehbaren Steueraufkommens für das Jahr 2015“, unterstrich der Münchener Rechtsanwalt und Gaming Law Experte Dr. Wulf Hambach am Rande der Veranstaltung. Eigentlich Anreiz genug für die übrigen Bundesländer, angesichts der allgemeinen Kassenlage die Initiative aus Kiel zu unterstützen, so CDU-Fraktionsvorsitzender Christian von Boetticher. „Für die Förderung des gemeinnützigen Sports in Schleswig-Holstein würde das zusätzliche Mittel in Höhe von zwei bis drei Millionen Euro bedeuten“, erläuterte von Boetticher. Bislang trägt die Glücksspielabgabe zur Sportförderung 6,3 Millionen Euro bei. Für ihn ist die aktuelle Regelung, die das staatliche Sportwettenmonopol noch bis Ende 2011 festschreibt, auch deshalb dringend reformbedürftig, weil „den meisten Menschen, die irgendwo online wetten, überhaupt nicht bewusst ist, dass sie illegal spielen. Wir müssen die privaten Anbieter aus der Illegalität holen, konzessionieren und kontrollieren“, so sein Appell, den zahlreiche Zuhörer im Auditorium teilten. 

 

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