"Das Ding ist offen"

Wie Frank Walter Münchhausen die SPD aus dem Sumpf zog

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Hätte es eine Regie und Dramaturgie gegeben, sie hätte nicht besser umgesetzt werden können. Der Titel des Theaterstücks hätte, im Duktus früherer Jahrhunderte, lauten können: „Frank Walter Münchhausen - Wie die SPD sich am eigenen Schopf aus dem Umfragesumpf zieht und schon mal die Bundestagswahl gewinnt, bevor sie die Weltkrise regelt“. Im ersten Akt wäre dann die Verzweiflung beschrieben worden nach der Europawahl und den Zahlen des Deutschlandtrends, versetzt mit ein wenig trotziger Zuversicht. Tatsächlich sagten die Hauptdarsteller auch in der Woche vor dem Parteitag: „Das ist ein enttäuschendes Wahlergebnis, da gibt es nichts drum herum zu reden, das hätte ich anders erwartet.“ So Steinmeier selbst und Parteichef Müntefering meinte: „Das wird uns nicht zurück werfen. Die, die gewählt sind, Martin Schulz an der Spitze werden in Europa kämpfen für ein soziales Europa. Und in 112 Tagen ist Bundestagswahl und dann wollen wir wieder einen Sieg feiern.“

Überhaupt „Münte“. Ihm war im ersten Akt nicht nur die Rolle des Seelenmasseurs, sondern auch auch des Sonthofen-Fahrers zugedacht. Nach der alten Sonthofen-Strategie von Strauß’, wonach erst einmal alles ganz schlimm sein muß, damit keiner mehr kritisch reinredet und es nur noch bergauf gehen kann, faselte Müntefering am Abend vor dem Parteitag Ungereimtes auf die anreisenden Delegierten ein. Beim „Internationalen Presseabend“ des „Vorwärts“, hielt der SPD-Vorsitzende ein Grußwort, das als inhaltlich weithin konfus und strategisch ungeschickt gewertet wurde. Man war verwirrt. Da ging es um Zuversicht aber ohne Begründung, um Kampf aber ohne sichtbare Waffen, um Persönliches, das mit der Lage der Partei nichts zu tun hatte. Schon kam bei einzelnen Teilnehmern der Verdacht auf, Münte sei schneller gealtert als man dachte, die anhaltenden Kellerwerte der Partei hätten ihn zermürbt. Bei denen, die den Parteichef schon länger kennen, machte sich Nachdenklichkeit breit. Bei allen stieg jedenfalls die Erwartung auf die Steinmeier-Rede. Jetzt komme alles auf diese Rede an, er müsse den richtigen Ton treffen, eine Richtungs-und Personaldebatte in den eigenen Reihen wäre Selbstmord. Sich mit der Linken auseinandersetzen? Ermüdend und lästig. Sich mit dem Baron aus Bayern zoffen? Bringt nichts, verschafft diesem nur noch mehr Popularität. Die Mistparole („Opposition ist Mist“) verbreiten? Wissen wir schon und wenn es gelingt, Schwarz-gelb zu verhindern, damit die große Koalition mit dem Juniorpartner SPD übrigbleibt, dann wäre das schon riesig. Verwirrung, gepaart mit Niedergeschlagenheit, ein letzter Funke Hoffnung – so war die Stimmungslage der alten Dame SPD am Samstagabend.

Dieser eine Funke reichte. Nachdem die Stimmung so trocken und morsch daniederlag, waren die Erwartungen in den Kandidaten zwar deutlich überfrachtet, aber angesichts der Alternativlosigkeit genügte wenig, um ein Feuer der Begeisterung zu entfachen. Das war der zweite Akt. Frank Walter Münchhausen ergriff den Schopf und zog und zog und zog. Und es gelang. Der Parteitag löste sich aus dem Stimmungssumpf und schwang sich in Höhen der Begeisterung, die ähnlich wie die Niederungen am Tag zuvor mit der Wirklichkeit wenig zu tun hatte. Es waren auch nicht die Inhalte, die begeisterten, es war die eigene Erwartung, die emportrug. Die Inhalte waren bekannt: Mehr Staatshilfen statt ordnungspolitische Weisheiten, Arbeit statt Insolvenz (nach den Kosten solcher Arbeit fragte niemand und schon gar nicht, wer die Mittel für die Staatshilfen erwirtschaften soll). Allzu linke Thesen vermied der Kandidat, er versuchte schlicht, die geschundenen Herzen der Sozialdemokraten zu erwärmen. Es gelang ihm, im Biotop von Berlin, die Genossen zu neuer Geschlossenheit zusammen zu reden. Dafür war die Parteitagshalle auch entsprechend vorbereitet. Wie ein griechisches Theater gestaltet, als Atrium mit dem Kandidaten in der Mitte, und nicht in der üblichen Frontformation Vorstand-Delegierte. Im „Estrel“-Hotel in Berlin hatte man den großen Saal verkleinern lassen. Vorstands- und Delegiertenplätze waren nicht gegenüber aufgestellt, sondern gingen ineinander über. Alle waren zusammengerückt. Und Steinmeier war mitten unter ihnen. Das Rednerpult war in der Mitte aufgestellt, er war die Mitte, er war das Zentrum. Damit wurde Steinmeiers Rede auch symbolisch betont, während der eigentliche Zweck der Tagung – nämlich das Regierungsprogramm zu verabschieden – in den Hintergrund trat.

Der Inhalt der Schopf-Rede ist schnell durchdekliniert. Lob für die SPD-Minister in der Regierung, Bescheidenheit bei der persönlichen Zukunftsfrage. Es gehe am 27. September „am wenigsten um mich selbst“, sondern um eine „Richtungsentscheidung“. Man müsse hier und da auch geschickter vorgehen – das war die Prise Selbstkritik, die man bei Versöhnungs-und Erlösungsreden ja auch braucht, weil es keine Erlösung ohne Schuld geben kann. Die Hauptschuld am derzeitigen Desaster trage aber nicht die Krise, sondern der Gegner. Hier griff Steinmeier die Kanzlerin an, nicht den Wirtschaftsminister. Erstmals hörte man in der SPD wieder den Begriff der Neuen Mitte, den Schröder zu Beginn seiner Kanzlerschaft zusammen mit dem damaligen britischen Premier Blair für seine Partei reklamierte. Natürlich wurde die Europawahl abgearbeitet – „das war Mist“ (schon wieder) – und dann griff er sogar in die historische Kiste der SPD, als er einen Satz von Lafontaine anklingen ließ, den dieser auf dem legendären Mannheimer Parteitag 1995 gebrauchte: Man könne nur überzeugen, wenn man selbst überzeugt sei.

Es war kein rhetorisches Meisterstück, aber es war ordentliches Handwerk und das reichte. Man war begeistert. Führungsleute kamen auf die Bühne, umarmten und umringten den Matador. Das Wort von einer historischen Rede wurde gestreut. Die „beste Rede seines Lebens“ (Generalsekretär Hubertus Heil) wirkte wohl zu blass. Man zeigte sich befreit und erlöst. Steinmeier war nicht in den Sumpf zurückgeplumpst. Das Kunststück war gelungen, die Stimmung war gedreht, die Dramaturgie ging auf. Am Schluß wurde sogar die Bibel bemüht. Man solle die frohe Botschaft verkünden.

Die eigentliche Botschaft aber versteckt sich in dem Wort Mitte. In der Tat, der wirkliche Inhalt der Rede lag in dem Begriff der Mitte. Diese Mitte will man Merkel streitig machen. Mit diesem Begriff positionierte Steinmeier die Partei in eine Koalitionslage, die offen ist für alle Seiten, insbesondere aber zur FDP. Denn eines ist klar: Wenn es der SPD gelingt, eine schwarz-gelbe Mehrheit zu verhindern, dann wird es nicht zur Großen Koalition kommen, sondern zu einer Ampel, also zu einer rot-gelb-grünen Koalition. Nur so kann Steinmeier Kanzler werden. Die SPD strebt auch dieses Amt an, in einer Fortsetzung der großen Koalition aber müsste sie das Kanzleramt höchstwahrscheinlich der CDU überlassen. Es sei denn, die CDU ist zu einem Wechsel im Amt bereit, ähnlich wie das in Israel innerhalb einer großen Koalition schon mal praktiziert wurde. Aber auch in diesem Fall wäre die Ampel für die SPD einfacher.

Hier beginnt der dritte Akt. Es ist jenseits des Wahlkampfs die reale Welt der Koalitionssuche. Im Wahlkampf wird man die Union und die Kanzlerin hart angreifen, einige marktliberale Thesen verdammen, aber keine persönliche Diffamierung der FDP-Größen betreiben. Ein nüchterner Blick auf die Europawahl zeigt übrigens auch, dass die SPD sich nicht so viele Sorgen zu machen braucht wie die Union. Im Vergleich zu den Europawahlen 2004 hat die SPD gerade mal 80.000  Stimmen eingebüsst , die Union allerdings in signifikantem Umfang, nämlich 1,4 Millionen und das bei einer gleichen Wahlbeteiligung. Allein zu den Sonstigen sind 350.000 Stimmen abgewandert. Das ist ein deutliches Zeichen für das Ausfransen der Partei. Es gibt keinen inneren Magneten mehr, keine inhaltliche Position, die überzeugt und für die man überzeugend kämpfen kann. Es gibt nur noch Merkel. Die Gegenprobe lieferte die CSU. Ihre Abgeordneten – nicht die Spitze – mobilisierte mit klaren Haltungen und Aussagen, allen voran die trotz unsicherer Listenplätze wiedergewählten Parlamentarier Posselt und Kastler. Dieses Beispiel hat man in der SPD offenbar begriffen. Man will wieder Flagge zeigen, die rote natürlich, aber auch gern andere Flaggen sehen, die gelbe und die grüne zum Beispiel. In diesem Punkt hat Frank Walter Münchhausen recht: „Die Union ist heute so, morgen so. Das Ding ist offen“. Damit meinte er natürlich die Bundestagswahl, vielleicht aber auch die Tür zum Kanzleramt. Der dritte Akt läuft noch. Es kann auch tragisch enden – für beide Volksparteien.

 

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Fuballer

Das Verhältnis der führenden SPD-Politiker zu der Partei Die Linke und insbesondere zu Oskar Lafontaine macht mehr als deutlich, dass es den SPD-Führungspolitikern nicht mehr um Inhalte geht, sondern nur noch um persönliche Animositäten und Macht. Lafontaine scheint der Staatsfeind Nummer Eins zu sein für die SPD-Führungspolitiker (keineswegs für die Basis oder gar für die Wähler). Das merkt man als Bürger und Wähler und macht man nicht mehr mit. Daran kann auch der Show-Parteitag nichts ändern.

Indem die SPD ein Bündnis mit den Linken auf Bundesebene ausschließt kann die Union die SPD ständig vorführen. Besser für die Union geht´s ja gar nicht: Sie kann wenn es reicht mit der FDP die Regierung stellen, wenn´s nicht reicht weitermachen in der großen Koalition. Eine andere Möglichkeit als die große Koalition gibt es rechnerisch nicht mehr für die SPD in die Bundesregierung zu kommen, wenn sie weiterhin jede Zusammenarbeit mit den Linken im Bund ausschließt.
Durch so ein Verhalten verbaut die SPD sich selbst jede Chance, eine soziale Politik zu realisieren. Mit Westerwelles FDP und den Grünen in einem Jamaika-Bündnis ist der Mindestlohn ausgeschlossen, eine neue Energiepolitik auch, ganz zu schweigen von der Bildung. Was bleibt ist eine schwarz-gelbe oder eine schwarz-rote Koalition.

Die Wahrheit ist doch: Der SPD fehlen charismatische Politiker (Steinmeier ist nichts anderes als ein Abziehbild von Schröder), die nicht für das Ego, sondern für Überzeugungen und Gerechtigkeit stehen. Lafontaine war so einer für die SPD, heute ist er es für die Linkspartei: charismatisch, erfolgreich, stellt schon seit Jahren die richtigen Fragen (ob er auch die richtigen Antworten gibt ist eine andere Frage) und seine persönliches Fortkommen hinten an (würde er an Ämtern kleben wäre er sicher heute noch SPD-Vorsitzender und in der Regierung).

Anders als bei den momentanen SPD-Führungspolitikern lassen sich in Lafontaines politischen Leben, in seinen Parteitagsreden und in seinen Büchern über Jahrzehnte politische...

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