Das Bilderbuch und der Mistkübel

Je mehr politische Entscheidungen gegen den Willen der Bürger fallen, umso häufiger werden diese befragt. Das ist nur scheinbar ein Paradox.

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In Wahrheit hängt das eng zusammen: Man tut so, als ob man Demokratie üben würde, in Wahrheit aber praktiziert und festigt man im Hinterzimmer die Oligarchie einer kleinen politmedialen Klasse, die in Wien überdies seit fast hundert Jahren das weitgehende Monopol einer Partei ist. Die herrschende Macht räumt den Bürgern ungefähr so viel Mitsprache ein wie Eltern kleinen Kindern: Diese dürfen das Bilderbuch aussuchen, das ihnen vorgelesen wird. Den Rest des Kleinkinder-Lebens bestimmen die Eltern.

Freilich: Was bei kleinen Kindern richtig ist, ist bei den erwachsenen Bürgern total falsch. Diese fühlen sich nur noch gepflanzt von der Obrigkeit, wenn alle wichtigen Entscheidungen – wie etwa zum Thema Migration oder Verschuldung oder Privilegien (insbesondere der Wiener Landesbeamten) oder (angebliche) Korruptionsbekämpfung oder Medienbestechung – an ihnen vorbei getroffen werden, gegen ihren Willen fallen, sie aber dann huldvoll eingeladen werden, über lächerliche Details abzustimmen.

Vor allem die Stadt Wien praktiziert dieses Verhalten. Neuestes Beispiel ist ein grotesker Wettbewerb zur Suche neuer Mistkübelsprüche. Da darf man jetzt abstimmen, ob einem „Mistkübel statt Mist-Übel“ besser gefällt oder „Feng Pfui“. Fast keinen Wiener interessiert jedoch eine so lächerliche Frage. Ihnen ist völlig egal, welcher witzige oder schwachsinnige Spruch auf den (zweifellos notwendigen) Mistkübeln angebracht ist. Aber offensichtlich dürfen diese nicht mehr einfach hängen, ohne dass eine parteinahe PR- und Werbeagentur sich dabei eine goldene Nase verdient. Wie viel auch immer von diesem Verdienst dann anderswohin fließt . . .

Noch schwachsinniger war die Abstimmung über die Farbe der nächsten U-Bahnlinie. Als ob nicht jeder Euro, der für die Organisation einer solchen Abstimmung ausgegeben wird, zehnmal besser eingesetzt wäre, wenn er für den rascheren Bau der U-Bahn ausgegeben würde. Denn der Bau der U-5 wird schon länger versprochen, als das Gedächtnis der meisten Wiener zurückreicht.

Wahrscheinlich die gleiche, offenbar nicht sonderlich kreative Agentur wird wohl auch vom Verkehrsministerium, pardon: der diesem gehörenden Asfinag beschäftigt. Die parteipolitische Identität dieses Ministeriums mit dem Rathaus legt diese Vermutung jedenfalls doppelt nahe. Ihr ist haargenau dasselbe eingefallen wie fürs Rathaus, als sie auch für die Asfinag eine Abstimmung organisiert hat. Bei dieser darf ebenfalls über eine Farbe abgestimmt werden. Der einzige Unterschied: Hier ist es die Farbe der nächsten Autobahn-Vignetten. Die ist ungefähr ebenso aufregend wie die Farbe der U-Bahn-Stationen . . .

Die Vignetten-Abstimmung hat aber noch einen zusätzlichen Nutzen: Sie kann jedes Jahr wiederholt werden. Das ist vor allem für die Empfänger von Bestechungsinseraten aus dem Vignettentopf groß. Denn es gelingt ja nur mittels solcher Inserate, den Eindruck einer relevanten Abstimmung zu erwecken.

Dabei sollte die Asfinag eigentlich ein gebranntes Kind sein, ist sie doch anlässlich der Faymann-Ostermayer-Inseratenaffäre nur ganz knapp selbst einem Strafverfahren entkommen. Aber weil die Staatsanwaltschaft das merkwürdigerweise eingestellt hat, hat das offensichtlich nicht abschreckend gewirkt. Es wird weiter wie wild auf Kosten der Allgemeinheit inseriert und geworben. In der Werbeindustrie spöttelt man schon darüber, dass den Asfinag-Werbern ebenso wie denen das Rathauses längst schon die Ideen für Sujets ausgegangen sind, mit denen sie die zahllosen von der Politik den diversen Medien versprochenen Inseratenflächen füllt.

Weiterlesen auf: andreas-unterberger.at  

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Gernot Radtke

Der Bürger als Erziehungs- oder Verwahrungsobjekt des z.Zt. rot(grün)en Weltgeistes - da fällt einem einiges ein in Sachen aktuell befeuerter politischer Unmündigkeit. - In Deutschland, historisch noch erbsündiger als Österreich (nur beigetreten), ist es vor allem die mediale Gleichschaltung der öffentlich benutzten Sprache, die Flucht in den allgemeineren, humanitär auswattierten Gattungsbegriff, der z.B. den (vom Staate sogar noch mit Taschengeld belohnten) permanenten Rechtsbruch illegaler Einwanderung im alles umfassenden Begriff des Flüchtlings nicht mehr disjungiert gegen die legale Einreise eines Asylberechtigten. - In Österreich scheint es die öffentlich betriebene Flucht in die albernsten Artbegriffe, z.B. die künftige Farbe eines Pickerl, zu sein, die und deren inhaltliche Konkretheit den Bürger als Bürger ruhigstellen und über die endlose Befassung mit Unerheblichem paralysieren und alle Renitenz verhindern sollen. Beide, das deutsche moralinschwere Verallgemeinern wie das österreichische moralinfreie Sich-Verzetteln in obskure Arten und deren Ab- und Unterarten, wollen/sollen nur den (nicht ganz unlukrativen) Status quo der politischen Eliten und Gschaftlhuber bewahren, allerdings mit einem wesentlichen Unterschied: Geht das deutsche Elitenverhalten immerhin noch von der Annahme aus, der Bürger könne, selbst durch Falsches, zu seinem Besseren erzogen werden, scheinen die österreichischen Eliten diesem Optimismus schon abgeschworen zu haben und einem pessimistischen Nihilismus das Wort zu reden, der beim Stichwort ‚Bürger‘ nur noch mit dem Finger an die Stirn klopft und zu flöten beginnt.

Was uns Dr. Unterberger da aus Wien berichtet, läßt sich womöglich auch so zusammenfassen: Das Projekt vom Bürger intendiert in der deutsch-schillerschen Version, also ‚in moralischer Hinsicht betrachtet‘, doch mehr die Erziehungs- und Besserungsanstalt, während es in der österreichischen Version zynisch-pragmatischer angegangen wird und in der – möglichst a bissel gesacherten - Verwahrung des Bürgers in der Irrenanstalt schon alle Hoffnung für diesen armen Tropf aufgegeben hat. Wer ist näher dran am Wahren des Falschen und am Falschen des Wahren? Die Deutschen? Die Österreicher? Oder am Ende doch der Bürger z w i s c h e n bösen Gattungs- und noch böseren Artbegriffen?

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