Darf man alles sagen?

Einige Argumente für die uneingeschränkte Meinungsfreiheit

Veröffentlicht:
von

 

In Zeiten der political correctness darf man über bestimmte Personen, Gruppen und Sachverhalte nur auf bestimmte Art und Weise sprechen. Über manches darf gar nicht gesprochen werden. Wo liegen die Grenzen der freien Meinungsäußerung? Oder lassen sich Argumente für eine uneingeschränkte Meinungsfreiheit finden?

Meinungsfreiheit kann von zwei Seiten aus betrachtet werden: von demjenigen, der eine Meinung äußert, dem Adressanten, und demjenigen, der eine Meinung empfängt, dem Adressaten. Schauen wir uns die beiden Seiten genauer an.

Zunächst zum Adressanten. Die Psychoanalyse fordert, dass ein Patient über alles frei, offen und somit tabulos sprechen soll. Nur auf diese Weise kann er seine unbewussten Konflikte und Probleme bewusst machen und sie gegebenenfalls lösen. Tut er das nicht, wirken diese Konflikte im Unbewussten weiter und äußern sich früher oder später auf irgendeine krankhafte Art und Weise, zum Beispiel in Gewaltausbrüchen.

Diese Erkenntnis der Psychoanalyse wurde auch auf psychosoziale Phänomene übertragen. Vorurteile, die Menschen gegenüber anderen Menschen oder Gruppen von Menschen haben, sollten geäußert und genau thematisiert werden, andernfalls leben sie im Unbewussten weiter und brechen irgendwann auf destruktive Weise auf.

In diesem Sinne dürften auch die als extremistisch bezeichneten politischen Meinungen öffentlich geäußert werden, weil man sich dann mit ihnen rational und argumentativ auseinandersetzen und sie gegebenenfalls widerlegen kann. Andernfalls werden sie verdrängt, leben im Unbewussten weiter und brechen dann irgendwann unkontrolliert auf.

Ob rationale Argumente Extremisten von ihrem Weg abbringen können, ist eine offene Frage. Auf jeden Fall ist der rationale Diskurs sinnvoller als Verdrängung. Meinungen zu tabuisieren, ist daher – folgt man der Psychoanalyse – immer falsch. Mit anderen Worten: Alle Meinungen dürften öffentlich geäußert werden.

Schauen wir uns jetzt die Seite des Adressaten einer Meinung an. Man sagt, dass bestimmte Meinungen nicht geäußert werden dürfen, weil man mit ihnen andere Menschen oder Gruppen von Menschen verletzen oder beleidigen könnte. Dagegen kann argumentiert werden, dass es von den Adressaten selbst abhängt, wie sie Meinungen auffassen und auf sie reagieren, das heißt, ob sie sich durch Meinungen verletzen oder beleidigen lassen.

Der griechische Philosoph Epiktet behauptet in seinem „Handbuch der Moral“, dass eine Meinung an sich weder verletzend noch beleidigend ist. Nur unsere Auffassung dieser Meinung kann verletzend oder beleigend sein. Wie ein Adressat eine Meinung auffasst und auf sie reagiert, ist allein seine Sache. Epiktet schreibt: „Sei dir dessen bewusst, dass dich derjenige nicht verletzen kann, der dich beschimpft oder schlägt; es ist vielmehr deine Meinung, dass diese Leute dich verletzen. Wenn dich also jemand reizt, dann wisse, dass es deine eigene Auffassung ist, die dich gereizt hat.“

Wie ich die an mich gerichtete Äußerung „Du bist ein Idiot!“ auffasse, ist meine Sache. Ich kann diese Äußerung nicht als eine Beleidigung, sondern zum Beispiel als Ausdruck der persönlichen Probleme oder des Neides des Adressanten auffassen.

Wenn sich jemand abwertend über eine andere Gruppe von Menschen äußert, müssen die Angehörigen dieser Gruppe nicht gleich beleidigt sein und mit Redeverboten drohen. Sie können diese Äußerung z.B. als Ausdruck von Minderwertigkeitskomplexen des Adressanten auffassen und ihn von der Falschheit seiner Meinung argumentativ überzeugen.

Und ein letztes Beispiel: Wie ein religiöser Mensch religionsfeindliche Äußerungen auffasst und auf sie reagiert, ist allein seine Sache. Solche Äußerungen müssen nicht seine religiösen Gefühle verletzen. Ist sein Glaube stark, gehen solche Äußerungen an ihm spurlos vorbei.

Für freiheitsliebende Menschen ist Meinungsfreiheit viel zu kostbar, um auf irgendeine Weise eingeschränkt zu sein. Sie sollte uneingeschränkt gelten.

Für die Inhalte der Blogs und Kolumnen sind die jeweiligen Blogger verantwortlich. Die Beiträge der Blogger und Gastautoren geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion oder des Herausgebers wieder.

Ihnen hat der Artikel gefallen? Bitte
unterstützen Sie mit einer Spende unsere
unabhängige Berichterstattung.

Abonnieren Sie jetzt hier unseren Newsletter: Newsletter

Kommentare zum Artikel

Bitte beachten Sie beim Verfassen eines Kommentars die Regeln höflicher Kommunikation.

Gravatar: Z. Klimowa

Ich habe fertig Artikel gelesen. Wie geht nun weiter?

Gravatar: Gockeline

Schön geschrieben.
Der Meinung bin ich auch.
Wer ein Amt hat auf das er Rücksicht nehmen muß,ist nicht mehr frei.
Wessen Brot ich esse,
dessen Lied ich singe.
Jeder möchte frei sein in seinen Äußerungen,
aber die geht dann zu Lasten des Berufes.
Dank Internet kann heute jeder seine Meinung sagen ohne an den Pranger gestellt zu werden.

Schreiben Sie einen Kommentar


(erforderlich)

Zum Anfang