China baut Thorium-Reaktor

Nachrichten aus dem Reich der Mitte erreichen uns meist nur gefiltert aus zweiter oder dritter Hand. Vor allem der Bereich der Forschung und Entwicklung wird von den Medien in Deutschland oft sehr stiefmütterlich behandelt – und das gilt leider nicht nur für China.

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Im angelsächsischen Sprachraum ist die Situation etwas besser, da viele freie Journalisten in Blogs und Büchern immer mal wieder einzelne Informationshäppchen aus eigenen Recherchen preisgeben. Aber auch die muss man erst einmal finden und die Zeit, aus einzelnen Puzzlestücken ein Gesamtbild zusammenzusetzen, hat kaum jemand.

Umso schöner, wenn endlich einmal eine Primärquelle zur Verfügung steht. Am 06.08.2012 hat Professor Kun Chen, stellvertretender Direktor der Abteilung für Nukleartechnik und nukleare Sicherheit am Schanghai Institut für angewandte Physik, in den USA, an der kerntechnischen Abteilung der Universität Berkeley, einen Vortrag gehalten. Dieser ist hier in voller Länge verfügbar.

Hinweise auf das, was er dort dargestellt hat, gab es schon länger. In seinem Buch „Superfuel“ berichtet Richard Martin ausführlich von chinesischen Delegationen, die sich am Oak Ridge National Laboratory über Nuklearprojekte der Vergangenheit informiert hatten. Was scheinbar offizielle Stellen in China dazu bewog, Anfang 2011 ein aufsehenerregendes, in Deutschland aber leider völlig ignoriertes Projekt bekanntzugeben. Nun sind solche Deklarationen gemeinhin mit großer Vorsicht zu genießen. Hat der Übersetzer vielleicht einen Konjunktiv fehlinterpretiert? Geht es nur um kurzfristige Aufmerksamkeit, oder folgen großen Wo

 

In diesem Fall folgen sie. Bei aller kritischen Distanz: Kun Chens Darstellung ist selbstsicher und deutlich. China hat sich entschieden, den Thorium-Flüssigsalzreaktor, auch LFTR oder „Lifter“ für „Liquid Fluoride Thorium Reactor“ genannt, zu entwickeln und zu bauen. Die Chinesen bevorzugen übrigens die Bezeichnung TMSR für „Thorium Molten Salt Reactor“. Gemeint ist in allen Fällen dieselbe Wundermaschine: Ein Reaktor zur Umwandlung der Kernenergie in Wärme, dessen Rohstoff Thorium in sehr großer Menge verfügbar ist und der gegenüber herkömmlichen Leichtwasserreaktoren erhebliche Effizienzvorteile aufweist. Es ist schlicht ein Konzept, durch das jedes gegen die Kernkraft ins Feld geführte Argument irrelevant werden kann. Weder produziert ein Lifter langlebigen, toxischen Atommüll, noch waffenfähige Stoffe. Da kein Phasenübergang flüssig-gasförmig im System stattfinden kann, würde ein Unfall nicht zur Verbreitung radioaktiven Materials in der Umwelt führen. Der Reaktor ist passiv sicher, bei Ausfall sämtlicher Steuerungssysteme nimmt er von selbst einen sicheren Betriebszustand ein. Er eignet sich zur Gewinnung von Wärme für die industrielle Produktion ebenso wie für die Herstellung von Radionukliden für medizinische Anwendungen. Und schließlich kann man mit diesem Gerät auch noch vorhandene radioaktive Abfälle aus anderen Kernkraftwerken vernichten.

Die wesentlichen Fakten aus dem Video:

    seit 2011 arbeiten in Schanghai an einem eigens gegründeten Forschungsinstitut 400 Menschen am Lifter

    die staatliche Förderung beträgt 350 Millionen US-Dollar, verteilt auf fünf Jahre

    ein Forschungsreaktor mit 2 MW Leistung soll bereits 2015 fertiggestellt sein

Demonstrationsanlagen mit 10 bzw. 100 MW Leistung sind danach vorgesehen. Ist dieser ambitionierte Plan realistisch? Ich denke er ist es. Denn die Chinesen fangen nicht bei null an. Sie verfügen – wie dem Vortrag zu entnehmen – erstens selbst über eine über Jahrzehnte gewachsene Kompetenz in diesem Themenfeld. Zweitens verfolgen sie die Strategie, das bereits vorhandene Wissen über den Thorium-Flüssigsalzreaktor und seine Komponenten zu bündeln und zu verwerten. Es wundert daher nicht, für den Herbst 2012 von der International Thorium Energy Organization zur jährlichen Konferenz ausgerechnet nach Schanghai gebeten zu werden.

2015 und auch 2020 oder 2030 – eine mögliche Zeitschiene für Chinas Demonstrationskraftwerke – liegen weit innerhalb des Horizonts der deutschen Energiewende. Einmal mehr zeigt sich an diesem Beispiel die Realitätsferne unserer Regierung. Denn wer denkt, die Energieträger und –technologien des Jahres 2010 wären auch die des Jahres 2050 ist wahlweise weltfremd, naiv oder ideologisch verblendet. Man suche es sich aus.

 

Beitrag erschien zuerst auf: science-skeptical.de

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Kommentare zum Artikel

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Ich würde mich freuen, wenn unsere Wissenschaftler an diesem Kraftwerkstyp mitarbeiten würden. Wir verfrühstücken aus lauter Angst unsere Zukunft und suchen Endlager für Milliiiioooooonen Jahre. Mit Nachhaltigkeit hat das nix zu tun, wenn man Wertstoffe verbuddelt.

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