Buchtipp: Olymp der Thrillerliteratur

Dieser Thriller sprengt die Grenzen des Genres.

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Nach der Lektüre dieses Romans wird man zu einem anderen Leser, zumindest von Thrillern. Denn mit dem grandiosen Werk „Shibumi“ hat der Autor Trevanian die Grenzen des Genres gesprengt. Spannungsmeister wie Robert Ludlum, Frederick Forsyth und andere erscheinen plötzlich in einem neuen Licht. Sie wirken ein wenig wie Zwerge neben dem New Yorker Dr. Rodney William Whitaker, einem Professor für Filmkunst, der unter dem Pseudonym Trevanian Bestseller schrieb. Lange Zeit vermutete man, dass „Shibumi“ aus der Feder von Ian Fleming, Henry Kissinger, Robert Ludlum oder Tom Wolfe stammen könne. Dies lag zum einen am Erfolg des Autors, zum anderen aber auch an der Vielfalt seiner Stoffe und Themen.

 

Der Berufskiller Nicolai Hel ist die faszinierende Hauptfigur des Romans. Er hat seine „Karriere“ eigentlich abgeschlossen und lebt zurückgezogen in einem Schloss in den Pyrenäen. Überraschend tritt die junge Jüdin Hannah in sein Leben. Sie befindet sich auf der Flucht vor einer übermächtigen Geheimbehörde und ist einem Anschlag, bei dem mehrere ihrer Terroristenfreunde starben, nur knapp entronnen. Hannah ist schön und naiv. Hel kann nicht anders und muss sich ihrer annehmen, wobei er seine mittlerweile auch finanziell gesicherte Existenz mit einer äußerst attraktiven Kurtisane, mit der er tantrischen Sex praktiziert (denn er verabscheut Dilettantismus in jeder Form); aufs Spiel setzt.

 

Wer jetzt ein klassisches Thrillerdrehbuch mit viel Action, zahlreichen Wendungen, ein wenig Sex und viel Knallerei erwartet, der wird enttäuscht sein. Denn Trevanian hat einen sehr langen Erzählatem. Da er ein Meister der Sprache und der Ironie ist, wird es einem aber nie langweilig. Gerne taucht man ein in die frühen Jahre Nicolais in Shanghai und Japan. Hel ist der Sohn einer männermordenden russischen Adligen, der nicht nur das japanische Go-Spiel, verschiedene Sprachen und Kampftechniken beherrscht, sondern auch zu einem berühmten Höhlenforscher , Profikiller und passionierten Gärtner wird.

 

An den politischen Aussagen des Romans wird sich mancher stören. Den Amerikanern wird generell eine Kaufsmannsmentalität unterstellt, während Trevanian das japanische Volk und japanische Geschichte und Politik sehr idealisiert darstellt. Angesichts der Politik der Umerziehung und des Demokratisierungswahns der Neocons in den USA werden aber sicher nicht wenige Hels Kritik des „Amerikanismus“ zustimmen: „eine gesellschaftliche Krankheit der postindustriellen Welt, die unweigerlich eine merkantile Nation nach der anderen anstecken muss“. Während die Asiaten – insbesondere die Japaner – hoch im Kurs stehen, hält Trevanian Russen und Amerikaner für zwei etwas unterschiedliche Varianten ein und derselben Sache, nämlich „der Tyrannei der Mittelmäßigkeit“.

 

Von dieser Mittelmäßigkeit ist „Shibumi“ weit entfernt. Damit löst der Roman das ein, was im Japanischen mit „shibumi“ gemeint ist. Denn hierunter versteht man größte Verfeinerung, die unter einer alltäglichen Erscheinung verborgen bleibt: „Shibumi ist eher Verstehen als Wissen. Sprechendes Schweigen. Im menschlichen Verhalten ist es Sittsamkeit ohne Prüderie. In der Kunst, in der das Wesen des shibumi die Form des sabi annimmt, ist es elegante Schlichtheit, ausdrucksvolle Kürze. In der Philosophie, in der shibumi als wabi erscheint, ist es geistige Gelassenheit, die nicht passiv ist, ist es Sein ohne die Angst des Werdens“. Wer sich auf Nicolais lebenslange Suche nach dieser Geisteshaltung und Lebensform einlässt, der wird reich beschenkt.

 

Trevanian: Shibumi. Wilhelm Heyne Verlag: München 2011. 576 Seiten. 9,99 Euro. ISBN: 978 – 3 – 453 – 40809 - 8.

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