"Betreuungsgeld-Studie" als Polit-Mediales Debakel

Das Betreuungsgeld erfüllt die schlimmsten Befürchtungen und muß deshalb sofort abgeschafft werden! - so das nahezu einhellige polit-mediale Echo auf eine neue Studie des Deutschen Jugendinstituts (DJI, München) und der Universität Dortmund am Wochenanfang.

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54 Prozent der wenig gebildeten Eltern, so das zentrale Ergebnis, würden wegen des Betreuungsgelds keine "Krippe" nutzen und deshalb die Bildungschancen ihrer Kinder schmälern.

Das HEIDELBERGER BÜRO FÜR FAMILIENFRAGEN UND SOZIALE SICHERHEIT (HBF) hatte bereits im Juni die wissenschaftliche Qualität dieses Ergebnisses massiv in Frage gestellt, als DER SPIEGEL erstmals über diese Untersuchung berichtete. Am Montag Nachmittag haben die Forscher ihre "Schreckenszahl" erheblich korrigieren müssen und einen schweren Berechnungsfehler eingeräumt, der auch den sogenannten Qualitätsmedien komplett entgangen war. Obwohl sie zuvor über die DJI-Veröffentlichung breit berichtet und das Betreuungsgeld in ihren Kommentaren nahezu einhellig als krasse politische Fehlentscheidung verworfen haben, war von diesem peinlichen Vorgang kaum noch etwas zu erfahren.

Damit bestätigten die Medien exemplarisch die grundsätzliche Kritik an ihrer Arbeit, die Stefan Sell, Direktor des Instituts für Bildungs- und Sozialpolitik der Hochschule Koblenz, noch am Montag Mittag in einem Rundfunk-Interview geäußert hatte:

Sell kritisierte in diesem Zusammenhang auch die Arbeit der Medien als unzureichend: "Überall liest man ja die gleiche Meldung; man muss den Eindruck haben, hier haben viele voneinander abgeschrieben", sagte er. "Wir haben leider zu viele Studien, wo dann alle drüber berichten, und zwei, drei Tage später, wenn dann die ersten kritischen Fragen kommen, ja dann ist schon wieder ein neues Thema der Aufmerksamkeitsökonomie dran."

Dieses Problem ist durchaus grundsätzlicher Natur, aber nicht alternativlos, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung (F.A.Z.) heute vorführt: Sie hatte zwar auch am Montag mit dem gleichen Tenor wie die anderen (Leit)Medien berichtet, aber im Gegensatz zu ihnen, stellt sie die Studie heute kritisch auf den Prüfstand. Die Redaktion arbeitet nicht nur das methodisch fragwürdige Vorgehen des DJI und der Uni Dortmund präzis heraus, sondern sieht klare Indizien für eine bereitwillige politische Instrumentalisierung der Forscher im politischen Meinungskampf. Dafür spricht auch das Verhalten im Umgang mit der Medienöffentlichkeit.

Diese Distanzlosigkeit zwischen Wissenschaft und Politik/Regierung(en) bestätigt übrigens gerade auch die aktuelle Auswertung zur Auseinandersetzung um den rechtskräftig bestätigten Betrug der ehemaligen Bundesbildungsministerin Annette Schavan bei ihrer Doktorarbeit.

Für die auflagengeschwächte Presse und ihren Umgang mit der "Betreuungsgeldstudie" gibt es zudem noch eine weitere, grundsätzliche Lektion, die ein kritischer Leserbrief an die Redaktion der Süddeutschen Zeitung so formuliert:

Datum: 2014-07-28 22:47

Betreff: Bitte erst einmal Mathe-Nachhilfe nehmen, bevor Sie wieder über "Geld statt frühkindliche Bildung" schreiben

(....)

Sehr geehrte Frau (....)

mit Interesse habe ich Ihren Artikel über "Geld statt frühkindliche Bildung" in der SZ vom 28.07.2014  gelesen. (....) Und als Mathematiker muss ich echt sagen,...

Aber man muss Ihnen wahrscheinlich zu Gute halten, dass nicht böse Absicht, sondern lediglich Ihre Abneigung gegen das Betreuungsgeld gepaart mit mathematischer Unfähigkeiten zu folgendem Satz geführt hat (....)

Ich könnte Sie natürlich bitten, dass Sie in der Ausgabe der SZ von übermorgen eine Richtigstellung bringen, aber ich habe inzwischen genügend Erfahrung mit Ihrer Zeitung um zu wissen, dass Sie zwar von Politikern Ehrlichkeit und Transparenz fordern, aber über eigene Fehler gerne hinwegsehen. (....)

In 14 Tagen halte ich übrigens wieder einen Vortrag zum Thema "Informiert oder deformiert?" vor etwa 100 Jugendlichen. (.....)

Nach meinen Informationen ist die Auflage der SZ vom 2Q13 zum 2Q14 um -5,0% zurückgegangen. Möglicherweise liegt es ja daran, dass der normale Leser lediglich informiert werden will und sich seine eigene Meinung bilden möchte und nicht eingefärbte Artikel wie den obigen lesen möchte. Vielleicht denken Sie mal darüber nach. Letztendlich geht es um Ihre Arbeitsplätze.

 Mit freundlichen Grüßen

Michael Horn

München

 

Von Kostas Petropulos, Leiter des Heidelberger Büros für Familienfragen und soziale Sicherheit (HBF).

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