Besinnliches zum Jahreswechsel

Kläglich kleinlaut nahmen sich die Reaktionen sämtlicher Leitmedien auf einen missglückten Mordversuch aus, der in der Nacht von Heiligabend auf Weihnachten ganz gezielt einen völlig wehrlosen Obdachlosen traf.

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Diverse Mutbürger bewahrten den Mann davor, bei lebendigem Leib zu verbrennen, aber die Retter wurden und werden eisern totgeschwiegen. Dies gilt ferner für jenen polnische Familienvater, dem wiederum hunderte von Menschen ihr Leben verdankten, wiewohl dies nun mit verräterischer Verspätung in Abrede gestellt wird: Fast zehn Tage mussten ins Land gehen, bis eine Ermittlergruppe plötzlich (?) der dubiosen Bremsautomatik des zur Mordwaffe umfunktionierten LKW auf die Schliche kam, die angeblich infolge Aufprall aktiviert wird, was sofort die Frage provoziert, warum dies nicht auf Anhieb klappen konnte. Dass diese Vorrichtung kinderleicht außer Kraft gesetzt werden könne, wurde immerhin am Rande erwähnt. Ich halte es nach wie vor für wahrscheinlich, dass der unglückliche Pole unter Todeskrämpfen den feigen Henker daran hinderte, die feuchtfröhliche Budengaudi vor der Gedächtniskirche in ein bluttriefendes Schlachthaus zu verwandeln.

Hunderte Tote statt der am Ende zwölf hätten womöglich eine längst überfällige Ära beendet. Aber Kanzlerin Merkel würdigte den Mann in ihrer abstoßenden Beileidsbekundung mit keinem einzigen Wort, so wenig wie sie den jüngsten Mordversuch einer Erwähnung für nötig hielt. Sie sitzt sowas aus. Keiner kann das besser. Unmittelbar nach der Ermordung einer gewissen Maria L. warnte dieselbe Person jedoch vor Pauschalurteilen gegen Flüchtlinge und die ganze Berliner Elite plapperte ihr das in hektischer Eile (und im Brustton eiserner Überzeugung) nach und bei der Gelegenheit versäumten alle, wenigstens den Angehörigen der allzu früh Verstorbenen zu kondolieren. Das lässt tief blicken, finden sie nicht? Erinnert: Eine knapp neunzehnjährige Medizinstudentin wurde missbraucht und zu Tode gequält, von einem dieser ´Flüchtlinge´, die nun nahezu täglich für Furore sorgen. Mittlerweile jagt nämlich eine Straftat die nächste, und mit jeder noch folgenden hat man die vorherige schon wieder vergessen oder verdrängt.

Die Eliten beteuern zwar ständig ihre Betroffenheit, lassen aber Verbrechen wie diese gern in Samtfolie einpacken. Nur nicht die eigenen Pfötchen an den allzu heißen Eisen verbrennen. Die kühlen auch nur langsam ab. Wie unsere erhitzten Gemüter. Nachrichten werden heute, beziehen sie sich auf unmittelbar Geschehenes, nahezu gierig von uns allen verschlungen. Einer breiten Öffentlichkeit, deren Sensationshunger neuerdings von sehr viel Bauchweh begleitet wird, servieren die Chefköche von der Meinungsmafia daher in öder Folge die notorisch zu fett geratenen Rostbraten: grob gehackte, mit Geschmacksverstärkern großzügig garnierte Happen, knusprig nur an den vor fetter Soße triefenden Rändern. Mit Rücksicht auf sensible Mägen lässt sich der warme Fraß auch locker zum leicht verdaulichen Einheitsbrei zusammenstampfen, nachgewürzt mit viel postfaktischem Schwiemel. Wer merkt schon, dass die geblähte Mahlzeit keine wirklichen Nährstoffe enthält, ja dass sie auf Dauer schlicht nur schadet?

Wirklich wichtige, schnell verdächtig anmutende Einzelheiten kommen, kommt es mal wieder zum Äußersten, selten bis verspätet zur Sprache. Wie die störenden Identitäten derer, die sich zufällig zur falschen Zeit am falschen Orte aufhielten. Details interessieren sowieso nur, wenn sie sich ins passende Bild fügen, sie werden dann in bewährter Manier so oft wiederkäut, bis sie der letzte Dummbratz auswendig ausspucken kann. Der Rest fällt durchs Sieb. Dazu zählt eben das Schicksal der Opfer. Von denen ist schnell keine Rede mehr. Nahezu täglich hingegen mutet man uns die unterschiedlichsten Täterprofile zu. Wortreich und erklärungsarm, bieten die begleitenden biografischen Bemühungen immer nur Stückwerk, und überhaupt sagen die strapazierten Schlagworte (es sind immer dieselben) mehr über die Schöpfer, weniger über ihre Geschöpfe aus. Von dem unerschütterlichen Glauben beseelt, die Beweggründe der Bestie zu kennen, ihr Unglück eben, das keine Schuld mehr kennt, wird hier am Ende für eine Art dauernde Verständnisbereitschaft geworben: Mörder werden zu ´Radikalisierten´, ihre Taten zu Fehlern erklärt. Wer macht sich hier größerer Fehler schuldig: der autistische Sozialromantiker oder sein durchgeknalltes Studienobjekt, in das jener geradezu verliebt zu sein scheint? Der einzige Fehler des mit Feuer attackierten Wermutbruders bestand wohl nur darin, dass er ohne nachzudenken darauf vertraute, dass man ihn in der heiligen Nacht auf einer Bank in Ruhe seinen Rausch ausschlafen lasse. Er rechnete nicht mit den ´Opfern´ der Gegenseite. Die hingegen konnten fest damit rechnen, dass er ihnen keine Probleme machen werde. Fein ausgeheckt.

In der Aktuellen Stunde im Dritten tauchte die Meldung vom ´angefackelten´ Tippelbruder gar nicht erst auf, die Heute-Nachrichten im ZDF nahmen sich des ´Vorfalls´ dafür umso kürzer, bündiger an. Was da genau geschah blieb natürlich vorsorglich im Vagen. Gleichsam ausführlicher geriet den Machern darob die unvermeidliche Konterkarierung: eine, die für milden Ausgleich sorgen soll. Also führte man uns einmal mehr leuchtende Beispiele gelungener Integration vor, auf die sehr übliche, kaum noch auszuhaltende Art und Weise, mit strahlenden Gesichtern, vor – und nachgeplapperten Texten, einer rührseligen Hintergrundgeschichte, und am Ende stand dann felsenfest: Bedauerliche Einzelfälle wie die von Berlin können und dürfen unmöglich das Gesamtbild schmälern. Genauer: ´Flüchtlinge´ sind und bleiben die eigentlichen Opfer, mehr oder weniger ausnahmslos, und wo sie ausnahmsweise einmal selbst welche produzieren (die Ausnahmen häufen sich) handelt es sich um eine Art fremdgesteuerte Epilepsie: Die kommt nur sehr selten vor und kann ganz gut (nach)behandelt werden. Sonderbehandelt wird, zappt er sich durchs Programm, noch der letzte Zweifler: Mit jedem neuen ´Bericht´ werden putzige kleine Kinder vor die Kamera gewinkt, eine verlässliche Masche, dann ist es auch um die letzten Nörgler und Querulanten geschehen, sie mögen sich dagegen sperren wie sie wollen. Derlei ´Postfaktum´ schmiegt sich direkt oder auf Umwegen ins Gemüt, selbst in der Abwehrhaltung kann man sich der triefenden Rührseligkeit nur schwer entziehen. Hier werden mit mehr und weniger Erfolg über clever gestaffelte Assoziationsketten innere Wirkungsmächte entfacht. Am Ende gilt, faustdick: Die Partei, die Partei – die hat immer Recht.

Den rüden Zurechtweisungen derer, die als übliche Verdächtige den verbliebenen Diskurs bestimmen, weiß man auf Anhieb nur mit Wut und Empörung zu begegnen. Meist sind es Frauen, die uns nachträglich die Leviten lesen. Im Zusammenhang mit der Feuerattacke gegen den schlafenden Pennbruder belehrte uns Frau Staatsministerin Aydan Özoguz über Versäumnisse, die der Gesellschaft insgesamt anzulasten seien. Wir alle, so findet sie, müssten uns noch mehr Gedanken darüber machen, was zu tun sei, damit solche Jugendliche hier besser ankommen, besser Fuß fassen – und so weiter. Freilich: Gilt dies auch für eine Erdogan-hörige türkische Volksgemeinschaft auf deutschem Boden? Die gebärdet sich immer rabiater angesichts für vogelfrei erklärter ´Volksschädlinge´, denen sie hier nahezu progromgeil auflauert, da darf folglich, finde ich, die Frage erlaubt sein, weshalb die Ministerin diese extremen Gruppen nicht zusätzlich in ihre gesamtpädagogische Betreuung mit aufnimmt. Bezeichnend, dass auch die Frau Özoguz im Blick auf das Feuerattentat weder sein Opfer noch die Retter mit nur einer einzigen Silbe erwähnte. Das, was sie uns vorwirft, zielt eben darauf ab, Täter und Opfer auszutauschen. Noch einmal: Tatsächliche Opfer werden nur noch als lästig empfunden und dementsprechend entfernt. Eine verdächtig deutsche Praxis, wie mir im Blick auf eine noch nicht gar so ferne Vergangenheit scheinen möchte. Derzeit ist dieselbe vor allem im Heimatland der Frau Ministerin wieder sehr gängig.

Wo es darum geht, komplizierte Zusammenhänge in einen plumpen Scherenschnitt zu verwandeln fehlen die ´Experten´ nie. Als Nachhut meinungsmachender Kartelle geben sie immer erst posthum ihre satzungstreuen Belehrungen zum Besten, und wie es sich für überbezahlte Stichwortgeber und Steigbügelhalter gehört, plappern sie bei der Gelegenheit den politischen Glaubenskanon ihrer Mäzene wie kleine Betschwestern nach. Im Heute Journal wies einer dieser geschmierten Denkfabrikanten ziemlich stolz darauf hin, dass mehr Überwachung keinen Anschlag verhindere, der Ruf nach mehr Sicherheit sei also Populismus, Wasser auf die Mühlen der Rechten, und sowieso und erst Recht: Versucht´s mal mit Gelassenheit! Frage: Wer von denen, die dem heroischem Fatalismus das dauernde Wort reden, ginge gerade hier mit gutem Beispiel selbst voran? Empfehlen uns diese Leute den widerstandslosen Gleichmut auch im Blick auf jene rechten Banden, die des Nachts Flüchtlingsunterkünfte in Brand setzen? Doch zieht die Forderung nach chilliger Gelassenheit zwecks Spaßbefreiung ohnehin nur in knappen Maßen. Der erschwatzte Heldenmut kommt im Ergebnis ziemlich mager rum; sozusagen als Diätschinken von der Stange. Im Anschluss an den LKW-Dschihad ergab eine in Echtzeit nachgehechelte Befragung passender Passanten nur die übliche, unter Krämpfen cool daher genuschelte Ratlosigkeit. Deutlich wird: Die ´Spaßguerillisten´ haben so ziemlich fertig. Womöglich ist das kleinlaute Gestammel partygeiler Gutmenschen, die gern traurig und tatkräftig zugleich, nicht aber wütend oder gar angriffsfreudig sein wollen, schon eine Folge raffinierter Konditionierung: Ein Volk empathiesüchtiger Vollpfosten fügt sich immer mutiger ins Unvermeidliche und fragt so ängstlich wie von Sinnen nach, was man denn tun könne, um verzweifelte Facharbeiter aus Rechtglaubistan nicht weiter zu reizen.

Irgendetwas läuft grundsätzlich schief, im Großen und im Ganzen, das ist nicht länger wegzulügen, aber man verkauft uns die Kollateralschäden fahrlässiger Politik auch weiterhin ganz ungeniert als lästige, mitunter lausige Betriebsunfälle. In seiner passend zum Datum vor postfaktischer Schmiersülze nur so tröpfelnden Duselansprache warf der scheidende Bundespräsident seine süß duftenden Nebelkerzen im lästigen Dutzend aus. Derlei staatlich geprüften Narkotika zeitigen, steht fest, keine sichtbaren Nebenwirkungen: Der Groll staut sich, wie immer, unter der Galle; und ein kompakter Dunst versperrt recht gnädig jede Sicht. Wir sind doch, Hand aufs Herz, ein Volk von Dauer-Junkies geworden: unruhig dem nächsten Kick entgegen schwitzend, insgesamt aber zu ausgelaugt und müde, auch nur das Fenster zu öffnen, um endlich einmal frische Luft in die artifizielle Höhle zu lassen.

In banger Erwartung harrt die von Gauck und Co. umschmuste Masse Mensch der nächsten Missetat, die uns alle zu noch mehr Gelassenheit und Brüderlichkeit erziehen wird, denn solche Fehlleistungen sind im Schatten gelungener Integrationsbemühungen sicher ärgerlich, mögen aber bitte nicht dazu führen, am einmal eingeschlagenen Weg zu verzweifeln, der umso grimmiger behauptet wird, je deutlicher gewisse Vorfälle ihn als Sackgasse entlarven. Der Masterplan darf nicht einmal ansatzweise in Frage gestellt werden. Interessant, wie im Zuge erzwungener Sprachregelungen das Postfaktische tatsächlich immer breiter an Geltung gewinnt, wiewohl es ursprünglich, als Erfindung nüchtern kalkulierender Eliten, der Entmündigung treuloser Volksschichten diente. Die Silvesternacht von Köln ist uns allen noch so gegenwärtig, als sei das erst wenige Monate her, aber seitdem ist fast ein ganzes Jahr vergangen, und die jüngsten Ereignisse überschlagen sich. Passend zum nächsten Wechsel. Keiner, der da noch ans Feiern allein dächte: Die Möglichkeit, das es richtig knallt, spukt wie eine echte Zwangsvorstellung in allen Köpfen. Auch hier gilt, dass wir uns langsam daran gewöhnen, ohne damit richtig fertig werden zu können. Ähnelt unser Gemütszustand nicht längst der Anämie eines alpdrückenden, schemenhaft ausufernden Tagtraumes? Seltsam zeitlos, in verwirrender Gleichzeitigkeit, huschen die Schlagzeilen, gleich Gespenstern, am starren Auge vorbei, und der Fiebernde parliert in nervösen, von Panik getriebenen, seltsam ruckartigen Bewegungen, immerzu von den Verlangen bestimmt, endlich aufwachen zu dürfen, wiewohl die Versteinerung jeder Zuckung widersteht. Das, will mir scheinen, ist ziemlich genau unsere Situation: Zwischen Traum und Wirklichkeit, Trug und Tatsache irrlichternd, fällt es schwer, sich für eines von beidem ganz zu entscheiden. Beides aber macht die täglich gelebte Realität aus: Die von den Medien inszenierte sägt an den ohnehin völlig überreizten Nerven, während die auslösenden Geschehnisse immer wieder an das unbefleckt Böse erinnern, dem wir mit lauter billigen Tricks einfach nicht beikommen. Die Situation ist nahezu kafkaesk: Das Tatsächliche wird rechtzeitig in ein Gleichnis verwandelt, denn in seiner Nacktheit, Reinheit ist es einfach nicht zu ertragen, aber jeder noch so feine (oft auch plumpe) Kunstgriff löst nur weiteres Unbehagen aus, weil die postfaktischen Instinkte unendlich ehrlicher bleiben als jede noch so miese, kleine Lüge. Salopp gesprochen: Den Menschen ist nicht länger wohl in ihrer klammen Haut. Je ausdauerender sie sich ´Informieren´ lassen umso überfallartiger gerät der nächste Schüttelfrost.

Derlei Empfinden kennzeichnet nicht einzig die Verunsicherung übertölpelter Staun-Bürger. Mehr noch kommen hier Lähmungserscheinungen zum Ausdruck, die eine langsame, umso verlässlichere Gewöhnung zeitigen: Dem Unvermeidlichen gibt man sich auf diese Weise weniger willig, eher matt und müde hin; die dauernde Erregtheit zeitigt endlich Apathie. In der Tat: Die anderthalb Millionen ´Zuwanderer´ sind da, sie sind wirklich angekommen, das hat sich bis zum letzten Deppen herumgesprochen, eine Minderheit der mehrheitlich muselnden ´Mitbürger´ tickt bereits durch, die Mehrheit wird auf andere Art und Weise ausscheren, langsamer und geschmeidiger, aber wider unser Selbstverständnis, das wir, Hand aufs Herz, schon selbst nicht mehr genau bestimmen können. Solches kennzeichnet jede Verfallsepoche. Nehmen die Erben überkommener Kulturen nur noch die schwachen Umrisse derselben wahr, so ist es um die Erscheinungen selbst geschehen: Sie lösen sich, gleich den Fäulnishaften Konturen auf den Gemälden Turners, langsam in Wohlgefallen auf. Übrig bleibt ein Spuk.

Was dieser Tage sehr deutlich wird: Der Mensch ist ein Gewöhnungstier. Das hat von den Meisterdenkern deutscher Abkunft niemand so klar und deutlich gesehen wie Friedrich Nietzsche, der in der Auseinandersetzung mit den Beobachtungen Charles Darwins bestätigt sah, das feige Mimikry geradezu die Vorrausetzung darstellt, einer Gattung noch unter extremster Gefährdung irgendwie das bloße Überleben zu sichern. Freilich: um welchen Preis? Erinnert sei an dieser Stelle einmal mehr an die beunruhigenden Befunde Harald Welzers, denen zufolge brav biedere Familienväter unter gewissen Umständen innerhalb kürzester Zeit zu Massenmördern mutieren, was ja auch für ´Gefährder´ gilt, die ein paar Tage (und Nächte) lang im Netz surfen, bevor sie sich in hektischer Betriebsamkeit der Ausarbeitung wüster Meuchelphantasien widmen.

Von Schuld sei immer seltener die Rede. Ein zwölfjähriger Bub, dem die Konstruktion einer fiesen Nagelbombe missriet, ist zudem nicht strafmündig; der kann nur radikalisiert worden sein und wenn er ehedem für Wochen im Gespräch geblieben wäre, ist er jetzt schon annähernd vergessen: So schnell ändern sich die Zeiten. Das Unerhörte wird zum Mainstream, man gewöhnt sich dran, man nimmt es so hin, das sind nur noch Schlagzeilen, die auf Anhieb kicken und dann rasch ermüden.

Mag die Zahl der Wutbürger wachsen, deren Empörung echt bleiben: Steter Tropfen höhlt am Ende jeden Stein. Fortan gilt nicht nur auf Weihnachtsmärkten: Bloß nicht zu sehr auffallen. Wer anderes behauptet, lügt. Sehr einfach. In der Masse oder im Verborgenen muffeln, nur nicht den Märtyrer spielen: Bleibt die Devise. Gelassenheit lässt sich spielen, sicher. Aber von denen, die so tun, traut sich nicht einer, unsere Feinde direkt beim Namen zu nennen. Diese Feigheit ist nicht gespielt. Sie allein führt verlässlich in die Sackgasse. Aus der Nummer kommt man nämlich nicht mehr raus und am Ende triumphieren eben doch die Namenlosen, deren Rechtglaube keine weitere Maskerade mehr dulden wird. Unser Auge, träge und auf kurze Sicht gestimmt, nimmt weniger den Strom der Veränderung, meist nur seine flüchtigen, erst spät zur Kenntlichkeit geronnenen Ergebnisse wahr. Also kommen wir immer zu spät.

Dabei kann kaum in Abrede gestellt werden, dass uns allen, die wir einmal in vier Jahren die zwei Kreuzchen machen dürfen, beide Hände gebunden bleiben. Der Einzelne, jedem wärmenden Kollektiv entwöhnt, findet nicht ganz zu Unrecht, das man ja eh nichts machen könne. Und egal was man überhaupt macht – man macht es falsch. Der Wutbürger kann nur ein Nazi sein, der Gutmensch ist ein Trottel. Dazwischen gibt es noch das Achselzucken, als trotziges ´weiter so´, immer von den üblichen, grundfalschen Floskeln begleitet. Das ist ziemlich genau der Zustand höchster Unwürde und niederster Gesinnung, an welchen die Eliten das Volk, das saublöde, zu gewöhnen trachten. Es klappt aber. Von Mal zu Mal besser. Wutpickel hin oder her. Der schmerzt nur jeden einzelnen. Wir stumpfen ab. Mit jedem Tag. Jeder bitte mal an sich selbst beobachten.

Wir wissen aus der Geschichte, wohin das führt. Früher oder später. Doch die Geschichte wiederholt sich nicht. Auch wenn ihr, zugegeben, immer dieselben Dämonen finster zuflüstern und so ins lautere Handwerk pfuschen. Meist verrät ein verhaltenes Kichern schon vor jedem Großereignis das dahinter lauernde göttliche Hohngelächter. Solches passt ganz gut in eine Zeit, die unruhig zwischen Konsum und Klamauk, Comedy und krampfhaft toller Laune hin und her pendelt. Hat man sich daran erst einmal qua Anpassung gewöhnt, hat man auch jegliche Tatkraft eingebüßt, um andere aus ihrer Lethargie zu reißen. So wird ein Teufelskreis draus. Am Ende weiß keiner mehr, wie es so weit hat kommen können. Danach mehren sich die Stimmen derer, die es immer schon besser gewusst haben.

So verkehrt sich am Ende auch alles in sein glattes Gegenteil. Wiewohl sich die Fälle von ´Übergriffen´ aus dem ´Zuwanderer-Milieu´ häufen, verbietet sich allen Ernstes noch immer der Generalverdacht. Dieses Verbot hat natürlich das gute Gewissen auf seiner Seite. Solches gilt auch für die Darstellung beobachteter Phänomene selbst. Angenommen, von hundert Benutzern einer öffentlichen Toilette kacken an einem einzigen Abend neunzig mit Vorsatz daneben, wohingegen der Rest noch immer brav ins offene Loch zielt: Rechnen wir letzteren noch solche hinzu, die bei sich daheim aus gutem Grund ihr Häuflein richtig schiffen, dann ist die Majorität, die gewünschte, glänzend hergestellt, dann fragt auch keiner mehr nach, wer die falsch geparkten Haufen in der verhunzten Müffelbude eigentlich entfernen soll.

Verübeln sie mir dieses Beispiel bitte nicht. Seien sie nachsichtig. Sehen sie: so langsam fällt einem nichts mehr ein, man sieht sich geradezu genötigt, den Irrwitz zuzuspitzen, denn die Gewöhnung macht, dass bald nicht mal mehr aufregt, was – siehe Beispiel – zum Himmel stinkt. Wie gesagt: Man passt sich an. Spielt irgendwie mit und wurschtelt sich so durch. Und streift damit, zugegeben, nämlichen Klamauk, um überhaupt noch verstanden zu werden.

Dass demokratische Gesellschaften in gesicherten Verhältnissen Schwächen entwickeln, die am Ende ihre Existenz in Frage stellen hat der Publizist Joachim Fest seinerzeit noch sehr vorsichtig mit einem Fragezeichen versehen; in seiner Streitschrift über die offenen Flanken offener Gesellschaften dachte er immerhin über Zusammenhänge nach, die damals seltsam unzeitgemäß wirkten. Das haben ihm jene, die sich und ihresgleichen für unerschütterlich liberal und fortschrittsfest halten nie verziehen. Dieselben Vorzeigedemokraten haben heute indes kein Problem mehr damit, zwecks Wahrung eines mehr als trügerischen Burgfriedens liberale Errungenschaften krümelweise preiszugeben; vorher wird der Finger angefeuchtet. Daran hat man zu allen Zeiten die Speichellecker vom Dienst erkannt. Auch die Gegenseite, deren Repräsentanten man uns noch immer als koscher verkauft, weiß das.

Genug. Irgendwann, sagen wir in fünfzig Jahren, wird die Masse Rechtgläubiger, träge wie eh und je, ihre Sitten und Gebräuche auf gewohnt sture, stocksteife Art und Weise praktizieren, wie es sich eben gehört, hier wie andernorts, so selbstverständlich wie selbstgefällig, ein paar Spinner werden noch dagegen anblöken, man wird diese Schafe zur Schlachtbank führen oder in den Zwinger sperren, und der Rest der Herde, einst selbst die Mehrheitsmeute, wird brav mit der neuen das weite Land abgrasen. Wiederkäuer unter sich. Nichts wirklich Neues unter der Sonne.

Alles hat seine Zeit.

Ihnen allen einen guten Rutsch ins neue Jahr. 

Erstellt von Shanto Trdic am 30.12.16

Zuerst hier veröffentlicht: https://numeri249.wordpress.com/2016/12/31/besinnliches-zum-jahreswechsel/

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Eli

mir fällt eigentlich nichts mehr ein bei soviel masse mensch und ihre Blödheit solange sie einen leithammel brauchen wird sich auf dieser Welt wenig ändern Mensch lernt doch endlich mal (Selber) nachzudenken und zu handeln im posisivem sinne gutes zu tun auf dieser kranken Welt. wir sind doch alle die Gleichen falls ihr das noch immer nicht kapiert habt.Wir sind als Baby aus Liebe entstanden, also laßt und alle liebe geben und Frieden.Zitat Ende.

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