Berühmte Rede: Das standardisierte westliche Wohlstands-Dasein ist kein erstrebenswertes Ideal

Alexander Solschenizyn (1918– 2008), Überlebender der sibirischen Strafgefangenschaft, Autor monumentaler Werke (u. a. Archipel Gulag), emigrierte 1975 aus der Sowjetunion in den Westen.

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Wie beurteilt ein russischer Staatsangehöriger und Leidtragender des kommunistischen Staatsapparates die westliche Welt? Die 1978 an der Harvard University gehaltene Rede gewährt einen Einblick in die Überlegungen des scharfsichtigen Denkers. Auch 35 Jahre später bleibt sie aktuell.

 

Solschenizyn befand auf der Suche nach Wahrheit und schämte sich nicht, diesen Begriff in den Mund zu nehmen. Diese würde sich aber verflüchtigen, wenn wir uns der Suche nach ihr nicht mit voller Kraft widmeten, stellt er gleich zu Beginn fest. Wie manche anderen Sozialkritiker unterzieht er die sich dem Ende zuneigende Etappe westlicher Kolonialisierung einer kritischen Prüfung. Die Rechnung der formell in die Unabhängigkeit entlassenen Staaten sei dem Westen noch nicht präsentiert worden. Insbesondere kritisiert er den Massstab für Entwicklung: Angleichung an die technischen Errungenschaften des Westens und ihren Lebensstil. Was daran sei denn wirklich erstrebenswert? Er bleibt die Antwort nicht schuldig. Der Westen selbst habe jegliche Zivilcourage verloren und stehe paralysiert vor internationalen Aggressoren wie beispielsweise des Terrorismus. Gesteuert werde der westliche Apparat von depressiven, passiven Bürokraten, denen jegliche Tatkraft abgehe.

Hinter dieser Lähmung sah Solschenizyn die westliche Maxime, die jedem Bürger ein Maximum an persönlicher Freiheit und eine Fülle an Material garantierte. Die Wohlstandsgesellschaft zeigte ihre hässliche Fratze. Eine Auswirkung davon sei das skrupellose Ausnützen des vom Gesetz zugestandenen Freiraums. Das Leben in einer Gesellschaft ohne garantiertes Recht sei schrecklich, hält er aus eigener Erfahrung fest. Eine Gesellschaft ohne anderen Massstab als den gesetzlichen sei des Menschen ebenfalls unwürdig.

Einzelne nützen den Freiraum schamlos aus. Gegen diese gebe es kaum eine Handhabe. Die Kehrseite davon sei ebenfalls zu bedauern. Begabte, initiative Bürger würden in ihren Vorhaben zurückgebunden und eingeschränkt. Worauf ist diese Entwicklung zurückzuführen? Auf ein humanistisches Menschenbild, das die Probleme nie im Menschen selbst, sondern in einer fehlgeleiteten und –gestalteten Umgebung sieht.

Die westliche Welt bezeichnet sich als Informationsgesellschaft. Eines der wichtigsten Erfordernisse ist die kurzfristige Versorgung mit Information, besser gesagt mit Gerüchten und Vermutungen. Ein hart arbeitender Mensch bedarf dieses ständigen Informationsflusses nicht. Durch die Massenmedien wird jedoch Meinungsbildung betrieben. Wissenschaftler sind zwar rechtlich frei, inhaltlich jedoch den Moden des Moments unterworfen. Dass bei der westlichen Intelligenzia der Sozialismus nach wie vor bewundert wird, beeindruckt Solschenizyn nicht. Der Sozialismus jeglicher Couleur führe zur Zerstörung des menschlichen Geistes und zur Einebnung des Menschen auf dem Niveau des Todes.

Der Redner kommt zum Schluss: Das komplexe, harte Leben habe stärkere, tiefere und interessantere Charakteren hervorgebracht als das standardisierte westliche Wohlstands-Dasein. Menschen, die über Jahrzehnte Verfolgung und Gewalt ausgesetzt waren, verlangten nach mehr als den westlichen Massmedien mit ihren stupiden Gewohnheiten von Publizität, TV und Musik. Keine noch so starken Waffen würden den Mangel an Willenskraft kompensieren. Um sich selbst zu verteidigen, bedarf es des Todesmutes. Woher sollen ihn verwöhnte, verweichlichte Bürger der westlichen Welt hernehmen?

Nochmals: Woher rührt die Entwicklung der westlichen Welt? Solschenizyn führt sie auf die kompromisslose Menschzentrierung zurück. Die Säulen der westlichen Welt ruhen auf der Verehrung des Menschen und seiner materiellen Bedürfnisse. „Wir haben das Konzept einer Übergeordneten Kompletten Einheit (Supreme Complete Entity) verloren, die unsere Lüste und Verantwortungslosigkeit zurückbindet.“ Wenn das Postulat des Humanismus zutreffen würde, dass der Mensch zum Glück geboren sei, warum ist er dann dem Tod geweiht? Sein Lebenszweck kann nicht im materiellen Überfluss bestehen. Es muss einen höheren Zweck geben. Ich füge dem hinzu: Es gibt ihn, diesen höheren Zweck! Das Ziel des Menschen besteht darin, Gott zu ehren und sich an ihm zu freuen.

Erschien zuerst unter www.hanniel.ch.

 

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Anne

Im Menschenbild des Humanismus ist der Mensch von Natur aus gut. Es sind die Milieueinflüsse, die ihn krank und böse machen, er ist nicht verantwortlich.
Unter diesem Einfluß geht es z.B. in der Rechtsprechung um den Täter als Opfer, als Opfer der gesellschaftlichen Umstände, des familiären Umfeldes usw.. Um das wirkliche Opfer des Täters geht es nicht wie man immer wieder erschütternd feststellen muß!
Der Sündenbegriff wurde umdefiniert zur Krankheit. Wo bleibt da Freiheit UND Verantwortung...

Gravatar: T. Franke

Erstens hat Solschenizyn ganz offensichtlich ein falsches Verständnis von Humanismus. Humanismus ist für ihn die Lehre von der Unfehlbarkeit des Menschen und dass der Mensch vor allem materiell befriedigt werden müsste. Selten habe ich so einen Unsinn über den Humanismus gelesen. Ich kann es mir nur so erklären, dass Solschenyzin seine Definition von Humanismus aus dem Sozialismus entlehnt hatte. Dort redet man ja auch ständig von "Humanismus", meint aber in Wahrheit den materialistischen Sozialismus. Wenn Solschenyzin es so gemeint hätte, hätte er Recht. Aber es ist eine erstaunliche geistige Minderleistung, das Wort "Humanismus" so zu verstehen. -- Zweitens stellt sich die Frage, was die Ehrung Gottes genau bedeuten soll. Das kann alles und nichts heißen. Insofern ist die Rede von Solschenyzin eine Nullnummer. Platon meinte, der Mensch müsse danach streben, Gott ähnlicher zu werden. Das wäre schon sehr viel konkreter. Aber "Ehrung"? Hm.

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