Berliner Allerlei

Bindungslosigkeit ist Trumpf - Eine Kurzanalyse des CDU-Wahlprogramms: Es gibt Sätze, da wird kein Mensch mit einem Rest an Vernunft widersprechen. Zum Beispiel diese: „Die großen Herauforderungen der Zukunft kann kein Staat alleine meistern. Globale Probleme bedürfen global abgestimmter Lösungen.“

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Oder diese: „CDU und CSU wollen, dass der Rechtsstaat Freiheit und Sicherheit seiner Bürger auch künftig schützen und bewahren kann“ und „Bildung ist der Schlüssel für ein selbstbestimmtes, solidarisches und verantwortungsbewusstes Leben“. Solche Sätze finden sich in Wahlprogrammen zuhauf, auch bei der CDU. Programme sind Plakate. Sie werben mit Wunschvorstellungen, von denen man annimmt, sie spiegelten die Wünsche der Menschen. Die müssen nicht immer mit den Wünschen der Politiker in den jeweiligen Parteien übereinstimmen. Aber da es um Werbung um Stimmen geht, klebt man sie an die Litfass-Säulen der Öffentlichkeit.

 

Damit kann ein Mann wie der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz nicht zufrieden sein. Im Deutschlandfunk beklagte er jetzt, dass Christen in Deutschland in „keiner Partei“ eine politische Heimat hätten. Das ist ein Frontalangriff auf die C-Parteien. Womöglich haben die Bischöfe auf ihrer Herbstversammlung sich über das CDU-Programm gebeugt und festgestellt, dass sie sich darin auch ansatzweise nicht wiederfinden. Die schönen Allgemeinplätze, die auch Zollitsch beklagt, sind das eine, die Wirklichkeit das andere.

 

Der Vergleich mit der Wirklichkeit eröffnet sich meist bei dem zweiten Satz eines Programmabschnitts. Zum Beispiel beim Thema Steuergerechtigkeit. Über einen Satz wie: „Unsere Steuerpolitik ist leistungsgerecht, familiengerecht, generationengerecht und krisenfest.“, kann der Bürger nur lachen. Wäre es so, bräuchte man keine Steuerreform, die im folgenden Satz angekündigt wird. An diesem Beispiel wird auch das Dilemma der Partei offenkundig. Ihre Programm-Plakate sind nicht glaubwürdig, weil sie zu deutlich mit der Wirklichkeit kontrastieren. Kein Wirtschaftsexperte geht davon aus, dass es Steuersenkungen geben wird. Man werde im Gegenteil die Mehrwertsteuer erhöhen, heißt es unisono. Und die Frage ist, ob dies dann wieder hauptsächlich zu Lasten der Familien gehen wird oder nicht. Nur vereinzelte Stimmen sprechen sich dafür aus, die unterschiedlichen Sätze bei dieser Steuer auf einem höheren Niveau (plus ein oder zwei Prozent) zu vereinheitlichen und die Familien mit einem deutlich höheren Kindergeld zu kompensieren. Sonst, so der Wirtschaftsweise und Mainzer Professor Peffekoven, subventioniere man beim Beispiel Milch etwa „die Milch für die Katzen der Reichen“.

 

So weit und so logisch wird im Programm der CDU selten gedacht. Immerhin wird angedeutet, dass mit der Mehrwertsteuer etwas geschieht (eine Vorbereitung für die Erhöhung?) und es werden auch konkrete Zahlen genannt für die Einkommenssteuer. („Wir werden den Eingangssteuersatz in zwei Schritten von heute 14 Prozent auf 12 Prozent senken. Der Höchststeuersatz soll in zwei Schritten zunächst ab 55.000 Euro und später ab 60.000 Euro zum Zuge kommen. Wir wollen eine strukturelle Überprüfung der Vorschriften zur Mehrwertsteuerbelastung“). Daran wird man die Partei messen können. Natürlich ist das abhängig von der Koalitionskonstellation. Aber unter diesem – unausgesprochenen - Vorbehalt steht das gesamte Programm. In einer Koalition mit der FDP müsste die Partei jedoch für eine halbwegs glaubwürdige Ausrede sich wirklich etwas Originelles einfallen lassen.

 

Gleiches gilt für das Mega-Thema Bildung. Mit Sätzen wie „Unser Land soll Bildungsrepublik werden. Bildung darf keine Frage des Einkommens der Eltern sein,“ kann der Wähler wenig anfangen. Erst recht nicht, wenn er Studiengebühren zu zahlen hat und das Kindergeld in dieser finanziell sensiblen Altersphase um zwei Jahre (von 27 auf 25) ersatzlos gestrichen wurde. Da wirken solche Sätze wie Hohngelächter. Etwas seriöser wird es, wenn es heißt: „CDU und CSU treten dafür ein, dass konfessioneller Religionsunterricht in allen Ländern zum Kanon der Pflichtfächer zählt“. Da darf man gespannt sein, wie es in den CDU-regierten Ländern, in denen solches ja entschieden und umgesetzt wird, demnächst zugeht. Zu kurz springen die Programmierer dann wieder, wenn sie sagen: „Junge Menschen brauchen Werte und soziale Tugenden, auch dazu soll die Schule ihren Beitrag leisten.“ Denn die Schule ist kein Ersatz für die Familie. Dort wird die Grundlage für soziale Tugenden gelegt. Ohne Grundlage kann der Beitrag der Schule nur zu einer gewissen Anpassung führen. Natürlich sind Mitläufer immer noch besser als gewaltbereite Außenseiter. Aber dieser demokratische Minimalismus kann nicht das Ziel einer sich christdemokratisch nennenden Partei sein. Soziale Tugenden, die viel mit Emotionen zu tun haben, werden in der frühesten Kindheit vermittelt, wie uns mittlerweile die Entwicklungspsychologie und die Bindungsforschung lehren. Hier darf man von einer C-Partei mehr erwarten. Vielleicht auch, dass sie mal das Wort Nächstenliebe benutzt, ein Synonym für soziale Tugenden.

 

Zu diesem Minimalismus passen denn auch die Passagen des Programms, die sich mit dem Islam befassen. Man redet von Integration. Aber welche Kultur soll hier in welche integriert werden? Von Glauben und christlichen Werten ist gar nicht die Rede nur von einem „aktiven Bekenntnis zu unserem Land und zu den Werten unseres Grundgesetzes“. Das ist für eine C-Partei bei diesem Thema recht dürftig. Das Unbehagen vieler Christen, das der Vorsitzende der Bischofskonferenz im Deutschlandfunk zum Ausdruck brachte, wird hier verständlich. Man hätte ja wenigstens von Vaterland oder von den christlichen Wurzeln sprechen können, auch wenn diese parteipolitisch ziemlich verdorrt sind. Noch nicht einmal Gott wird genannt. Nur im Begriff „Bewahrung der Schöpfung“ (noch nicht einmal Schöpfungsordnung) klingt beim Thema Umwelt gnostisch durch, dass die Partei auch etwas mit dem Glauben an ein höheres Wesen zu haben könnte.

 

Im Übrigen bekennt sich die Partei zum Klimaschutz als einer der „vordringlichsten Zukunftsaufgaben“. Das ist gut und das hätte man sich beim Thema Familie, Lebensschutz und Demographie auch gewünscht. Ausser ein paar Absichtsbekundungen („wir wollen“) ist beim Thema Familie nicht viel zu lesen. Zum Thema Wahlfreiheit, das im Familienministerium derzeit vermieden wird, heißt es: „Frauen und Männer sollen sich in Freiheit und Verantwortung  so entfalten können, wie es ihren Neigungen, Begabungen und Wünschen entspricht. Das ist unser Verständnis von Wahlfreiheit“. Und?, fragt sich der Wähler. Die Wirklichkeit ist eine andere. Die Große Koalition hat die wirtschaftliche Basis von Familien in den letzten Jahren so geschmälert (Kindergeldkürzung um zwei Jahre, Eigenheimförderung gestrichen, Verbrauchssteuern erhöht), dass viele Familien keine Wahlfreiheit mehr haben. Beide Eltern müssen arbeiten, wenn sie ihren Lebensstandard halten wollen. Auch da klingen die Sätze höhnisch. Wahlfreiheit wird nur verstanden als Vereinbarkeit, sprich als Option zur Doppelbelastung, von der Familie, verstanden als „Kern aller Sozialordnung“ (Benedikt XVI.), keine Spur. Es ist in der Tat überhaupt kein kohärentes Familienbild, erkennbar. Alles ist gleich gut, eine Wertigkeit, die in Umrissen ein Leitbild erkennen liesse und somit eine Wahlempfehlung bedeuten würde, sucht man vergebens. So wird das Programm zum Berliner Allerlei.

 

Programme sind Plakate, man macht im Geiste Abstriche. Aber wenn nur noch der Eindruck unverbindlicher Parolen bleibt, dann darf sich die Partei nicht wundern, wenn sie immer weniger Christen bindet. Wie die dann in der Wahlkabine entscheiden, ist freilich auch eine Frage der Alternativen. Neu ist, dass auch die Bindungslosigkeit, sprich die Wahlenthaltung, diesmal als Alternative gesehen wird. Daran trägt das Programm ein gerüttelt Maß an Schuld.

 

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Frank Martin

Christliche Parteien - eigentlich ein Oxymoron - sind nirgends als Programmparteien gegründet worden, sondern zur Schonung der christlichen Traditionen. "Keine Experimente" hieß es einmal auf CDU-Plakaten, gemeint waren die sozialistischen Pläne der SPD.

Heute finden wir in den CDU-Papieren lauter Anleihen an genau jenen linken Programmen. Christen, rechtgläubige zumal, wollen aber nicht reguliert und kujoniert werden mit Vorschriftenbergen, die ihrem realen Leben Hohn sprechen. Das war einmal der Sinn einer christlichen Partei in der Demokratie: der Tendenz linker Weltverschlimmbesserung zu begegnen, auf dem ungeliebten, aber nun einmal nicht zu vermeidenden demokratischen Spielfeld. Dazu braucht man aber weder Familienministerien noch von Hybris getriebene Klimaschutzziele, sondern Stehvermögen und die Überzeugung, daß das politische Mittel nur gegen die berechtigten Interessen der Menschen eingesetzt werden kann.

"Der Bürgerliche übergibt die Macht, um das Geld zu retten; danach übergibt er das Geld, um seine Haut zu retten; und schließlich hängen sie ihn." schrieb Nicolás Gómez Dávila warnend.

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