Mögen schriftliche Schülerarbeiten in ihrer äußeren Form auch perfekt wirken, so offenbart sich doch nicht selten hinter der glänzenden Fassade eine inhaltliche Dürftigkeit. Mit Hilfe der modernen Technik und etwas persönlichem Geschick gelingt es leicht, professionell aussehende Schriftstücke, Konvolute, ja ganze Bücher herzustellen. Das Internet bietet sich dar als unerschöpfliche Fundgrube für Versatzstücke, die, listig zusammengesetzt, zu einem Textganzen verschmolzen und als eigenes Werk ausgegeben werden. Abladen, Ausdrucken, Abheften. Was vormals des Bürokraten vornehmste Tätigkeit war, ist heute des Schülers tägliches Tun. Alles perfekt, oder etwa nicht?
Und doch, es trügt der Schein. Farbige Tabellen, gestochen scharfe Fotos, kompetent wirkende Info-Kästen, kreative Typographie, hypermodernes Layout — dies alles ist reines Blendwerk. Ein Prunkgewand, das ablenkt vom dissonanten Klang des Orchesters aus einander nichts sagenden (getrennt ist da richtig!) Worten, welche der reine Zufall zusammengewürfelt hat. Wo die Form dominiert, verkommen Inhalt und Aussage zum lästigen Beiwerk, denn die Gestaltung der Oberfläche beansprucht sämtliche Schöpferkraft und Arbeitszeit. Verinnerlichung — also denken, nachsinnen, erfassen? Wozu auch, wenn diese Anstrengung doch so gar nicht sichtbar gemacht werden kann und zum persönlichen Ansehen beitragen? Gesehen werden, das ist es doch, was zählt! Das für die Augen unsichtbare Wesentliche wirft keinen unmittelbaren Gewinn ab.
Fast scheint es, als verlernten wir es, uns mittels geschriebener Worte mitzuteilen. Was bleibt? Nichts als eitle Selbstdarstellung: bibliophile Buchdeckel, zwischen denen sich geistige Leere verbirgt. Doch wird das kaum auffallen, denn viele Bücher landen ungelesen im Bücherschrank, als Beweisstücke guten Willens, welcher über ebenso gute Absichten nicht hinausgekommen ist.
Ein seltsamer Widerspruch
Die Verherrlichung der Hülle steht in auffälligem Gegensatz zur Vernachlässigung der Orthographie, welche als Kleid der Schriftsprache bezeichnet werden könnte. Der Schreibende möchte der Welt etwas mitteilen. Dazu will — nein muß! — er verstanden werden. Dies kann nur demjenigen gelingen, der sich den Regeln unterwirft, welche sich im Lauf der Zeit als Norm herausgebildet haben. Korrekte Rechtschreibung aber scheint nunmehr in den Rang des Verzichtbaren abgestuft zu sein. Nicht selten wird Kritik zurückgewiesen mit den Worten: „Was soll’s. Man kann es doch lesen!“ Noch, möchte man besorgt hinzufügen.
Es stimmt schon: noch kann man lesen und verstehen, was fehlerhaft einherkommt. Wenngleich oftmals viel Zeit und noch mehr guter Wille dazu nötig sind. Ich denke da an die geschätzten Kollegen, die sich durch den Dschungel der schülerseligen Schriftlichkeit hindurcharbeiten müssen. Wenn sich am jetzigen Trend nicht Grundsätzliches ändert, könnte das Entschlüsseln schriftlicher Mitteilungen bald zu einer Wissenschaft für sich werden. Damit dürfte sich ein ganz neues Feld staatlicher Betätigung eröffnen – denken wir an die Möglichkeit der Einrichtung von Instituten und akademischen Lehrstühlen zur Erforschung von neu entstandenen, zeitgenössischen Formen schriftlicher Kommunikation! Fördergelder könnten in die Entwicklung einer raffinierten Technik für maschinelle Entzifferungshilfen fließen. Sie denken, ich übertreibe?
Sobald der Zeitpunkt gekommen ist, in dem sich die heute bereits konkurrierenden Schreibweisen noch weiter voneinander entfernt haben und die vormalige Einheit zu einer unübersichtlichen und nicht mehr miteinander kompatiblen Vielheit wird, spätestens dann ist es um die Zweckmäßigkeit der großartigen kulturellen Einrichtung geschehen, die wir Schrift nennen. Als uneinheitlich gewordenes Zerfallsprodukt kann sie nicht mehr dazu dienen, über die Distanz von Raum und Zeit hinweg geistige Verbindung unter den Menschen herzustellen. Zu Ende gedacht besäße schließlich ein jeder seine eigene Orthographie. Schon heute werden Erstkläßler aufgefordert, diesen Weg zu beschreiten, indem man sie ermuntert, einfach „draufloszuschreiben“, ohne sie vorher mit den wichtigsten allgemeinen Gepflogenheiten der Schriftsprache vertraut gemacht zu haben. Greift diese seltsame Sitte auf die Allgemeinheit über, dann hätten wir endlich das Stadium des schriftlichen Autismus erreicht.
So weit wird es wohl nicht kommen. Dennoch bleibt das Zwiespältige rätselhaft. Einerseits die Dominanz der Verpackung gegenüber dem sachlichen und inhaltliche Gehalt eines Textes. Andererseits das lässig zur Schau getragene, nicht mehr als anstößig empfundene schäbige „Kleid“ der Sprache. Darüber habe ich viel nachgedacht. Eine befriedigende Antwort ist bislang nicht gefunden. Vielleicht verhelfen mir die geschätzten Leser zu einem besseren Verständnis des Sachverhalts ...
Kommentare zum Artikel
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Sie haben schon Recht, das sich unsere Art wie man heute kommuniziert und schreibt sehr verändert hat. Wie vieles im heutigen Leben ist auch das Schreiben und Lesen anders geworden. Ob dies oberflächlich ist, kann man so nicht sagen. Einerseits sind die neuzeitlichen Schreibstile auch eine Bereicherung. Viele Lehrer kommen bloß oft schon aus Altersgründen nicht mehr mit den neuen Medien mit, und sind ersichtlich überfordert. Vielleicht sollte man einmal über die übertriebene Reglementierung unser Orthografie nachdenken.