Auge um Auge

Das Geschachere um das Betreuungsgeld zeigt, dass Sachfragen im Parlament irrelevant sind. Der Wählerwillen ist egal, es geht nur noch ums Prinzip.

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Eigentlich müsste man den Parteien dankbar sein für dieses entlarvende und zugleich unwürdige Gerangel rund um das Betreuungsgeld. Wer schon immer mal wissen wollte, wie Politik wirklich funktioniert und wie viele Idealisten dort noch am Werk sind – nämlich kaum welche – bekommt hier ein Lehrstück par excellence. Wir haben hier also ein ungeschöntes, wenn auch desillusionierendes Schauspiel, wie in unserem Land inzwischen Politik gemacht wird. Und endlich wissen wir: Sachfragen sind irrelevant, der Wählerwille ist egal. Es geht nur noch darum, wer wie sein Gesicht bewahren kann, wer seine Interessen am besten durchsetzt, wer am Schluss die meisten Förmchen im Sandkasten die seinen nennt. „Du bist nicht der Bestimmer“ bekommen sie von Kleinkindern an den Kopf geworfen, wenn sie im Sandkasten das Spiel einseitig lenken wollen. Damit beweisen diese schon mehr Demokratieverständnis als so manches Parlament.

Hier werden Steuergelder verschleudert

Dass sich die 2. und 3. Lesungen zur Einführung des Betreuungsgeldes durch weitere Pokerspielchen der FDP nun bereits zum dritten Mal verschieben, hat keine inhaltlichen Gründe. Die FDP war schon immer dagegen und steht auch heute noch nicht dafür ein. Sie versucht nur als Gegenleistung fürs Mitspielen eine größtmögliche Gegenleistung herauszuschlagen. Was haben wir in dieser Debatte nicht schon alles gegeneinandergerechnet?

Schon bei den Koalitionsverhandlungen von CDU und FDP hat man der FDP für die Zustimmung zum Betreuungsgeld ein liberaleres Zuwanderungsgesetz für Fachkräfte zugesagt – und übrigens auch umgesetzt. Damit hatte die eine Vertragsseite ihren Teil erledigt, jetzt war die FDP am Zug, ihre eigenen Zusagen einzuhalten. Das hat man nun offenbar nicht mehr vor. Da ist doch noch was drin, wird man sich gedacht haben. Also soll jetzt noch die Praxisgebühr fallen, dann findet man auch bei der FDP das Betreuungsgeld gut. Genauso gut hätte es jede andere x-beliebige Steuersenkung oder die Gleichstellung der Homoehe sein können, die man in den Ring wirft. Es geht ums Prinzip, nicht um das Thema. Es ist ein Geschacher wie auf dem Basar. Was andererseits wiederum auch nicht wundert, denn inhaltlich gibt es kaum mehr etwas zu sagen. Ist denn nicht schon lange alles lang und breit totdiskutiert? Wie lange will man sich im politischen Raum eigentlich noch mit dem Thema beschäftigen? Es ist eine Hinhaltetaktik, gemeinsam betrieben von der Opposition und jetzt auch noch der FDP. Ein privates Unternehmen könnte sich niemals leisten, derart viel Personal derart viel Zeit investieren zu lassen, bis man endlich eine Entscheidung fällt. Doch hier werden nur Steuergelder und Abgeordnetenbezüge verschleudert, da hat man alle Zeit der Welt.

Zwei Gründe mögen dabei eine Rolle spielen: Einerseits versucht man durch das immer weitere Hinauszögern eine Zermürbungstaktik und eine Verabschiedung ganz zu verhindern. Der ein oder andere hofft vielleicht auch, das Thema bis in den kommenden Bundestagswahlkampf ziehen zu können. Schon vor der Sommerpause war es einfach nur Taktik der Opposition, sich durch eine Abstimmungsverweigerung in den Herbst zu retten. Bei der FDP kommt jetzt noch die beleidigte Leberwurst hinzu. Da hatten es doch ein paar CDU-Ministerpräsident_Innen gewagt, im Bundesrat für eine Frauenquote zu stimmen und damit die FDP in Rage zu versetzen. Das muss natürlich politisch bestraft werden. Also stellt man sich jetzt bei der FDP beleidigt an den Sandkastenrand und schmollt. Man sei nicht gefragt worden beim neuerlichen Kompromiss der CDU/CSU, wird nun behauptet. CDU/CSU sagen anderes. Als i-Tüpfelchen hat man der CSU jedoch eine Breitseite verpasst, weil diese nun bis zum geplanten Parteitag immer noch nicht weiß, ob sie das Betreuungsgeld als Erfolg oder als Scheitern dort präsentieren kann. Die ganze Regie ist im Eimer und vermutlich werden gerade neutrale Festtagsreden in München vorbereitet.

Politik geht anders

Das ist Kinderkram, Neid, Missgunst, aber nicht Politik, wie wir sie von den gewählten Volksvertretern erwarten. Doch auch im neu geschaffenen Kompromiss der CDU/CSU-Fraktion sieht es nicht minder nach Geschacher aus. Auch hier hat man es geschafft, sachfremde Themen zu vereinen, um die Gegenseite zu befrieden. Bleibt der Beschluss so bestehen, soll also fortan der Bezug von Elterngeld an regelmäßige Arztbesuche der Kinder gekoppelt werden. Brauchen Krippen-Kinder etwa keine Arztbesuche? Haben Erzieherinnen neuerdings auch eine medizinische Fachausbildung? Und was ist mit den Kindern, die nicht in der Krippe sind, deren Eltern aber trotzdem kein Betreuungsgeld beantragen würden, soll es ja geben. Brauchen auch die keinen Arztbesuch?

Man kann sich ja gerne mal grundsätzlich darüber unterhalten, ob es nicht sinnvoll wäre, dass alle Kinder in Deutschland die sogenannten U-Untersuchungen verpflichtend wahrnehmen sollten. Es gibt gute Gründe, die dafür sprechen. Was hier jedoch geschehen ist, ist einfach nur der Ausdruck tiefen Misstrauens gegenüber Eltern, festgeschrieben in einem Gesetz. Offenbar geht man in der CDU davon aus, dass Kinder, die von ihren eigenen Eltern drei Jahre lang großgezogen werden, vor der Öffentlichkeit versteckt in Enklaven groß werden und dass man ab und zu kontrollieren muss, ob sie nicht tatsächlich bei Wasser und Brot im Keller hausen müssen.

Dabei ist es doch jetzt schon zumindest in NRW der Fall, dass offenbar an staatliche Stellen gemeldet wird, wenn ein Kind nicht oder nicht pünktlich zur U-Untersuchung erscheint. Auch unsere Familie ist schon angeschrieben worden mit der Drohung, dass man uns dem örtlichen Jugendamt melden würde, sollten wir nicht innerhalb eine Frist einen Arztbesuch vorweisen können für unsere Jüngste. Wir hatten einen Termin, aber unser Kinderarzt hatte seinen wohlverdienten Urlaub, dadurch hatte sich einfach alles verzögert, das Amt war jedoch sofort auf der Matte. Lassen wir den Datenschutz und die ärztliche Schweigepflicht mal ganz außen vor – was ich sagen will: Es gibt jetzt schon die rechtliche Möglichkeit, regelmäßige Arztbesuch zu kontrollieren. Dass jetzt mit dem Betreuungsgeld zu koppeln, ist wieder Eulen nach Athen tragen.

65 Prozent der Eltern fallen unter den Tisch

Meine Prognose bleibt, dass man sich noch rechtzeitig einigen wird, wenn die Macho-Spielchen zwischen Rösler und Seehofer ein bisschen abgeklungen sind. Einen Bruch der Koalition kann keine der Seiten derzeit gebrauchen, also wird man die Vernunftehe fortführen. Doch selbst wenn das Betreuungsgeld durch den Bundestag abgesegnet wird, heißt dies noch lange nicht, dass es auch kommen wird. Viel wahrscheinlicher ist die Option, dass es auf eine juristische Schlacht hinauslaufen wird, hat die SPD doch längst angekündigt, dass man vor das Bundesverfassungsgericht ziehen wolle. Bereits die öffentliche Anhörung des Familienausschusses hatte gezeigt, dass weder bisherige Urteile des Bundesverfassungsgerichtes, noch Umfragen unter Betroffenen oder gar der Elternwille eine Rolle spielen bei dieser Entscheidung. Wäre dies anders, müsste der Durchschnittspolitiker ja einfach mal zur Kenntnis nehmen, dass die Bedarfserhebung des Familienministeriums selbst herausgefunden hat, dass nur 35 Prozent aller Eltern einen Krippenplatz wollen und dass das Bundesverfassungsgericht den Eltern nicht nur zusichert, dass sie frei sind in ihrer Entscheidung, wie sie die Erziehung der Kinder bewältigen wollen, sondern dem Staat auch noch die Aufgabe aufgebrummt hat, die tatsächliche Durchsetzung der Elternwünsche möglich zu machen. Versäumt hatte man in der Bedarfserhebung des Familienministeriums, danach zu fragen, was die restliche Mehrheit von 65 Prozent der Eltern eigentlich will, somit lässt man sie einfach unter den Tisch fallen.

Nun sind die Urteile des Bundesverfassungsgerichtes in Familienfragen schon seit Jahrzehnten nicht das Papier wert, auf dem sie stehen, denn es ist nahezu nichts davon umgesetzt worden. Die Frage ist also, sollen sich Eltern, die gerne Betreuungsgeld hätten, freuen, wenn diese Entscheidung vor dem Obersten Gericht landet? Gibt das Gericht den Gegnern recht, was nur möglich wäre, wenn es seiner eigenen Rechtsprechung der vergangenen Jahre widerspricht, haben Eltern und Kinder nichts gewonnen. Schmettert das Gericht jedoch die Gegner ab, ist es nicht automatisch ein Sieg, denn es besteht die Option, dass das Urteil in der gleichen familienpolitischen Mottenkiste vergilbt wie die vorherigen Entscheidungen.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf TheEuropean.de

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Susanne

Selten einen derart polemischen und unsachlichen Artikel gelesen.

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