Auf der Reichstagsgalerie – sommerliche Meditation zur Lage der Nation

Im Sommer 2015 durchlebt Deutschland einen kafkaesken Alptraum. Streng proportional zur Vermehrung der Krisensymptome steigen die Beliebtheitswerte der Kanzlerin und die Umfragewerte der CDU. Die Realitätsverweigerung hat einen Grad erreicht, dass der überwache Beobachter – imaginär postiert auf der Zuschauertribüne im Bundestag und einer Regierungserklärung Angela Merkels lauschend – an der „Realität“ selbst irre zu werden beginnt...

Veröffentlicht:
von

Wenn eine ehemalige FDJ-Funktionärin für Agitation und Propaganda, auch nach der Wende sich darin treu bleibend, stets das Opportune zu wählen und widerstandslos die Nähe zur Macht zu suchen, es dank günstiger politischer Fügungen und mehr noch dank chronischen Unterschätztwerdens bis zur Bundeskanzlerin gebracht hätte; wenn sie in diesem Amt alle Positionen, für die ihre Partei einst stand, nach und nach über Bord würfe, Konkurrenten „ihr Vertrauen ausspräche“, um sie kurz darauf eiskalt abzuservieren; wenn sie zu allen wichtigen Fragen der Nation entweder beharrlich schwiege oder nur inhaltsleere, nicht zitierfähige Phrasen zum Besten gäbe; wenn ihre Partei das Symbol dieser Nicht-Kommunikation, das vor dem adrett zugeknöpften Hosenanzug zur Rautenform vereinte Händepaar, wie zum Hohn auf Häuserwänden gigantisch plakatierte; wenn die Dame dann daran ginge, unter Androhung des „Scheiterns Europas“ und damit auf der Klaviatur der „German Angst“ listig spielend, das Volksvermögen ihres Landes an eine demokratisch nicht legitimierte, vor Strafverfolgung immune, über Nacht ins Leben gerufene Behörde im fernen Brüssel auszuliefern; wenn sie diese Maßnahme flankierte durch ein gnadenloses Spardiktat gegenüber den armen, unter Zins- und Zinseszinsdruck ächzenden Völkern im Süden Europas, alle Alarmsignale, alle Hilfeschreie aus diesen Zonen beharrlich ignorierend; wenn sie dies alles nicht etwa, der schäbigen Wahrheit entsprechend, als planvolle Zerstörung Europas zugunsten eines kurzfristigen und daher nur vermeintlichen deutschen Vorteils deklarierte, sondern als den einzig gangbaren, „alternativlosen“ Weg seiner Rettung; wenn dies schließlich mit einer Unerbittlichkeit geschähe, dass selbst der als Rebell gegen diese unmütterlichste „Mutti“ aller Zeiten angetretene junge griechische Ministerpräsident sich am Ende, kopfgewaschen, in einem Akt beispielloser Selbsterniedrigung vor ihr danksagend in den Staub würfe und sich als ihr guter Stiefsohn zu erkennen gäbe – wer wollte dann daran zweifeln, dass das Volk, über die Maßen empört und geradezu angewidert von diesem Schmierenstück zu Hunderttausenden auf die Straßen strömte, auf einem Meer von Transparenten und in nicht endenden Sprechchören die Absetzung der nichtswürdigen Regentin und sofortige Neuwahlen forderte, diesem unmissverständlichen Volkswillen dann auch entsprochen werden müsste und die darauf folgenden Wahlen ein geradezu vernichtendes Ergebnis für die Kanzlerin und ihren charakterlosen Wahlverein erbrächten, der schon tags darauf nichts mehr von ihr wissen wollte?

Da es aber nicht so ist; eine hochintelligente Naturwissenschaftlerin und absolut integre Pfarrerstocher glücklicherweise den Weg in die Politik gefunden hat; entgegen aller Wahrscheinlichkeit an allen männerbündlerischen Hindernissen vorbei das mächtigste Amt im Staate wie traumwandlerisch erringen konnte; in ihrem sanften Regierungsstil, dem mythischen gelben Kaiser gleich, einer komplex gewordenen Welt klug und umsichtig Rechnung trägt, flexibel auf neue Gegebenheiten reagiert und alten ideologischen Ballast beherzt über Bord wirft, den immer leiser werdenden Protest dagegen souverän ignorierend; ihre Kompromissbereitschaft, gepaart mit einem beharrlichen Willen zur gütlichen Einigung ihr den verdienten Respekt, ja die Hochachtung der übrigen europäischen Staatenlenker längst eingebracht hat; die Augen aller wohlmeinenden Europäer hoffnungsvoll auf sie gerichtet sind, auf dass sie und sie allein den Weg aus der Krise des Kontinents weise; alle halbwegs Einsichtigen ihr das Privileg der großen Staatsfrau realistischerweise zugestehen, das positive Recht zu beugen, wo es der großen Sache dient, die vor der höheren Instanz der Geschichte gerechtfertigt ist; selbst schärfste Kritiker ihr auch nur einen Hauch persönlicher Vorteilnahme zu unterstellen sich niemals erdreistet haben; der junge griechische Ministerpräsident schließlich nicht ohne Grund sein Rebellentum in der Berührung mit ihr abgeworfen hat wie eine kindische Marotte, reumütig und schicksalsergeben das Los seines Volkes in ihre Hände legend – da dies so ist (und Presse, Funk und Fernsehen künden ohne Unterlass nur davon, wie könnte man also daran zweifeln?), gehen in Deutschland allabendlich Millionen Lichter aus und Millionen Häupter betten sich in dem wohligen Gefühl zur Ruhe, dass zwar vieles besser laufen könnte in diesem Land, dass aber dank unser mütterlich sorgenden Kanzlerin der Unbill der Welt vor den Staatsgrenzen halt macht und wir uns mit Fug und Recht eine Insel der Seligen nennen dürfen, auf der nicht nur das Recht, sondern die Pflicht herrscht zum Schlaf der Gerechten.

Für die Inhalte der Blogs und Kolumnen sind die jeweiligen Blogger verantwortlich. Die Beiträge der Blogger und Gastautoren geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion oder des Herausgebers wieder.

Ihnen hat der Artikel gefallen? Bitte
unterstützen Sie mit einer Spende unsere
unabhängige Berichterstattung.

Abonnieren Sie jetzt hier unseren Newsletter: Newsletter

Kommentare zum Artikel

Bitte beachten Sie beim Verfassen eines Kommentars die Regeln höflicher Kommunikation.

Gravatar: p.feldmann

Man kann vllt.nur noch im Ironischen und Satirischen auf die Realitätsverzerrung durch das polit. gekaperte Geschehen und die Asthenie der Deutschen in jener Weise aufmerksam machen, die M.Jongen hier nutzt.

Merkel stellt sich gerne in eine Reihe mit Adenauer. Sie steht aber, sieht man es unter dem Aspekt der Vernichtung deutschen Eigentums, viel eher mit einer anderen Person naher deutsch.Geschichte in einer Reihe.
Seit A.Hitler hat es keine derartige Vernichtung deutschen Eigentums gegeben. Und wie damals schauen die meisten Deutschen wieder einfach zu.
Da ich kein Prophet bin, will ich nicht behaupten, dass der Ausgang ein ähnlicher wäre, aber mir schämt, dass der Ausgang ein Übler sein wird.

Gravatar: D.Nunziant

@ W.Kohl

H.Kohl war zur Zeit der öffentlich betriebenen Denunziation durch Merkel 1999 nicht mehr Bundeskanzler, was der Demontage und Denunziation
aber keinen Abbruch tut.

Erstaunlich ist, dass sie damit bis 1999 gewartet hat. Wahrscheinlich hat sie Kohl im Jahr zuvor, 1998, als er noch Bundeskanzler war, ihr 'volles Vertrauen' ausgesprochen.

Gravatar: M.S.Rogers

Fürchterliche Lage der Nation ist auch, dass die in Observation, Denunziation und Subversion grundsätzlich erfahrene Frau Bundeskanzlerin sich an der entsprechenden, gegen Deutschland gerichteten Aktivität der US - amerikanischen 'Freunde' eigentlich nur deswegen stört, weil sie zu ihrer Zeit noch zünftig Fuß - und Handarbeit leisten musste.

http://www.spiegel.de/forum/kultur/ard-doku-ueber-den-linke-politiker-und-die-stasi-der-andere-gysi-thread-108629-5.html#postbit_14451016

https://www.youtube.com/watch?v=gkB3vp2P3xU

Gravatar: Johann Peter Hebel

@ Stephan Achner

Sofern man / frau überhaupt noch dazu fähig ist, scheint
mir Verzweiflung doch die angemessenste Reaktion zu sein.

Muttchen hat uns alles gegeben, sie hat die vergangenen zehn Jahre nämlich in erster Linie dazu benutzt, mit Hilfe ihrer 'Partei' einen Parteienstaat zu installieren, Demokratie, Rechts - und Verfassungsstaat 'auszuhebeln'.

https://www.youtube.com/watch?v=fkmiwfF-Djo#t=15s

Der Parteienstaat aber muss nicht zwingend Menschenmassen vergasen, um Menschen zum Schweigen zu bringen, um für Friedhofsruhe zu sorgen und um unermesslichen und irreparablen Schaden anzurichten.

Sie zeigt eindrucksvoll, dass es auch andere Methoden gibt.

Gravatar: Stephan Achner

Nicht verzweifeln. Es kommen auch wieder bessere Zeiten, wo Verstand und Vernunft in der Politik gefragt sind.

Zur Erinnerung:
- Das tausendjährige Reich dauerte 12 Jahre.
- Die Berliner Mauer stand 28 Jahre.
- Die DDR existierte 40 Jahre.
Und Frau Merkel ist jetzt schon 10 Jahre im Amt und aufgrund ihres Alters gibt es auch eine bald nahende biologische Begrenzung. Also, nicht verzagen, sondern durchhalten und bereit sein, wenn in Deutschland wieder rationale Politik gemacht werden kann. Wie hat schon Merkel als frühere FDJ-Pimpfin laut gerufen: Allzeit bereit.

Gravatar: W.Kohl

Die Lage der Nation!?

Die erkläre ich Ihnen, Herr Dr.Jongen.

Es hätte niemals passieren dürfen, ich wiederhole n-i-e-m-a-l-s, dass die deutsche Staatsanwaltschaft aus Gründen der Opportunität und unter Missachtung des Legalitätsprinzips, Artikel 3 Absatz 1 GG, von der Durchführung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gegen Bundeskanzler Dr.H.Kohl bis zum bitteren Ende absieht.

https://www.youtube.com/watch?v=VqrPqMWdXeg

Das war und ist die Erbsünde, der Todsündenfall, die Urlüge, die Schändung und die Schande des deutschen Rechtsstaats, und genau das ist heute die fatale Sach - und Rechtslage in einer vollends korrumpierten und kompromittierten Nation, in einem failed state meines Erachtens, was die Rechts - und Verfassungsstaatlichkeit anbetrifft.

In Diensten und im Auftrag des Staatssicherheitsdienstes der so genannten Deutschen Demokratischen Republik, der GeStapo der DDR, hatte sich inzwischen nämlich mit der Observation und Denunziation eines Bürgerrechtlers, mit der Observation und Denunziation des Robert Havemann in Berlin - Grünheide, schon lange eine Denunziantin für eine 'Karriere' qualifiziert.

Das freundlich - verlockende Angebot der deutschen Staatsanwaltschaft, die, wie gesagt, keine Lust gehabt hatte, ihre Arbeit zu machen, zum Abschuss und zur Denunziation des amtierenden Kanzlers liess sich 'sein Mädchen', die 'Parteigenossin', dann auch nicht zweimal machen.

Also Fortsetzung der 'Karriere' mit den bewährten Mitteln der Denunziation. Dieses Mal auf der Titelseite einer bundesweit in großer Auflage erscheinenden Zeitung, der FAZ. Der 'Vatermord' war perfekt, die Dreckschleuder und Denunziation hat im Denunziantenland Deutschland funktioniert wie eh und je.

http://germanhistorydocs.ghi-dc.org/pdf/deu/Chapter10_doc_7.pdf

https://app.box.com/shared/aleipnwmc4

Was aber tun mit den paar Leuten, für die nach wie vor gilt 'Der größte Schuft im ganzen Land, das ist und bleibt der Denunziant!', und für die es auch keinen Unterschied macht, ob es eine Frau ist, die sich als begnadete Denunziantin betätigt und erweist ?

Ich sage es Ihnen, Frau M. Tun Sie besser nichts. Ausser vielleicht alle öffentlichen Ämter niederlegen, um sich ein adäquates Erdloch als Versteck zu suchen.

Mit solchen Sachen ist kein Staat zu machen, das müssten Sie wissen.

Ich bin mir sicher, dass es genug Menschen in diesem unserem Lande gibt, die alles daran setzen werden, Ihrem schmutzigen Spiel ein Ende zu setzen, und sei es, dass das Spiel mit der Denunziation ein letztes Mal gespielt wird, wenn es denn unbedingt sein muss.

Dieses Mal zu Ihrem Nachteil.

Gravatar: Joachim Kuhs

Geniales Stück!
Jetzt weiß ich erst, wozu der Konjunktiv alles gut ist, ... wenn man ihn beherrscht.

Gravatar: Hans Dampf

Stimmt...
Aber das liegt auch an der Endlosschleife von gleichgeschalteter Medienpropaganda und Schweigespirale der Konsumenten: Die Probleme türmen sich immer höher auf, aber niemand will sie zuerst sehen und ansprechen. Dann würden sie in Hiob-Manier auf ihn zurückfallen, so ist die Logik des öffentlichen Lebens.

Hinzu kommt, dass viele Ältere wissen: Widerstand gegen gegen Unterdrückung (Versailler Vertrag) hat auch schon in noch größere Katastrophen geführt. Also lieber den Kopf in den Sand stecken. Dann ist der ja auch schon mal in Sicherheit.
Rettung? Kommt diesmal von einer gemeinsamen europäischen Selbstbehauptungsbewegung. Deutschland wird der letzte Teilnehmer sein, auch weil alle anderen Länder ihre Invasoren zu uns weiterschicken. Erst dann steigt bei uns der Gegenruck.

Im Übrigen bin ich der Meinung, dass unser Land uns gehören soll.

Gravatar: Frank Jankalert

Für ihre Naivität werden die Deutschen wiedermal einen sehr hohen Preis bezahlen müssen.

Schreiben Sie einen Kommentar


(erforderlich)

Zum Anfang