Auf dem Weg zum normierten Menschen

Warum investiert unsere Gesellschaft so viel Energie und Geld, um die Geburt von Jungs wie Sven zu verhindern?

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Sven ist ein Junge aus unserer Nachbarschaft. Er hat das Down-Syndrom. Der 16-Jährige ist überall beliebt und gern gesehen. Ich frage mich: Warum investiert unsere Gesellschaft so viel Energie und Geld, um die Geburt von Jungs wie Sven zu verhindern?

 

Während sich die Politik mit barrierefreien Rathäusern, inklusivem Unterricht und Behinderten-Quoten beschäftigt, arbeiten Wissenschaftler daran, das Aufspüren genetischer Anomalien zu verfeinern. Wie definiert unsere Gesellschaft, was normal und unnormal ist?

 

 

Fernsehmoderator Kai Pflaume zeigte uns jüngst in der ARD die Welt von Menschen mit Down-Syndrom. Keine traurige Welt, sondern eine Welt voller Lebensfreude, wie es in der Ankündigung hieß. Wer gesehen hat, wie wunderbar und voller Lebensmut diese Menschen ihr Leben meistern, ja genießen, fragt sich unwillkürlich, weshalb unsere Gesellschaft immer neue, technisch verbesserte Möglichkeiten ersinnt, um Trisomie 21 bereits vor der Geburt festzustellen, was in 95 Prozent der Fälle die Tötung des Embryos zur Folge hat. Für 635 Euro wird in Deutschland jetzt ein sogenannter "Panorama-Test" angeboten. Statt wie früher mit einer Fruchtwasseruntersuchung, die auch für das Kind im Mutterleib ein Risiko bedeutete, können werdende Mütter nun einfach, risikolos und mit hoher Sicherheit erfahren, ob ihr Kind eine Gen-Anomalie hat. Zwei Blutstropfen der Mutter genügen. Deutsche Kliniken schicken die Mini-Blutprobe dann an amerikanische Labors, die technisch beim Aufspüren genetischer Veränderungen führend sind, und zwei Tage später liegt das Ergebnis vor. Ist der Test positiv, bedeutet das fast immer den Tod des Fötus durch Abtreibung.

 

Sven ist ein Junge aus unserer Nachbarschaft. Er hat das Down-Syndrom. Der 16-Jährige ist überall beliebt und gern gesehen. Er spielt mit den anderen Jungs Playstation, sie spielen zusammen Hockey und Fußball auf der Straße, und er liest gern Bücher ("Die drei Fragezeichen"). Ich frage mich: Warum investiert unsere Gesellschaft so viel Energie und Geld, um die Geburt von Jungs wie Sven zu verhindern? Es ist die Angst der Eltern vor dem Unbekannten. Werden wir unserem Kind gerecht werden können? Können wir uns das leisten? Alle Wünsche und Hoffnungen, die Eltern in die Geburt ihres Kindes legen, scheinen mit der Diagnose zu zerbrechen, dass etwas nicht "in Ordnung" sein könnte.

 

 

Aber Kinder mit Trisomie 21 sind nicht krank, sie sind anders als die gesellschaftliche Norm. Sie sind einfach Kinder, auch wenn sie manche Dinge nicht perfekt können. Doch von wem erfahren junge Eltern das? Was für eine Gesellschaft ist das eigentlich, die einen Kai Pflaume braucht, um diese einfache Botschaft zu vermitteln?

Wenn wir Kinder mit Down-Syndrom unter uns nicht mehr haben wollen, was kommt als nächstes? Was und wen sortieren wir in Zukunft aus? Und umgekehrt: Im Internet bieten sogenannte "Kinderwunschzentren" inzwischen Eizellen von Spenderinnen an, mit denen etwa die Haarfarbe des späteren Kindes vorher festgelegt werden kann. Der Horror hat begonnen.

Beitrag zuerst hier erschienen: www.rp-online.de.

 

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Mr.Smart

Der Horror hat begonnen, aber das Jahrhundert ist auch noch recht jung. Erst recht das neue Jahrtausend.
Man denke sich nur die Möglichkeiten, die am Ende des 21. Jhds vorhanden sein werden.
Den Tod muß eine Genanomalie nicht unbedingt bedeuten.
Keimbanhntherapie ist noch verboten, doch wird es unweigerlich kommen. Der Fötus wird also geboren werden können, aber ohne Trisomie-21.
Doch das ist nur eines der vielen kommenden Möglichkeiten.
Der Mensch wird sich seinen Körper frei "konfigurieren" können und das direkt auf seinem Smartphone. Eine "Schönheitschrirurgie" wird gar nicht notwendig sein, da die Chrirurgie an sich von der Mimimalinvasiven hin zur Null-Invasiven sich entwickeln wird: Kein Skallpell mehr sondern Nano-bots, nanoskopische Roboter, die nicht nur Ablagerungen in den Arterien entfernen, während man in der Ubahn sitzt und zur Arbeit fährt. Nein, man wird sogar seine eigenen Gene direkt verändern können.
So gesehen wird auch die Frage aufkommen, wieso wir in Zukunft noch "barrierefreie Häuser" bauen sollen, wenn es keinen einzigen Menschen mit z.B. Querschnittslähmung mehr geben muß, da eine "Operation" nur eine Minute dauert und das ganz ohne Skalpell, ohne Medikamente? Wird eine Gesellschaft dann noch die Kosten tragen wollen, wo es viel billiger ginge? Ich denke, nein.
Zusammen fassend kann man sagen: Die Wissenschaft und die Technik werden den Menschen überholen. Der Mensch ist so gesehen nur eine Variante dessen was man mit "Lego"-Steinchen aufbauen kann, die Technik wird aber nicht nur in der Lage sein, ganz andere Gebilde aus den Lego-Steinchen des Lebens aufzubauen. Nein, wir werden sogar in der Lage sein ganz neue Lego-Steinchen zu entwickeln, und überhaupt, wieso immer Lego?
D.h.: Wieso muß Leben aus DNS aufgebaut sein? Die Technik wird viel mehr Möglichkeiten kennen. Leben ist nicht nur auf die Organik beschränkt. Während das letzte Jahrhundert sich mit "künstlicher Intelligenz" beschäftigte wird dieses Jahrtausend künstliches Leben hervorbringen. Heute würden wir sagen "Computer die empfinden und lieben und nicht ausgeschaltet werden möchten".
Wir, Menschen, sind also gezwungen über eine Verallgemeinerung der Menschenrechte nachzudenken:
Es ist Zeit für die Festlegung von Lebenrechten, statt nur Menschenrechten.

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