Arbeit im Wandel 3: Arbeitsmarktpolitik mit Fingerspitzengefühl

Dritter Teil einer Buchzusammenfassung von Cahuc, Zylberberg: „The Natural Survival of Work“, MIT Press, 2009.

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Arbeitssuche ist nach Ansicht der Autoren eine volkswirtschaftlich wichtige Tätigkeit, dient sie doch dazu das Angebot und die Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt in geeigneter Weise in Übereinstimmung zu bringen. Millionen freier Stellen müssen tagtäglich im wahrsten Sinne des Wortes an den Mann bzw. die Frau gebracht werden, was für die Betroffenen mitunter harte Arbeit bedeutet. Das diese entsprechend belohnt werden sollte, ist eine Sichtweise, der die meisten der praktizierten Systeme der Arbeitslosenversicherung nicht gerecht werden. Lohnersatzleistungen sollten nicht nur Überlebenshilfe, sondern vor allem auch Hilfe und Anreiz bei der Suche nach einer neuen Beschäftigung bieten. Nicht immer sei die aus finanziellen Gründen gebotene Wahl des erstbesten Jobs die richtige Entscheidung für Arbeitssuchende und Unternehmen. Andererseits weisen aber auch Länder, in denen eine lange Sucharbeitslosigkeit an der Tagesordnung ist, keine höhere Produktivität auf als Länder, in denen die Übergänge von einem Job in den nächsten kürzer ausfallen. Ganz im Gegenteil: Langzeitarbeitslosigkeit ist ein Zeichen einer ineffektiven und ineffektiven Arbeitsmarktpolitik. Daher empfehlen beide Buchautoren eine Arbeitslosenversicherung, bei der großzügige Lohnersatzzahlungen nur dann gezahlt werden, wenn die Empfänger gemeinsam mit dem Versicherer klare Vereinbarungen über Aktivitäten zur Jobsuche und Weiterqualifizierung treffen, deren Verletzung mit spürbaren finanziellen Sanktionen geahndet wird.

 

Der Erhalt von Arbeitsplätzen mit der geballten Gewalt staatlicher Interventionen ist nach Ansicht der Buchautoren ein kontraproduktiver Weg zur Überwindung der Arbeitslosigkeit. Unproduktive Jobs lassen sich langfristig auch mit noch so rigorosen Kündigungsschutzregeln nicht sichern. Kurzfristige Erfolge beim Erhalt dieser Arbeitsplätze ziehen mittel- bis langfristige Verzögerungen des Strukturwandels nach sich und behindern die Entstehung neuer und produktiverer Arbeitsmöglichkeiten mit höheren Einkommensaussichten. Dementsprechend zeigt die Empirie auch, dass Interventionen zur Prävention von Entlassungen auch keinen messbaren Einfluss auf die Arbeitslosenquote zeigen, dafür aber die Dauer der Arbeitslosigkeit erhöhen und den Anteil der Erwerbstätigen an der Gesamtbevölkerung senken. Nicht weiter verwunderlich sei es daher auch, dass in Ländern mit umfangreichem Kündigungsschutz vor allem bei jungen Leuten und Menschen über 50 die Erwerbsquote gering ist. Nicht einzuleuchten vermag jedoch die Einschätzung der Autoren, es gäbe eine Kluft zwischen der privatwirtschaftlichen und der gesellschaftlichen Bewertung von Arbeit. Es mag plausibel sein, dass der Arbeitsplatzverlust nicht nur für den einzelnen Betroffenen, sondern für ganze Familien mit wirtschaftlichen Einbußen verbunden ist. Doch die Verantwortung hierfür trägt der jeweilige Arbeitnehmer, der sich bereits bei Abschluss eines klar formulierten Arbeitsvertrages mit entsprechenden Kündigungsschutzklauseln eines gewissen Arbeitsplatzverlustrisikos bewusst sein muss. Die Kosten dieses Risikos allein dem Arbeitgeber anzulasten, dürfte im Zweifel ebenso wie übermäßiger Kündigungsschutz zu Lasten aller Beschäftigten gehen.

 

Einen überaus kritischen Blick wirft das Buch auch auf die mit öffentlichen Mittel finanzierte berufliche Bildung und Qualifizierung. Zwar mögen staatliche Bildungsprogramme unter bestimmten Bedingungen zu mehr Beschäftigung und höheren Einkommen führen, doch allzu oft profitiert von diesen Maßnahmen vor allem der Teil der Bürger, der ohnehin schon über gute Arbeitsmarktchancen verfügt. Ein positiver Effekt für intellektuell oder sozial benachteiligte Bürger zeigt sich bei den meisten Maßnahmen nicht. Aus- und Weiterbildungsprogramme sind keine arbeitsmarktpolitischen Wunderwaffen. Dort wo sie einschlagen, ist die Relation von finanziellem Aufwand und Wirkung häufig enttäuschend gering. Nach Ansicht der Autoren profitieren Menschen mit geringer Berufqualifikation mehr, wenn ihre Arbeitskosten gesenkt werden, so dass sie sich direkt am Arbeitsplatz qualifizieren können. Öffentliche Bildungsausgaben sollten gezielt Kindern mit prekärem sozialem Hintergrund unter expliziter Berücksichtigung der familiären Umstände zu gute kommen. Ebenso sollten sich berufliche Weiterbildungsprogramme intensiv mit Problemgruppen beschäftigen. Der vorherrschenden Gießkannenfinanzierung der Aus- und Weiterbildung unter dem Banner einer allgemeinen Bildungseuphorie kann dagegen kein gutes Zeugnis ausgestellt werden.

„The Natural Survival of Work“ gibt einen hervorragenden Überblick über den Stand und die Lehren der modernen Arbeitsmarktforschung. Das Buch zeigt, dass wir heute ziemlich genau wissen, was in der Arbeitsmarktpolitik funktioniert und was nicht. Es zeigt aber auch, dass dieses Wissen viel zu selten zur Anwendung gelangt. Viel zu oft ziehen es Wähler, Interessengruppen und Politiker vor, aus dem Bauch heraus zu entscheiden. Kein Wunder, dass die gewählte Medizin am Ende krank macht.

Literatur

Pierre Cahuc, André Zylberberg: The Natural Survival of Work – Job Creation and Job Destruction in a Growing Economy, MIT Press, 2009.

Lesen Sie auch den ersten und zweiten Teil dieser Serie.

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