Arbeit im Wandel 1: Arbeitsmarktdynamik und Mindestlohn

Pierre Cahuc und André Zylberberg haben in ihrem Buch „The Natural Survival of Work – Job Creation and Job Destruction in a Growing Economy“ eine Bilanz der Erfolge und Misserfolge internationaler Arbeitsmarktpolitik vorgelegt. Dieser dreiteilige Beitrag exzerptiert das außerordentlich lesenswerte Buch.

Veröffentlicht:
von

Die Angst vor Arbeitsplatzverlusten greift gerade in Krisenzeiten um sich. Politiker fühlen sich auf den Plan gerufen und wollen Arbeitsplatzsicherheit und für ein gutes Leben auskömmliche Löhne garantieren. Doch anstatt diese Versprechen einzulösen, leidet der europäische Arbeitsmarkt seit fast drei Jahrzehnten an chronischer Unterbeschäftigung. Nach Ansicht von Pierre Cahuc und André Zylberberg, Autoren des neuen Buches „The Natural Survival of Work – Job Creation and Job Destruction in a Growing Economy“, scheitert die Arbeitsmarktpolitik am mangelhaften Verständnis der Funktionsweise des Arbeitsmarktes. Grund genug, anhand einer Vielzahl empirischer Ergebnisse der Arbeitsmarktforschung etwas mehr Licht in das Dunkel der Arbeitsmärkte zu bringen. Lesen Sie den ersten Teil einer dreiteiligen Buchrezension.

Arbeitsplätze, das deutet schon diese landläufige Bezeichnung an, sind im Verständnis vieler Bürger imaginäre Orte, an denen man irgendwann beginnt für seinen Lebensunterhalt zu sorgen, um ein paar Jahrzehnte später den Hut in die Rente zu ziehen. Doch ebenso wenig, wie wir als Verbraucher von der Wiege bis zur Bahre ein unverändertes Konsummuster pflegen, sondern Güter und Dienstleistungen nach unseren Präferenzen munter wechseln, können wir uns auf den Job auf Lebenszeit verlassen. Ganz im Gegenteil, Veränderung ist eine konstituierende Eigenschaft von Arbeitsmärkten. Diese Art der „kreativen Zerstörung“ von Arbeit, um Potential für neue Beschäftigung zu schaffen, hat die stürmische wirtschaftliche Entwicklung der vergangenen zwei Jahrhunderte erst möglich gemacht. Das Entlassungen unter diesen Bedingungen von Bürgern und Politikern gleichermaßen als wirtschaftliche und soziale Katastrophe angesehen und häufig mit untauglichen Mitteln bekämpft werden, hat wesentlich zur bedauerlichen Situation der Langzeitarbeitslosigkeit von Menschen mit Integrationsproblemen in den Arbeitsmarkt beigetragen.

Trotz nicht verstummender Warnungen vor dem Ende der Arbeit werden nicht nur in dynamischen Volkswirtschaften wie den USA täglich unzählige neue Jobs geschaffen. Zwar gingen dort im Zeitraum von 1990 bis 2003 pro Quartal rund 7,7 Prozent aller Arbeitsplätze in der Privatwirtschaft verloren, doch wurden gleichzeitig 8 Prozent neue Jobs geschaffen, ein Zuwachs von 0,3 Prozent pro Quartal. Natürlich verbirgt sich hinter dieser Veränderung ein dynamischer struktureller Arbeitsmarktwandel, der Jobverluste in einem Teil der Wirtschaftsbereiche und Zuwächse in anderen Sektoren mit sich brachte. Wirtschaftswachstum und Produktivitätsgewinne verändern den Arbeitsmarkt, erleichtern es aber den Menschen, mit ihrer Arbeitsleistung für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Die Globalisierung von Güter-, Dienstleistungs- und auch Arbeitsmärkten schafft, wie alles was Wachstum und Produktivität fördert, unterm Strich mehr Beschäftigungsmöglichkeiten, auch wenn die Öffentlichkeit das häufig nicht so sieht. Man muss diese nur nutzen wollen und können. Die Arbeitsmarktpolitik ist hier, wie die Autoren ausführlich erläutern, nicht immer hilfreich.

So sind etwa Mindestlöhne ein beliebtes Thema hitziger Auseinandersetzungen über eine faire Arbeitsmarktpolitik. Gegner flächendeckender Mindestlöhne weisen darauf hin, dass derartige Festpreise zu Lasten derjenigen Arbeiter gehen, deren Produktivität nicht kostendeckend ist. Befürworter ziehen neben moralischen Erwägungen häufig die Marktmacht der Unternehmen in Betracht und folgern, bewaffnet mit den optimistischen Erkenntnissen amerikanischer Arbeitsmarktstudien, daraus, dass Mindestlöhne nicht zwangsläufig zu Lasten der Arbeitsnachfrage gehen und sogar stimulierend auf das Arbeitsangebot wirken können. Cahus und Zylberberg geben beiden Seiten recht, weisen aber mit Nachdruck darauf hin, dass hier die Dosis das Gift macht. So lassen sich die für Mindestlöhne sprechenden Ergebnisse der amerikanischen Studien schon deshalb nicht eins zu eins auf die Verhältnisse in Europa anwenden, weil die Mindestlohnforderungen hiesiger Befürworter weit über dem liegen, was in den USA per Gesetz gezahlt werden muss. Statt Mindestlöhnen empfehlen die Autoren zur Lohnsicherung daher auch eine Senkung der Lohnnebenkosten, ein wesentlich erfolgversprechenderer Weg der Lohnerhöhung, der nicht die Jobs von jungen und qualifikationsschwachen Erwerbsfähigen riskiert.

Literatur

Pierre Cahuc, André Zylberberg: The Natural Survival of Work - Job Creation and Job Destruction in a Growing Economy, MIT Press, 2009

Lesen Sie morgen Arbeit im Wandel II: Lohnsubventionen und ihre Grenzen.

Für die Inhalte der Blogs und Kolumnen sind die jeweiligen Blogger verantwortlich. Die Beiträge der Blogger und Gastautoren geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion oder des Herausgebers wieder.

Ihnen hat der Artikel gefallen? Bitte
unterstützen Sie mit einer Spende unsere
unabhängige Berichterstattung.

Abonnieren Sie jetzt hier unseren Newsletter: Newsletter

Kommentare zum Artikel

Bitte beachten Sie beim Verfassen eines Kommentars die Regeln höflicher Kommunikation.

Keine Kommentare

Schreiben Sie einen Kommentar


(erforderlich)

Zum Anfang