Anders B. und der IS: Notizen zum europäischen Bürgerkrieg

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Der im Internet lange angekündigte und ideologisch begründete Massenmord des Norwegers Anders Breivik führte weltweit zu entsetzten Reaktionen und Interpretationen, die jedoch meist an der Oberfläche blieben. Ausländerfeindlichkeit und Rechtsradikalität waren die schablonierten Vorwürfe, die als sehr billige Erklärung von den Qualitätsmedien geliefert wurden. Bei den Trauerfeiern in Norwegen wurde denn auch auf die multikulturelle Toleranz einer offenen Gesellschaft abgehoben, die es zu bewahren gelte und deren Garant die regierende sozialdemokratische Arbeiterpartei sei. So einfach ist es aber nicht.

Das Enfant terrible der französischen Intellektuellen, Richard Millet, analysierte tiefer und sah in Breivik vor allem das „exemplarische Produkt dieser westlichen Dekadenz, die das Aussehen der amerikanisierten Kleinbürger angenommen hat“, wie er in seiner „Éloge litteraire“ von 2012 ausführte. Dazu zählte er die Karriere des Massenmörders als typisches Scheidungskind, seine „Aura des idealen Schwiegersohns“, als der er die „lächerlichen“ Attribute des Multikulturalismus wie Tattoos, Piercing und Ethno-Kleidung ablehnt, und seine durch den genderistischen und übersexualisierten Zeitgeist verwirrte Heterosexualität. Er sieht Breiviks furchtbare und verabscheuungswürdige Taten ausgehen vom „großen Verlust von Unschuld und Hoffnung, der den Westen charakterisiert, und die andere Namen sind für den Ruin des Werts und des Sinns.“ Millet ordnet Breiviks Tat als Reaktion auf die Finanzkrise ein, die wegen ihrer Vergötterung der neoliberalen Ökonomie von der Aufgabe europäischer kultureller Werte ebenso kündet wie der Multikulturalismus, dessen Grundlage die Verachtung des Eigenen ist. Er betont, dass Breivik eben kein Rassist ist, wie es die Medien behaupteten, weil er nicht etwa Migranten tötete, sondern Angehörige der politischen Richtung, in der er die Schuldigen für die von ihm diagnostizierte Misere Europas sah.

Millet weist ferner auf die drastische Zunahme von Amokläufen junger Menschen im gesamten Westen hin, die scheinbar jeder politischen Dimension entbehren. Hier liegt also eine weitaus stärker verbreitete Problematik als die medial behauptete vor, die heute auch zur Bereitschaft von Tausenden junger Männer aus dem Westen geführt hat, meist muslimischen Migranten, aber auch von Konvertiten, in den Orient zu reisen, um dort ihrerseits für den Islamischen Staat Massenmorde zu verüben. Diese bekommen einen legitimen Anstrich durch die islamische Ideologie des permanenten Krieges gegen die Ungläubigen („Und kämpft gegen sie [die Ungläubigen], bis es keine Verwirrung mehr gibt und die Religion Allah gehört“, Sure 2:193; „Und kämpft gegen sie, damit keine Verführung mehr stattfinden kann und (kämpft,) bis sämtliche Verehrung auf Allah allein gerichtet ist.“ Sure 8:39). Psychologisch sind die Dschihadisten aber ganz nahe bei den verwirrten Amokläufern, denn sehr viele dieser dilettantischen Kämpfer dienen als Kanonenfutter und ihr Einsatz hat, ohne dass sie direkt zu Selbstmordattentätern würden, etwas Suizidales an sich. Ebenso wenig wie Breivik sind sie persönlich angegriffen worden; ihr idealistisches Opfer wird von weit her begründet, ganz sicher aber mit Intoleranz, Fundamentalismus und, ja, Rassismus. Trotzdem scheint die Analyse ihres kollektiven Wahnsinns auf mehr Verständnis bei den westlichen Medien zu stoßen als die einsame Tat des Norwegers,  so als wäre richtiger, was viele tun. Zum Pfeiler dieses falschen Verständnisses sind die sozialen Gründe des „Abdriftens“ geworden, die es sicherlich auch gibt, die aber ebenfalls zu kurz greifen, gibt es doch genügend Gebildete auch beim IS.

In einem Beitrag kurz nach Breiviks Morden argumentierte ich auf diesen Seiten mit der Todeslust, die schon vor dem Ersten Weltkrieg Leute wie den Dichter Georg Heym dazu brachte, vor lauter gesättigter Langeweile den Krieg herbeizusehnen. Langeweile und Dekadenz sind Geschwister und die (vielleicht nicht allgemeine, aber doch vorherrschende) Begeisterung bei Kriegsausbruch 1914 sprach Bände. Heute wachsen in unseren reichen und laut Millet dekadenten Ländern, nach einer fast unglaublich langen Friedenszeit, eine Menge Leute heran, die vom Frieden und den Mühen der Ebene gelangweilt in einem ähnlich begeisterten Wahn wie Heym furchtbare Schlussfolgerungen aus der Krise Europas ziehen. Dem „Ruin von Wert und Sinn" werden Mythen entgegengesetzt, doch hat die resultierende Gewalt nicht nur gefühlte, sondern reale und sehr konkrete Ursachen.

Breivig sah sich als solitärer Kämpfer in einem europäischen Bürgerkrieg, von dem tatsächlich niemand weiß, ob er nicht noch kommt. Die Kämpfe um die Ukraine können (wie schon der jugoslawische Bürgerkrieg) als Krieg zwischen der multikulturalistischen und ökonomisierten EU und Anhängern eines kulturell eigenständigen Europa der Heimatländer gesehen werden. Ein unverdautes Amalgam aus Hobbes, Burke, den Templern und dem Freimaurertum diente Breivik als geistige Krücke; auch dies für eine erklärungsfaule und nihilistische Öffentlichkeit offenbar weniger stringent als die Berufung auf die Weltrevolution, sei sie nun links oder islamisch. Millet sprach von der „Kriminalisierung des Patriotismus“, die jemanden wie Breivik angetrieben habe. Linke würden von einer „Unfähigkeit, die Veränderungen der Moderne zu akzeptieren“, sprechen, als wären diese schicksalhaft und nicht menschengemacht. Unfähig jedenfalls die politische und intellektuelle Elite, gewisse Auswüchse bei der „emanzipatorischen“ und „progressiven“ Entwicklung der westlichen Gesellschaft zu erkennen, die selber Auswüchse wie die von Breivik und den Dschihadisten gebären müssen.

Natürlich wurde auch Theodor W. Adorno zitiert mit seinem Diktum von einer Kultur „nach Auschwitz“. Europa sei kulturell an ein Ende gekommen. Gerade in Deutschland ist man bemüht, den ungarischen Autor Imre Kertész, der auch im Lichte der nationalsozialistischen Massenverbrechen auf Europa sieht, in Adornos Sinn zu interpretieren. Das ist falsch. Ein Tagebucheintrag vom 19. November 2004 möge das verdeutlichen: „[...] Es bricht eine mörderische Welt an, Nationalismus, Rassismus; Europa beginnt zu erkennen, wohin seine liberale Einwanderungspolitik geführt hat. Plötzlich wird man gewahr, dass es Fabelwesen, die man multikulturelle Gesellschaft nennt, gar nicht gibt. Eine interessante, paradoxe Sackgasse: Während die Europäische Union erweitert wird, schnüren sich die einzelnen Unionsländer enger zu. Die zu erwartenden Gesetze stehen im Widerspruch zur Verfassung der Union, doch wer wollte ihre grundlegende Bedeutung leugnen. Das Problem ist, dass man nicht differenziert: indem etwa gesonderte Gesetze für die einheimischen Bürger gelten und sich andere auf die Muslime beziehen. Doch das wäre Ausgrenzungspolitik. Wiederum ist es unmöglich, sich vorzustellen, dass, sagen wir, Frankreich in zwei bis drei Generationen ein muslimisches Land sein wird. Politiker, die von den durch die allgemeine Angst und Hysterie entfesselten Emotionen aufgewühlt sind, werden die Situation eher zur Erhaltung ihrer eigenen Macht nutzen wollen, als sich die Köpfe über wirkliche Lösungen zu zerbrechen. Direkt gesagt: es tut sich die Möglichkeit neuer Diktaturen auf, die unter dem Vorwand drohender Gefahren in erster Linie die eigenen Staatsbürger in Gefahr bringen. Vor derartigen Problemen steht die zivilisierte Welt, und es ist nicht möglich, öffentlich zu ihrer Verteidigung aufzutreten, weil man dann auf der Straße erschossen wird (siehe den Fall Theo van Gogh). [...].“ Man kann sagen, dass Kertész hier, und sicher nicht adornitisch, in kurzen Sätzen die „Probleme“ Europas zusammenfasst.

Es gibt trotz dieser lähmenden Widersprüche keinen Grund für eine Selbstaufgabe. Allerdings hat eine Politik, die (im Schulterschluss mit der Ökonomie) ein Europa der Bürokratie und der Konzerne geschaffen hat, große Risiken billigend in Kauf genommen. Wie Kertész richtig sagt, ist die politische (und ökonomische) Führungskaste nur auf den Erhalt ihrer Macht bedacht. Zur Maximierung von staatlicher  Bevormundung, staatlichen Einnahmen und privaten Gewinnen ist eine gesellschaftliche Umwälzung durch die übergreifende, nivellierende Amerikanisierung, einen institutionell gleichschaltenden, innereuropäischen Internationalismus und kulturfremde Einwanderer als Billigarbeiter vorangetrieben worden. Dies war möglich, weil auch große Teile der Bevölkerung bislang von der Entwicklung profitiert haben. Es ist jedoch naiv zu glauben, dass diese Umwälzung unter Ausklammerung von Gewalt geschehen kann, weil sie trotz aller Toleranz- und Friedensrhetorik selbst gewalttätig ist und mittelfristig auf den Widerstand aller betroffenen Seiten treffen wird.

 

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Klartexter

Ja und, was solls. In wenigen Jahren wird die muslimische Gesellschaft die Mehrheitsgesellschaft in einigen europäischen Staaten sein, so auch lautet auch die Aussage von Heinz Buschkowsky und Thilo Sarrazion. Es sind zwei Kenner der Szene und keine Spinner, sondern Analytiker und Realisten. Breivik ist ein Irrer und gemeiner Mörder an Angehörigen der eigenen Gesellschaft. Der andere Kampf, der Kampf der europäischen Kulturen, der christlichen und jüdischen Religion und der islamischen Ideoloie hat auch Europa erfasst und dieser Kampf wird sich verstärken, rasch und unerbittlich. Islam, die Religion ist gleich Staat und untrennbar und dieser Staat kann vorgeschriebenen Weise mit dem Schwert geschaffen werden. Europa wache auf!!!

Gravatar: Klimax

"Millet ordnet Breiviks Tat als Reaktion auf die Finanzkrise ein, die wegen ihrer Vergötterung der neoliberalen Ökonomie ..."
Typische Einordnung eines Intellektuellen, der von Ökonomie nichts versteht. Im Zeitalter des massiven Staatsinterventionismus in freies Wirtschaften, der Dauerregulierungen und der Staatsquoten von 50% und mehr, ist der Begriff "Neoliberalimus" so am Platze, wie der Begriff der Freiheit in einer Strafkolonie.

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