American Style und der Tod eines Austauschschülers

Es gibt sicher – abseits der Entwaffnung der Bürger durch den Staat in eher autoritären Staaten – auch gute Gründe für ein Waffenmonopol beim Staat, es gibt aber auch gute Gründe dafür, das Waffenrecht nicht allzu restriktiv, wie in Deutschland, zu gestalten.

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Vor ein paar Tagen hatte ich auf meinem Facebookaccount ein Bild geteilt, dass ich trotz seines provokativen Charakters, den es jedenfalls in Deutschland hat, für im positiven Sinne bemerkenswert halte:

6 things you don't mess with

Fast war zu erwarten, dass sich daran eine kleine Diskussion entfachen würde – denn ein paar der Inhalte, abgesehen vom martialischen Hintergrund, sind für uns Deutsche schon mal gewöhnungsbedürftig. Für seinen Glauben einzustehen, das ist für viele nachvollziehbar, für noch mehr Menschen ist es der Einsatz für die eigene Familie und für die Freiheit. Über die Reihenfolge ließe sich in einem säkularen Land streiten, aber Freiheit und Familie und christliche Wurzeln als Basis unserer Gesellschaft, das ist – trotz unterschiedlicher Interpretationen – durchaus noch mehrheitsfähig. Anders sieht es da mit dem Land, der Flagge und ganz besonders mit dem Gewehr oder der Pistole aus.

Aus bekannten historischen Gründen haben viele ein Problem mit Patriotismus, was ich selbst nicht nur für schade sondern auch für ausgesprochen schädlich halte: Wenn Vaterlandsliebe, die Liebe zur Nation und zum Volk als „nationalkonservativ“ oder „rechts“ diffamiert wird, denn nimmt man den Menschen nicht nur ein natürliches Gefühl der Zusammengehörigkeit in einer Kulturgruppe, man eröffnet auch „Rattenfängern“ einen Weg, die Deutungshoheit über den Begriff des Patriotismus zu übernehmen.

Akzeptiert man aber erst mal den Wert von Freiheit, Familie, Glaube und auch den des Landes und damit einhergehend als nationales Symbol den der Flagge, dann stellt sich automatisch die Frage, wie man diese Werte denn gegen Feinde zu verteidigen gedenkt. Damit sind nicht argumentative Feinde, wie ich sie mal nennen möchte, gemeint, die sich also mit Worten gegen den Glauben wenden, oder die Nation kritisieren oder die Familie als Keimzelle der Gesellschaft in Frage stellen. Denen kann man argumentativ begegnen – wobei es mit deren argumentativer Tiefe, diese kleine Spitze kann ich mir nicht verkneifen, oft nicht besonders weit her ist.

Was aber, wenn ich es mit einem aggressiven, körperlichen oder militärischen Angriff zu tun habe? Was, wenn jemand in mein Haus oder meine Wohnung eindringt, meine Familie oder mich selbst bedroht? Was, wenn jemand mit Gewalt versucht, meine Religionsfreiheit einzuschränken? Was, wenn jemand mit Waffengewalt meine Freiheit einzuschränken gedenkt? Oder was, wenn ein anderer Staat meine Nation angreift? Dann stellt sich die Frage der Notwehr, indirekt die nach dem Einsatz von Waffen.

Zum Thema Notwehr gibt es einen erhellenden und wie ich finde einsichtigen Abschnitt im Katechismus der katholischen Kirche. Dort heißt es:

2263 Die Notwehr von Personen und Gesellschaften ist keine Ausnahme vom Verbot, einen Unschuldigen zu töten, also einen willentlichen Mord zu begehen. „Aus der Handlung dessen, der sich selbst verteidigt, kann eine doppelte Wirkung folgen: die eine ist die Rettung des eigenen Lebens, die andere ist die Tötung des Angreifers" (Thomas v. A., s. th. 2-2, 64, 7). Nur die eine Wirkung ist gewollt, die andere nicht.

2264 Die Liebe zu sich selbst bleibt ein Grundprinzip der Sittenlehre. Somit darf man sein eigenes Recht auf das Leben geltend machen. Wer sein Leben verteidigt, macht sich keines Mordes schuldig, selbst wenn er gezwungen ist, seinem Angreifer einen tödlichen Schlag zu versetzen:

„Wenn jemand zur Verteidigung des eigenen Lebens größere Gewalt anwendet als nötig, ist das unerlaubt. Wenn er die Gewalt aber mit Maß zurückstößt, ist die Verteidigung erlaubt ... Es ist zum Heil nicht notwendig, auf den Akt des maßvollen Schutzes zu verzichten, um die Tötung des anderen zu vermeiden; denn der Mensch ist mehr gehalten, für das eigene Leben als für das fremde Leben zu sorgen" (Thomas v. A., s. th. 2-2, 64, 7).

2265 Die Notwehr kann für den, der für das Leben anderer oder für das Wohl seiner Familie oder de Gemeinwesens verantwortlich ist, nicht nur ein Recht, sondern eine schwerwiegende Verpflichtung sein.

Zwei Dinge, so scheint mir, sind dabei entscheidend: die Verhältnismäßigkeit und die Verpflichtung zur Notwehr! Es ist natürlich nicht verhältnismäßig, einen Menschen, der mich bestehlen will, körperlich in mehr als erforderlicher Weise einzuschränken. Wenn jemand aber mein Leben oder das meiner Familie bedroht und ich keine andere Möglichkeit der Verteidigung sehe, dann ist eine Gegenwehr, die mit dem Tod des Angreifers endet, moralisch nicht fragwürdig sondern sogar notwendig. Ich wäre, das impliziert der letzte zitierte Satz aus dem Katechismus, für den Schaden an Familie oder Gemeinwesen ansonsten mit verantwortlich.

Stellt man nun die Frage, wie denn so eine Verteidigung erfolgen kann, dann ist man direkt bei der Frage der Waffen. Da gibt es unterschiedliche Philosophien, eine eher europäisch geprägte, eine amerikanisch geprägte: Die europäische Variante hat die Verteidigung weitgehend an den Staat deligiert. Historisch gesehen ist das durchaus kritisch, weil mit Waffenverboten eben nicht die Gewalt zwischen den Menschen eingeschränkt werden sollte, sondern die Wehrfähigkeit der Menschen gegen staatliche Übergriffe reduziert wurde. Der rechtschaffene Bürger, der keine Waffen besitzt, ist damit auf den Staat angewiesen, der mit Polizei und Militär seine Werte verteidigen sollte – und ist diesem Staat im Zweifel auch ausgeliefert, wenn der sich gegen die Interessen der Bürger wendet.

Dem steht die amerikanische Variante gegenüber, bei der sich die Bürger bis heute standhaft weigern, die Selbstverteidigung vollständig in die Hand des Staates zu legen. Das mag in manchen Bereichen logistische Gründe haben – wer auf das Eintreffen der Polizei stundenlang warten muss, der sieht die Notwendigkeit, sich selbst zu verteidigen – oder auch einer generellen Skepsis staatlicher Gewalt gegenüber entspringen: Wenn der Staat seine Macht gegen mich wendet, dann will ich die Möglichkeit haben, mich dagegen zu wehren – das ist bewaffnet deutlich einfacher, als wenn ich zum Beispiel damit drohe, eine Petition zu starten.

Diesem Gedanken, seinen Glauben, seine Freiheit, seine Familie, sein Land und dessen Flagge selbst verteidigen können zu wollen, entspringt also die Forderung „Don’t mess with my guns!“ Das dieser Gedanke aber auch Nebenwirkungen haben kann, ist in den vergangenen Tagen wieder deutlich geworden am Beispiel eines deutschen Austauschschülers, der in den USA erschossen wurde, als er sich unter noch ungeklärten Umständen in einer fremden Garage aufgehalten hatte. Auch mit Blick auf dieses Ereignis wurde mein Facebookeintrag kritisiert.

Ungeklärt sind die Umstände, weil der Jugendliche ganz offensichtlich nicht „legitim“ in die Garage eingedrungen ist, es sich darüber hinaus so darstellt, dass der Besitzer der Garage nach mehrmaligen Einbrüchen eine Falle gestellt hat und quasi auf der Lauer lag auf Einbrecher, möglicherweise mit dem Motiv, diese tatsächlich nicht zu stellen sondern zu erschießen. Leider driftet die Diskussion darum häufig in eine etwas eigenartige Richtung: Was hatte der junge Mann denn in der Garage zu suchen, selbst schuld! Oder es wird auf die türkischen Wurzeln des deutschen Staatsbürgers verwiesen und so getan, als handele es sich um ein Problem des Migrationshintergrunds.

Dabei gerät völlig aus dem Blick, dass auch in einem solchen Fall das Handeln des Besitzers der Garage, auf den jungen Mann zu schießen, keine moralische Legitimität besitzt, selbst wenn man aufgrund einer möglichen Traumatisierung nach mehrfachen Einbrüchen durchaus auch Verständnis haben kann. Verhältnismäßig war das Handeln nicht, wobei ganz nebenbei auch „nur“ das Eigentum und nicht das eigene Leben mit Waffengewalt und unter Inkaufnahme des Todes des angenommenen Einbrechers verteidigt wurde, wenn nicht gar mit der entsprechenden Absicht gehandelt wurde.

Die Instrumentalisierung der Vorkommnisse sowohl durch Law-and-order-Vertreter wie durch Kritiker der US-Waffengesetze greifen daher auch zu kurz, da hier die Interessen von Bürgern auf Möglichkeit der Selbstverteidigung mit dem Schutzbedürfnis von Menschen kollidiert, die von denjenigen bedroht sind, die sich außerhalb der Legalität bewegen. Kann man das ohne weiteres gegeneinander aufwiegen, festlegen, was mehr Bedeutung haben sollte? Denn machen wir uns nichts vor: diejenigen, die ein Verbrechen begehen wollen, werden auch weiterhin in der Lage sein, sich Waffen zu besorgen – schwerer zwar aber eben auch nicht unmöglich. Diejenigen, die sich dagegen im Rahmen der Gesetze bewegen wollen, sind bei einer Gesetzgebung wie in Europa am Ende unbewaffnet.

So ist auch die Argumentation derjenigen zu verstehen, die zum Beispiel bei Amokläufen, wie wir sie in den vergangenen Jahren öfters in den USA aber auch in Europa gesehen haben, nicht mit einer Forderung nach schärferer Waffengesetzgebung – im verzweifelten Versuch, diejenigen zu entwaffnen, die sich ohnehin nicht an Recht und Gesetz halten – sondern nach dessen Liberalisierung rufen: Wer sich im Rahmen der Gesetze bewegt sollte auch das Recht haben, sich zu verteidigen, notfalls auch mit Waffengewalt – und dabei eben nicht angewiesen sein, auf die nächste Polizeistreife, die im Zweifel erst dann erscheint, wenn das Verbrechen schon begangen ist.

Dem wird oft entgegengehalten, dass man es dann mit einer Wildwestkultur zu tun bekäme, in der wild marodierende Clans mit Gewehren und Pistolen aufeinander losgingen. Dieses Horrorszenario ist natürlich auch aus der Luft gegriffen, da es genau zu diesen Zuständen auch in den USA nicht kommt. Umgekehrt kann man sich auch fragen, ob Verbrechen dadurch verhindert werden, dass ein Angreifer in den USA nicht in jedem Fall damit rechnen kann, auf ein unbewaffnetes Opfer zu treffen.

Worauf ich hinaus will: Es gibt sicher – abseits der Entwaffnung der Bürger durch den Staat in eher autoritären Staaten – auch gute Gründe für ein Waffenmonopol beim Staat, es gibt aber auch gute Gründe dafür, das Waffenrecht nicht allzu restriktiv, wie in Deutschland, zu gestalten. Der jugendliche Austauschschüler in den USA würde bei einem deutschen Waffenrecht vermutlich noch leben, der Einzelfall, so tragisch wie er ist, eignet sich aber umgekehrt auch nicht für eine Forderung nach restriktiveren Gesetzen.

Und – diese Anmerkung noch zum Schluss – wenn seitens von Politikern Einschränkungen der Freiheitsrechte der Bürger gefordert und umgesetzt werden, und die gleichen Politiker sich für ein Waffenmonopol des Staates einsetzen … sollte uns das nicht bedenklich stimmen?

Zuerst erschienen auf papsttreuer.blog.de

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Jochen Reimar

Ein sehr lesenswerter Beitrag, der sicherlich am Anfang einer intensiven Diskussion stehen könnte. Mein Gedanke dazu ist: Wenn der Staat das Gewalt- und Waffenmonopol schon an sich reißt, dann muß er es auch konsequent durchsetzen: Dann muß er an noralgischen Punkten Präsenz zeigen, dann darf er "No-Go-Areas" nicht tolerieren, dann muß er Waffengebrauch durch Verbrecher streng ahnden. All dies tut er nicht, bzw. in einer sehr laxen Art.
Vor diesem Hintergrund ist es zynisch, Bürgern das Recht auf angemessene Notwehr zu verwehren.

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