Ambivalenzen eines Gedenktages

Kein ernstzunehmender Mensch bezweifelt heute, dass die Niederschlagung des Nationalsozialismus eine begrüßenswerte Tat gewesen ist, auch wenn der Haupttäter im Osten ein ungefähr genauso schlimmer Finger war wie sein teuflischer deutscher Gegenpart.

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Es gehört seit Gerhard Schröder zum verdienstvollen Brauch deutscher Kanzler_innen, an den alliierten Siegesfeierlichkeiten über Deutschland teilzunehmen, etwa jenen zur Invasion der Normandie 1944, und vornehmlich an die US-amerikanischen Soldaten zu erinneren, die für die "Befreiung Europas" ihr Leben ließen, wie heuer angelegentlich des 70. "D-Day"-Jubiläums Angela Merkel. Auf die Ambivalenzen eines solchen Gedenktages hinzuweisen, überstiege das an Politikerreden geknüpfte Gebot der Bildzeitungsschlagzeilentauglichkeit, weshalb ich früher schon vorschlug, man möge doch die Formulierung wählen: "In der Normandie trafen unsere Truppen nur auf schwachen Widerstand der Nazis." Es ist, speziell von außen betrachtet, wenig würdevoll, aber menschlich verständlich, nachträglich auf die Siegerseite wechseln zu wollen, und dafür nicht nur die Politkriminellen unter seinen Altvordern zu verdammen, sondern der Einfachheit halber am besten gleich alle.

Erinnern wir bei dieser Gelegenheit trotzdem an die Directive to Commander-in-Chief of United States Forces of Occupation Regarding the Military Government of Germany, kurz JCS 1067, in welcher es unter Punkt 4 b heißt "Germany will not be occupied for the purpose of liberation but as a defeated enemy nation (Hervorhebung von mir – M.K.). Your aim is not oppression but to occupy Germany for the purpose of realizing certain important Allied objectives. In the conduct of your occupation and administration you should be just but firm and aloof. You will strongly discourage fraternization with the German officials and population."

Kein ernstzunehmender Mensch bezweifelt heute, dass die Niederschlagung des Nationalsozialismus eine begrüßenswerte Tat gewesen ist, auch wenn der Haupttäter im Osten ein ungefähr genauso schlimmer Finger war wie sein teuflischer deutscher Gegenpart. Aber der Zirkelschluss des Zeitgeistes geht weiter: Amerikaner besetzen nicht, sie befreien. Und wer die Gottesgaben des american way of life ablehnt, kann nur ein reaktionärer Finsterling sein, der sich heimlich nach dem Führer oder seitenverkehrt nach Väterchen Stalin zurücksehnt.

Zuerst erschienen auf michael-klonovsky.de/acta-diurna

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