Am kalten Feuer der Ideologiefreiheit kann man sich nicht wärmen

– Zum christlich-konservativen Markenkern der CDU

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 Immer wieder gibt es Debatten über das Wesen und die Zukunftsfähigkeit des Konservatismus. Im Jahr 1962 fand eine solche Diskussion beispielsweise in der Zeitschrift Der Monat statt. Armin Mohler, „das enfant terrible des deutschen Nachkriegskonservatismus“ (Axel Schildt); hat dem damaligen bundesrepublikanischen Konservatismus ein kritisches Zeugnis ausgestellt und den Begriff des „Gärtner-Konservatismus“ geprägt. Er definierte ihn wie folgt: „Aus Furcht, von neuem in die faschistische Umarmung zu geraten, enthielt man sich ängstlich der Klärung von Grundsatzfragen. Konservative Politik war in dieser Sicht einfach ein Hegen und Pflegen des von selbst Wachsenden unter gelegentlichem Ausrupfen von Unkraut. In dieser Sackgasse des ‚Gärtner-Konservatismus’ hat sich fast alles festgefahren, was seit 1945 in der Bundesrepublik an Anläufen zu einer konservativen Lehre unternommen worden ist.“

Doch was die Haltung dieser Konservativen wirklich so falsch? Intellektuelle Konservative wie Hans Freyer, Arnold Gehlen und Helmut Schelsky reagierten auf die neuen industriewirtschaftlichen Verhältnisse mit ihrem Entwurf eines modernen oder technokratischen Konservatismus. Und sie taten recht daran, denn die Prozesse der Modernisierung waren zu akzeptieren.

Auch Konservative von heute müssen zunächst von dem ausgehen, „was ist“ (Armin Mohler). Daher zeichnet sie nüchterner Realitätssinn aus. Doch bloße Ideologiefreiheit reicht heute vielleicht aus, um als Konservativer zu gelten. Um ein Konservativer zu sein, muss schon deutlich mehr hinzukommen. Ein moderner Konservativer des Jahres 2010 sollte eine eigene Ideologie ausarbeiten und auch das Wort – horibile dictu – konservative Weltanschauung nicht scheuen, denn am kalten Feuer der Ideologiefreiheit kann man sich nicht wärmen.

Freiheit, Eigenverantwortung, Familie, Gottesglaube, Ordnung, Sicherheit, Bewahrung der Schöpfung: Die Liste konservativer Topoi ließe sich fortsetzen. Wer tritt heute noch für diese Begriffe ein? Es ist schon auffällig, dass ausgerechnet Bundesaußenminister Guido Westerwelle von der FDP eine „geistig-politische Wende“ ausgerufen hat. Der Verdacht liegt nahe, dass er damit nur die politisch Korrekten provozieren und eine kleine Knallbombe loslassen wollte. Doch es ist schon auffällig, dass innerhalb der Unionsparteien kaum jemand den Mut findet, den Bürgern ein klares konservatives Konzept zu präsentieren, welches als Zielvorstellung für die nächsten Jahre gelb-schwarzer Regentschaft dienen könnte. Dass auch der größere Koalitionspartner nicht alles durchsetzen kann, was er sich vornimmt, liegt auf der Hand. Dass die CDU in weiten Teilen aber noch nicht einmal den Versuch dazu unternimmt, muss bedenklich stimmen.

Klares konservatives Konzept fehlt

Einige Konservative sagen etwas larmoyant, man halte sich als Konservativer am besten abseits und bewahre seine Unabhängigkeit. Wenn man sich publizistisch engagiert, ist diese Haltung angemessen. Doch die Konservativen müssen auch endlich ihrer organisatorischen und personalpolitischen Unfähigkeit ein Ende setzen. Wer etwas erreichen will, muss Macht ausüben. Für deutsche Konservative bleibt daher letztlich nur ein parteipolitisches Engagement innerhalb der Unionsparteien übrig, eventuell noch in der FDP, die jedoch in der Innen- und Rechtspolitik, teilweise in der Außenpolitik und in der Frage des Lebensschutzes sowie von Glauben und Kirche Positionen vertritt, bei denen ein echter Konservativer Bauchgrimmen bekommen muss.

Mehr Fröhlichkeit, Witz und Schlagfertigkeit würde den Konservativen gut zu Gesicht stehen. 1986 erschien ein Buch aus der Feder des „CDU-Intellektuellen“ Ludolf Herrmann mit dem Titel „Die neue Zuversicht. Über den Erfolg der politischen Erneuerung“. Herrmann glaubte damals wirklich daran, dass eine geistig-moralische Wende in unserem Lande Platz greifen könne. Er kritisierte nicht nur die linken Kulturkritiker, sondern auch die „konservative Selbstbeschimpfung“. „Die sozialliberale Säuerlichkeit, die sich seit 1969 mit ranzigem Moralin in alle Gesellschaftsfugen ergossen hatte, kann nun endlich ausgeputzt werden. Zukunft – man darf wieder daran glauben. Freiheit – sie wird wieder verstanden. Dass man sich auch einmal freuen darf – die Deutschen werden es hoffentlich endlich wieder lernen“. Ist es naiv oder vermessen, wenn man die Hoffnung hegt, dass sich genügend Konservative in Parteien und Publizistik finden, die der Tigerenten-Koalition so viel Dampf machen, dass man vielleicht noch nicht 2010, aber eventuell 2011 oder 2012 solche Sätze wieder schreiben kann? Oder geben wir auf und üben uns in Fatalismus?

Die CDU verprellt die Stammkundschaft

Christlich-konservative Kritiker der Union wollen sich jedenfalls nicht der Resignation hingeben. Die „Democrazia Christiana“ in Italien ist untergegangen. Wird die deutsche CDU das gleiche Schicksal erleiden? Diese Frage stellt der Dominikanerpater Wolfgang Ockenfels in seinem Buch „Das hohe C. Wohin steuert die CDU?“ Ockenfels sieht die CDU von der Gefahr der Profillosigkeit und Traditionsvergessenheit bedroht. Diese „Tendenz des Relativismus“ zeichne sich auch in den CDU-Grundsatzprogrammen deutlich ab.

Letztlich ist Merkel selbst verantwortlich dafür, dass ihr ihre Kritiker einen Zick-Zack-Kurs vorwerfen. „Mal bin ich liberal, mal christlich-sozial, mal konservativ“ sagte sie am 24. März 2009 gegenüber der FAZ. Verwaschener und unpräziser kann ein politisches Bekenntnis kaum ausfallen. Man kann es pragmatisch, man kann es auch prinzipienlos nennen.

„Die CDU sollte für Christen nicht nur als geringeres Übel in Erscheinung treten“, schreibt Ockenfels „seiner“ Partei ins Stammbuch. Kann es auf Dauer gut gehen, wenn die Partei Konrad Adenauers und Ludwig Erhards in Fragen des Lebensschutzes, der besonderen Würdigung von Ehe und Familie und in puncto Wirtschaftsordnungspolitik weiter schwächelt? Bei aller Berücksichtigung hedonistischer Großstadtmilieus: Wer Alfred Dreggers kluge Devise „Zuerst kommt die Stammkundschaft, dann die Laufkundschaft“ vergisst, verspielt die eigene Mehrheitsfähigkeit und verprellt die treuen Stammwähler.

„Aalglatte Profillosigkeit“ – Ruiniert Merkel den Markenkern der CDU?

Machen die Wähler heute noch bewusst ihr Kreuz bei der CDU? Der auch aus dem Fernsehen bekannte katholische Publizist und frühere Redakteur des Rheinischen Merkur, Martin Lohmann, geht dieser Frage ebenfalls in einer schmalen Streitschrift nach. Ihm ist klar: Die Bergpredigt ist kein politisches Handbuch. Doch etwas christlicher könnte sich die Partei Konrad Adenauers und Angela Merkels schon gerieren. Die Kanzlerin, so wird kolportiert, hatte keine Hand frei, als Lohmann ihr ein Exemplar seiner Streitschrift überreichen wollte. Richtig gut kommt die angelernte Christdemokratin in dem Werk auch nicht weg. Relativ unverblümt macht der Autor deutlich, dass die Protestantin aus dem Osten für die „aalglatte Profillosigkeit“ der CDU verantwortlich sei.

Die Kanzlerin vernachlässige das C als Markenkern der Union. Als „beste ICH-AG aller Zeiten“ habe sie sich selbst zu einer Marke gemausert. „Niemand steht so sehr für sich und seine anpassungsfähigen Grundüberzeugungen wie Merkel“, so Lohmann. Mit dem Christlichen verkümmert auch zusehends alles Konservative in der Partei, denn wenn von den Konservativen in der Union gesprochen wird, dann ist dies fast schon ein Schimpfwort.

Besonders deutlich wird die Vernachlässigung des C bei der Familienpolitik, die man besser als „Frauenerwerbsförderungspolitik“ bezeichnen kann. Kinder und Familie haben bei den von der Leyens keine Lobby, so Lohmanns Befund. Insbesondere bei Themen wie Abtreibung und Familie versagt die Union als C-Partei auf ganzer Linie, meint der Autor. Brauchen wir also eine neue christliche Partei? Momentan hält er solche Pläne nicht für realistisch. Stattdessen plädiert er für das Modell der systematischen Unterwanderung. Viele überzeugte Christen sollten sich in der Merkel-Partei engagieren und ihr dadurch letztlich den Stempel aufdrücken. Ob sich dies unter den aktuellen Rahmenbedingungen und der Personaldecke der Union durchsetzen lässt, scheint fraglich. Die Alternative zur Unterwanderung sei „einzig die Neugründung einer weltoffenen, toleranten und lebensfrohen Partei“. Aber dafür brauche es einiger Geldgeber und großer Spender.

Inwieweit sich das Christliche, Liberale und Konservative in der Union in den nächsten Jahren wieder durchsetzen, bleibt abzuwarten. Die Dauerentschuldigung, man müsse schließlich auf den Koalitionspartner SPD Rücksicht nehmen, gilt nicht mehr, seit man mit dem „Traumpartner“ koaliert. Vielleicht bringt der schiere Opportunismus die einstige Volkspartei zur Einsicht, sich wieder stärker ihrer Ursprünge zu besinnen. Die konservativen Milieus in Bayern und Baden-Württemberg waren immer der Garant für gute Ergebnisse auf Bundesebene. Doch auch dort laufen der Union mittlerweile die Wähler in Scharen davon. Will sich die CDU vor dem Schicksal der völlig orientierungslosen SPD hüten, muss sich das wieder betonen, was sie einst zur Gründungspartei der alten Bundesrepublik gemacht hat. Denn wer nur noch die Laufkundschaft hofiert, die Stammkunden aber lästig findet, wird langfristig Konkurs anmelden müssen.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Tigerentenzersäger

Oh bitte, wieviele zweck-, sinn- und folgenlose Aufrufe zu konservativer Erneuerung in der CDU braucht es denn noch, bis endlich die Erkenntnis Platz greift: die Karrieristen, Apparatschiks, Selbstversorger, Anbiederer und Kryptosozialisten haben diesen Verein ganz und gar im Griff, und sie werden nicht wieder loslassen. Die CDU muß mit ihnen zusammen untergehen wie die DC, bevor etwas neues, sinnvolles entstehen kann. Also: nicht rein in die CDU, sondern RAUS AUS DER CDU ist die einzig vernünftige Losung. Vergeßt endlich diese Partei; jeder Tag, an dem ihr euch nicht durchringen könnt, sie zu verlassen und ihren unwürdigen Todeskampf verlängert, ist ein verlorener Tag.

Frohe Ostern!

Gravatar: Pauline

Meine Sicht und meine Beobachtungen über Frau Merkel!

Frau Merkelist eine Opportunistin. Aus meine Sicht hat sie das Privileg Parteivorsitzende der christlichen Union, und Kanzlerin zu sein verspielt.

Gravatar: xRatio

"Doch etwas christlicher könnte sich die Partei Konrad Adenauers und Angela Merkels schon gerieren."


Dumm bloß, daß Religion in Politik und Staat nichts verloren hat. Sie wird als Privatsache toleriert. Das ist alles.

Das Problem liegt woanders:

Die sog. "Konservativen" nehmen seit jeher ein reichlich undurchsichtige, zwielichtige Rolle zwischen Liberalismus und Sozialismus ein.

Unter Kohl und IM Erika ist das Pendel massiv in Richtung Sozialismus ausgeschlagen.

CDU/CSU gebärden sich heute linker, etatistischer und totalitärer als die SPD unter dem Godesberger Programm, machen sogar den Krampf gegen Rechts, Feminismus und Islamisierung mit.

Ein Umdenken müßte nicht beim hohen C, sondern bei der grassierenden linken Pest ansetzen.

Treibt die linken Ratten dahin wo sie hingehören. - In ihre Löcher! (FJS)

xRatio

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