Alternative Integrationspolitik

Die gegenwärtige Integrationspolitik in Deutschland ist durch zweierlei gekennzeichnet: Die Kenntnis der deutschen Sprache wird als die zentrale Voraussetzung für die Integration angesehen, und die bisher nicht erreichte Integration soll durch Zwang herbeigeführt werden. Darüber sind sich alle Parteien so einig, daß die Variationen im einzelnen kaum noch eine Rolle spielen.

Veröffentlicht:
von

 

Und im Rahmen der sich intensivierenden Diskussion wird überdeutlich, daß die Parteien der bisherigen Erfolglosigkeit der Politik durch vermehrten Druck auf die zu Integrierenden abhelfen wollen.

 

Sowohl das Ziel wie das Mittel sind aber diskussionswürdig und rufen nach Alternativen.

 

Es ist ja offensichtlich, daß den Ausländern mit dem Zwang zur Integration der Verzicht auf die eigene kulturelle Identität zugemutet wird. Und wenn genau das die Absicht ist, was soll dafür sprechen, daß die Betroffenen sich dem widerstandslos beugen? Wenn der Integrationszwang dazu führt, daß die Ausländer an der eigenen kulturellen Identität, zu der auch und gerade die eigene Sprache gehört, nur noch heimlich festhalten können, ist eine kritische Einstellung zu dem Staat, der so vorgeht, vorprogrammiert und die wirkliche Integration damit auf Dauer verhindert. Zwang wirkt kontraproduktiv auf Integration.

 

Das läßt sich an so vielen Beispielen aus der europäischen Geschichte belegen, daß es sich nicht lohnt, auf mehr als einen Fall hinzuweisen: Zwei Generationen lang war der Gebrauch der katalanischen Sprache in Spanien verboten, sogar die Sardana, der traditionelle Tanz der Katalanen, wurde verfolgt. Und über die ganze Zeit sind die katalanische Sprache, die katalanische Kultur nicht untergegangen, sondern in stetem Widerstand gegen den verordnenden Staat heimlich gepflegt worden. Erst seitdem Katalonien nach dem Ende der Francozeit definierte Minderheitenrechte erhalten hat, geht die Ablehnung des Gesamtstaats allmählich zurück.

 

Und die Gegenbeispiele sind ebenso zahlreich. Mit vereinbarten Minderheitenrechten haben die Siebenbürger Sachsen, die Wolgaudeutschen und unzählige andere Minderheiten über Generationen als treue Bürger der Staaten, in denen sie ihre neue Heimat gefunden hatten, gelebt, integriert ohne Aufgabe der eigenen Sprache, ohne Aufgabe der eigenen Kultur, in einem für beide Seiten fruchtbaren Prozeß des Austauschs. Und da, wo die Geschichte die staatliche Zugehörigkeit eines Landstrichs geändert hat, wie in Südtirol, gilt das Gleiche.

 

Zwang ruft immer Reaktionen hervor, offenen oder versteckten Widerstand. Für das Ziel der Integration ist Zwang in jedem Fall kontraproduktiv. Eine widerwillig gelernte Sprache wird nicht wirklich gelernt und geht nicht in das Gedächtnis ein. Eine aufgezwungene Kultur wird nicht angenommen, sondern direkt oder insgeheim ablehnt.

 

Das Setzen auf Zwang ist erkennbar Ausfluß von Angst. Angst vor dem Fremden, vor Überfremdung, vor „Parallelgesellschaften“. Aber es gibt keinen Grund für diese Angst. Unsere freiheitlich-liberale Ordnung ist so attraktiv, daß sie auch die Bürger, die zunächst noch in ihrer eigenen Kultur verharren möchten, gewinnen wird. Nicht sofort, aber mit Sicherheit auf längere Sicht. Ungeduld ist in dem Zusammenhang ein schlechter Ratgeber

 

Und die zunehmende Rigidität islamischer Staaten und islamischer Funktionäre ist ja kein Zeichen von Stärke, sondern genau im Gegenteil ein Zeichen der bebenden Angst, daß ihnen die Gläubigen weglaufen werden, die die Attraktivität unserer „westlichen“, aufgeklärten, liberalen, freiheitlichen Lebensweise sehen und sie anstreben.

 

Davon müssen wir ausgehen und nach gangbaren Wegen suchen, wie die Integration der Migranten vor diesem Hintergrund erleichtert - nicht „herbeigeführt“ - werden kann. Neue Perspektiven entstehen nur, wenn das Setzen auf Zwang in Frage gestellt wird. Wenn wir uns stattdessen an positiven Beispielen aus der Geschichte, an tatsächlichen Erfahrungen, an Beispielen anderer Staaten, an rechtsstaatlichen Grundsätzen, an Freiheit und Liberalität orientierten.

 

Wir erleben erfolgreiche Integration in Tausenden von Fällen. Und sie alle sind durch die Integration der Betreffenden in die Berufs- und Arbeitswelt gekennzeichnet. Das und nur das ist wichtig, unabhängig davon, wie gut die Deutschkenntnisse der Betreffenden sind. Ein schlichtes, aber markantes Beispiel sind die ausländischen Fußballspieler in deutschen Vereinen, die nicht nur integriert sind, sondern geliebt und als Helden verehrt werden, auch wenn sich ihr deutscher Sprachschatz auf „Tor“, „Foul“ und „Abseits“ beschränkt. Sie können vielleicht nicht viel Deutsch, aber sie können Fußballspielen. Darauf kommt es an, um akzeptiert, um „integriert“ zu werden. Berufliche Qualifikation geht Deutschkenntnissen vor. Die These heißt: Die Ausübung eines Berufs, einer geregelten Tätigkeit, die Zugehörigkeit zu einem Arbeitsumfeld ist viel wichtiger als die Qualität der Deutschkenntnisse.

 

Das sehen wir an den unzähligen, von Migranten geführten Läden, an den Handwerkern und Arbeitern mit Migrationshintergrund, aber auch an den Migranten, die akademische Berufe ausüben, an Ärzten und Ingenieuren. Sie alle beherrschen das an Deutsch, was sie für ihren Beruf benötigen, was die Verständigung erlaubt. Was darüber hinaus fehlt, kann durch den Austausch mit deutschen Gesprächspartnern erworben werden. Und das reicht für die Integration. Deutschkenntnisse, die über das zur Berufsausübung Erforderliche hinausgehen, werden auch von deutschen Ladenbesitzern, Arbeitern, Handwerkern, Ärzten und Ingenieuren nicht verlangt.

 

Wir müssen den Migranten deswegen den Zugang zur Berufswelt erleichtern. Das setzt eine abgeschlossene Schulbildung voraus. Und da Deutsch eine außerordentlich schwere Sprache ist, deren perfekte Erlernung zu erzwingen auch aus diesem Grunde wenig aussichtsreich erscheint, müssen wir den zu Integrierenden eine Schulausbildung in ihrer eigenen Sprache ermöglichen. Im Rahmen des deutschen Schulsystems, mit qualitativ gleichen Anforderungen, mit gleicher staatlicher Finanzierung, mit gleichen Anstellungsmodalitäten für die Lehrer, aber in allen Fächern in der Muttersprache der betreffenden Migranten, lediglich um das Fach „Deutsch für Ausländer“ ergänzt. Natürlich auf freiwilliger Basis - wer lieber eine deutschsprachige Schule besuchen möchte, soll das selbstverständlich dürfen. Aber diejenigen, die die sprachlichen Schwierigkeiten vermeiden möchten, sollen die Möglichkeit erhalten, trotzdem einen Schulabschluß zu erreichen.

 

Den Migranten soll so eine Schulbildung vermittelt werden, die zu einem qualifizierenden Abschluß führt und ihnen die Erlernung und Ausübung eines Berufs ermöglicht. Die dafür erforderlichen Sprachkenntnisse sollen ihnen durch den Deutschunterricht „für Ausländer“, also zugeschnitten auf ihre speziellen Bedürfnisse, vermittelt werden. Die zweite These also lautet: Ein qualifizierender Schulabschluß ist wichtiger als die Deutschkenntnisse und eher geeignet, die Aussichten der Absolventen auf eine Berufsausbildung zu verbessern.

 

Wer die Schulbildung in der eigenen Sprache der Migranten als Integrationshemmnis ansieht, verkennt die Situation und leugnet die derzeitige Lage. Seit mehreren Jahrzehnten verlangen wir von Ausländern, als deren markanteste Gruppe hier die Türken stehen mögen, daß sie dem deutschen Schulunterricht folgen. Das offensichtliche Ergebnis dieser Politik ist verbreitetes Scheitern und Verlassen der Schule ohne qualifizierenden Abschluß. Und genau diese Gruppe von Arbeitslosen ohne schulische Qualifikation ist das eigentlich Problem.

 

Deswegen wird hier für eine alternative Politik plädiert.

 

 

 

 

Für die Inhalte der Blogs und Kolumnen sind die jeweiligen Blogger verantwortlich. Die Beiträge der Blogger und Gastautoren geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion oder des Herausgebers wieder.

Ihnen hat der Artikel gefallen? Bitte
unterstützen Sie mit einer Spende unsere
unabhängige Berichterstattung.

Abonnieren Sie jetzt hier unseren Newsletter: Newsletter

Kommentare zum Artikel

Bitte beachten Sie beim Verfassen eines Kommentars die Regeln höflicher Kommunikation.

Keine Kommentare

Schreiben Sie einen Kommentar


(erforderlich)

Zum Anfang