1989- Tagebuch der Friedlichen Revolution

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Vierundzwanzigster November 1989

Die Demonstrationen in der Tschechoslowakei zeigen Wirkung: Die gesamte Führung der Kommunistischen Partei tritt zurück und macht den Weg frei für Reformen und demokratische Wahlen.

 

In der DDR drängt die Opposition auf einen Runden Tisch nach polnischem Vorbild. Die Kontaktgruppe der Oppositionsgruppen bittet die Kirchenleitung der Evangelischen Kirche, eine Einladung zu einem Runden Tisch auszusprechen. Die Opposition ist sich mit der Kirche weitgehend über die Modalitäten einig. Die SED oder die Modrow-Regierung werden nicht nach ihrer Meinung gefragt.

 

Ungeachtet dessen geht am Nachmittag wieder die Reisewelle Richtung Westen los. Diesmal stellt die Reichsbahn Sonderzüge zur Verfügung. Vor den Filialen der Staatsbank bilden sich erneut lange Schlangen, um die möglichen 15 DM zu einem Kurs von 1:1 umzutauschen. Seit der Öffnung der Grenze haben 12,8 Millionen DDR-Bürger insgesamt über 200 Millionen DM auf diese Weise erworben. Das Geld musste mit Lastwagen aus der Westberliner Landeszentralbank abgeholt werden.

 

Das Regime von Ceaușescu befindet sich scheinbar auf dem Höhepunkt seiner Macht. Auf dem XIV. Parteitag der RKP wurde der despotisch herrschende „Conductor“ stürmisch gefeiert. Er wurde nicht nur erneut zum Generalsekretär der RKP gewählt, sondern er deklarierte unwidersprochen die Politik seiner Partei als so erfolgreich, dass einem „Voranschreiten Rumäniens zum Kommunismus“ nichts im Wege stünde. Ceaușescu ahnte nicht, dass sein Fall innerhalb eines Monats besiegelt sein würde.

 

Fünfundzwanzigster November 1989

Auf der Demonstration in Plauen wird die erste Forderung nach Wiedervereinigung erhoben. Die Zeit der verdeckten Wünsche und Anspielungen ist vorbei. Das Volk beginnt, Tacheles zu reden.

Innerhalb der Opposition hört man dazu andere Töne: Rainer Eppelmann spricht sich im Namen des Demokratischen Aufbruchs für eine Zusammenarbeit mit der SED aus. Keine politische Kraft könne die DDR allein aus der Krise führen.

 

Staatschef Krenz besucht Leipzig und nimmt anscheinend zum ersten Mal wahr, in welch ruinösem Zustand sich die Stadt befindet. Er schreibt es dem Umstand zu, dass Leipzig „von der Zentrale vernachlässigt“ worden war. Dabei ist Leipzig, verglichen mit der Nachbarstadt Halle oder anderen Orten noch in einem verhältnismäßig guten Zustand, weil hier zwei Mal im Jahr eine international besuchte Messe stattfand.

Am Nachmittag zieht Krenz mit einem Tross durch die Stadt und versucht auf der Straße und im Kaufhaus mit den Leuten ins Gespräch zu kommen. Das Interesse ist außerhalb der Genossen, die auf Anweisung der Partei die interessierten Bürger mimen müssen, äußerst gering.

 

In Berlin konstituieren sich zwei Parteien: die Freie Demokratische Partei und die Grüne Partei. Leider typisch für die Opposition, vereinigt die Grüne Partei nicht alle ökologischen Gruppierungen. Die Grüne Liga, eine Vereinigung von Basisgruppen, fühlt sich „überrumpelt“. Es hätte vorher keine Abstimmung gegeben. So wird die Zersplitterung der Opposition auch auf dem ökologischen Flügel zementiert.

 

Die Regierung der DDR zeigt sich nach außen hin unbeeindruckt. Sie beschließt ein Abkommen mit Österreich über eine Erweiterung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit.

Als Zugeständnis nach innen werden alle Ehrenpensionen und geschlossenen Jagdgebiete abgeschafft.

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