Türkei schlägt gefährlichen Weg ein

Willy Wimmer warnt vor Destabilisierung Europas

Erdogans Türkei ist weiterer Krisenherd innerhalb einer gefährlichen Entwicklung, die ganz Europa und den Nahen Posten betreffe. Immer mehr Regionen um Russland herum werden destabilisiert.

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Willy Wimmer (CDU), ehemals Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesministerium der Verteidigung und von 1994 bis 2000 Vizepräsident der Parlamentarischen Versammlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), warnt explizit vor einer möglichen Destabilisierung Europas.

Erst kürzlich hatte er zusammen mit Peter Gauweiler (CSU) in einem offenen Brief Angela Merkels damalige Haltung zum Irakkrieg kritisiert: Angesichts des Chilcot-Berichtes, wonach die Rechtsgrundlage für den Irakkrieg 2003 nicht gegeben war, fordern beide Politiker von der Bundeskanzlerin Reue bezüglich ihrer Haltung zum Irakkrieg damals. Der Krieg sei für die Destabilisierung der ganzen nahöstlichen Region und somit auch für die Flüchtlingskrise verantwortlich.

Türkei könnte einen ähnlichen Weg einschlagen wie Algerien

In einem Interview mit dem russischen Nachrichtenmagazin Sputnik hat nun Willy Wimmer seine Sorgen über die derzeitigen Entwicklungen in Europa und insbesondere in der Türkei zum Ausdruck gebracht. Der Putsch habe zu einer außergewöhnlichen Situation geführt.

Die türkische Armee ist die größte NATO-Armee in Europa und nach den US-Streitkräften die zweitgrößte innerhalb der NATO. Willy Wimmer verwies darauf, dass die Streitkräfte zudem das größte Wirtschaftsunternehmen innerhalb der Türkei seien. Daher sei der Einfluss des Militärs so bedeutend. Aus diesem Grunde hatten Erdogan und seine Anhänger alles getan, um diese Sonderrolle des Militärs abzubauen.

Doch diese Entwicklung werde einen hohen Preis haben, vermutet Wimmer. Es besteht die Gefahr, dass die Türkei einen ähnlichen Weg gehe wie Algerien nach 1991, als die islamischen Kräfte das Ruder übernommen hatten und der Westen sich mit seinem Einfluss zurückzog.

Die Rolle der Türkei innerhalb der NATO sei kompliziert. Willy Wimmer verwies auf die Nähe des türkischen Präsidenten und dessen Familie zu fundamentalistischen Islamisten. Die türkische Führung habe durch ihren Einfluss Mitschuld am Erstarken des „Islamischen Staates“ (IS) in Syrien. Zudem würden türkische Aktivitäten in Syrien die Kurdenproblematik verschärfen. Diese Entwicklung könnte zu einer Spaltung der Türkei führen. Die NATO-Politik in dieser Frage beschrieb Willy Wimmer als „schizophren“. Man habe sich ein Dilemma manövriert.

Willy Wimmer vermutet, dass die NATO ihre Nahost-Politik trotz aller Entwicklungen nicht ändern werde. In der internationalen Presse sei schon lange spekuliert worden, dass die USA einem Militär-Putsch in der Türkei vermutlich sogar positiv gegenüberstehen würden. Zudem sei die Nahost-Politik des Westens längst vom Pfad der Rationalität abgekommen. Man hätte vielmehr mit dem „misslungenen Stopfen von Löchern“ zu tun, die man selbst aufgemacht habe.

Was die Erdogans Politik angeht, so scheint es ihm eher um innenpolitische Machtfragen zu gehen. Hierbei riskiert Erdogan sogar Verstimmungen mit den USA. Die Forderung nach der Wiedereinführung der Todesstrafe zeige, dass ihm vermutlich auch die zukünftige EU-Mitgliedschaft der Türkei mittlerweile egal zu sein scheint. Doch die Konzentration auf die Machtfrage berge auch für Erdogan ein Risiko. Denn der Präsident darf nicht die oppositionelle Hälfte der Bevölkerung übergehen. Willy Wimmer verweist auf die Demütigung eines Teils des Militärs: „Für die Bilder von türkischen Soldaten, die in unmenschlicher Weise eingepfercht nackt auf dem Boden kauern, muss jeder Staatschef irgendwann bezahlen. Das lässt sich kein Volk gefallen.“

Kurdenproblem bleibt ein Risikofaktor

Ein weiterer Punkt, der die Lage der Türkei auf Dauer instabil bleiben lässt, ist das Kurdenproblem. Willy Wimmer erinnerte daran, dass er als Vorsitzender der ersten internationalen OSZE-Mission vor vielen Jahren in die Türkei entsandt worden war. Er habe die kurdischen Regionen gesehen, in denen dreitausend Städte und Dörfer während der Auseinandersetzungen mit der PKK in den Siebziger und Achtziger Jahren zerstört wurden. Damals wurden Millionen Kurden vertrieben. Doch nun würden, so analysiert Wimmer, durch die türkischen Aktivitäten in Syrien diese Probleme verschlimmert.

Was die Präsenz der Bundeswehr auf einer Militärbasis in der Türkei angeht, gibt es nach Ansicht von Willy Wimmer keine völkerrechtliche Legitimation, dort zu sein. Die deutschen Truppen sollten nach seiner Ansicht von dort abgezogen werden. Zu befürchten sei, dass die innertürkischen Auseinandersetzungen über die in Deutschland lebenden Türken auch auf dem Gebiet der Bundesrepublik ausgetragen werden könnten.

Auf die Frage, inwiefern die EU sich in Bezug auf die Flüchtlingskrise auf die Türkei verlassen könne, entgegnete Wimmer, dass die EU bereits vor zwei Jahren gewusst habe, was sich in der Türkei abspielt und mit welchen Flüchtlingsströmen man zu rechnen habe. Doch man habe sich nicht ausreichend darum gekümmert. Daher sei anzunehmen, so Wimmer, dass die Bundesregierung auch diesmal sich nicht ausreichend darum kümmern werde.

Am Ende steht die Frage, ob die Türkei wegen ihres autoritären Weges sich von der EU und NATO entferne. Hier relativiert Willy Wimmer die Rolle der Türkei. Denn zu dem Chaos in der Türkei kommen noch die kritische Entwicklung in Frankreich, der Austritt Großbritanniens aus der EU und die bedenkliche sicherheitspolitische Lage im Osten Europas mit all den Flächenbränden an der Grenze zu Russland. Hier bestehe die zusätzliche Gefahr, dass die Krise in der Türkei als Zündfunken eine ganze Region in Gefahr bringen könnte.

( Schlagwort: GeoAußenPolitik )

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: H.von Bugenhagen

Europa ist Stabiler den je,......jeder für sich und jeder gegen jeden....Bis jeder so schlau ist wie die Engländern.

Gravatar: Hans von Atzigen

Die Beiträge von Herrn W. Wimmer zeichnen sich durch
hohe Kompetenz und Sachlichkeit aus, insbesondere in der Analyse.
Hier fliessen unverkennbar die Erfahrungen eines
nüchternenen sachlichen Spitzendiplomaten ein.
Was in den Medien und in der Politik aktuell fehlt ist
eine vertiefte Analyse der Aktuellen Entwicklung und deren
Fundamental und Hintergrundursachen. Diese beschränken sich auf die Entwicklung ab der Zeit der
Militärischen Interventionen vorrangig der USA und teilen der NATO. Zweifelsfrei, diese wirkten als Brandbeschleuniger.
Der längst bekannte jedoch kaum beachtete Fundamental-Hintergrund ist der verherende Demografisch- Wirtschaftliche Hintergrund.
Verknüpft mit Kulturell-Religiösen Komponenten.
Ein schleiend angehäufter Berg an Hintergrundfaktoren,
der, die ganze Tschihad Bewegung permanent nährt.
Ein sehr erheblicher Anteil der Probleme in der Region
sind nun einmal hausgemacht.Die unselige überzogene
Einmischung des Westens haben diese Tendenz zusätzlich befördert. Zusätzlich beunruhigend ist das
kaum zu übersehende Faktum der schleichenden Ausbreitung des Dillemmas der Region, in die Westliche Welt. Ein krasses Beispiel ist Aegypten hier ist die Bevölkerungszahl innerhalb der letzten 30-40 Jahre
von 40 auf 80 Millionen angewachsen.
Solche Wachstumsraten sind selbst für hoch produktieve
Volkswirtschaften ein erhebliches Problem.Für strukturschwache Volkswirtschaften schlicht eine
Katastophe die kaum abwendbar zu massieven Verwerfungen führt.
Die Gesamtlage ist deutlich umfangreicher tiefgreifender
verfahren, als leider die Meisten wahrhaben wollen und offenbar KÖNNEN.
Da zeichnet sich, ein in der Dimension noch nie dagewesenes hässliches Desaster immer deutlicher ab.
Hässlich sehr hässlich was sich da schleichend aufbaut.

Gravatar: Klaus Kolbe

Zu diesem Artikel von Willy Wimmer paßt recht gut eine Einschätzung zur Lage Europas, die ich vor ein paar Tagen gelesen habe:

»Europa muß erwachen oder wird geopfert

Rußland ist nicht unser Feind, sondern ein enger Freund

Deutsche, Italiener, Franzosen, egal: Europäer, macht die Augen auf! Es ist längst nicht mehr fünf vor zwölf, auch nicht drei vor zwölf. Die Zeichen stehen nicht nur auf Sturm, über Europa, über uns Menschen wird ein Orkan hereinbrechen, der uns alle von der Landkarte wischen wird, wenn die Menschen in Europa weiterhin dem kriegslüsternen Treiben der USA zusehen!«

Hier ist der komplette Artikel zu finden:

https://buergerstimme.com/Design2/2016/07/europa-muss-erwachen-oder-wird-geopfert/

Mit dem Begriff Freund allerdings kann ich mich nicht so recht anfreunden. Freundschaft (manchmal auch nur vorgetäuschte) gibt es nur unter Menschen. Unter Staaten jedoch gibt es allenfalls gleiche Interessenlagen – mehr aber auch nicht. Und diese Interessenlagen sind von vielen Faktoren abhängig – sie alle hier aufführen zu wollen, würde zu weit führen.
Auf jeden Fall aber sollte Europa sich nicht für die geostrategischen Machtgelüste anderer instrumentalisieren lassen und in der Tat höllisch aufpassen, daß es nicht „verheizt“ wird!
Man muß Rußland nicht mögen, eine dauerhafte Befriedung und Stabilisierung Europas jedoch kann nur mit und nicht gegen Rußland erfolgen – das sollte eigentlich zum Einmaleins jedes Politikers in Europa gehören. Und, was ebenso wichtig ist: die einzelnen europäischen Staaten müssen aufhören, sich für machtpolitische Interessen anderer immer wieder auseinanderdividieren zu lassem, nach dem Motto: Divide et impera!
Dieses könnte man durchaus, wenn man es denn wollte, mit einem Vertragsnetz untereinander „festzurren“. Mit Klauseln darin, die eine vertragliche oder auch nichtregierungsorganisatorische sonstige Zusammenarbeit auf strategischem bzw. geostrategischem Gebiet mit außereuropäischen Mächten konsequent ausschließen, Zuwiderhandlungen die geschlossene Gegnerschaft der anderen europäischen Staaten automatisch und zwingend hervorrufen würde.
Aber davon sind wir wohl, leider, noch, falls überhaupt, Lichtjahre entfernt.

Gravatar: p.feldmann

Die Geschäftsgrundlage der NATO war die Konfrontation im kalten Krieg. Seither hat die NATO ebenso ziellos wie zuletzt zündelnd gg. Russland gearbeitet.
So wie ich Herrn Wimmer verstehe ist die NATO durch die Schwächung des türk.Militärs nun geschwächt und dadurch sinkt die von ihr provozierte Kriegsgefahr mit Russland.
Isoliert könnte man das dann doch als etwas Positives betrachten, oder?!

Gravatar: Sepp Kneip

Mir kann immer noch einer sagen, was er will, dieses Putschereignis kam Erdogan sehr gelegen, ein Geschenk Gottes. Und wer die Skrupellosigkeit Erdogans kennt, kann sich gut ausmalen, dass er sich dieses Geschenk selbst gemacht hat. Die vielen Toten spielen dabei keine Rolle. Es geht ja um die Macht Erdogans. Sein Ziel ist die Alleinherrschaft, die er als EU-Mitglied kaum erreihen dürfte. Ob die Türkei dann noch NATO-Mitglied bleiben könnte, ist sehr fraglich. Aber all das scheint den Türken-Pascha nicht zu interessieren. Ihn interessiert auch nicht das Volk, sondern nur sich und seine egoistischen Ziele. Merkel hat aufs falsche Pferd gesetzt. Wie schon so oft.

Gravatar: Jomenk

Ich freue mich immer sehr über die Beiträge von Herrn Wimmer. Man bekommt so eine interessante Sicht auf die Dinge. Mir wird dann immer bewusst, das ich die Geschehnisse oft in einem viel zu engen Rahmen sehe. Die globalen Zusammenhänge habe ich oft nicht auf dem Bildschirm. Dabei ist nicht nur die räumliche, sondern auch die zeitliche Dimension äusserst wichtig. Gerade die Kenntnis über die historischen Ereignisse, ist für das Begreifen des hier und jetzt unbedingt erforderlich. Herr Wimmer verfügt über diese Kenntnisse, zumal er in verantwortlicher Position nicht nur Zeitzeuge, sondern auch Mitwirkender war.

Gravatar: Lord

Alles klar, Muri.

Schuld sind immer die anderen. Die Türkei ist ein Hort der Demokratie. Wenn es zu einem Putsch kommt, kann er nur vom Ausland gesteuert sein. Also mal ehrlich, für wen machen Sie hier Propaganda?

Gravatar: Muri

Verfolgt man die Reaktionen der amerikanischen und der deutschen Regierung auf den gescheiterten Putsch in der Türkei, kann es kaum Zweifel geben, dass sie die Putschisten politisch unterstützt und auf ihren Erfolg gesetzt haben.
Sowohl Washington wie Berlin ließen sich viel Zeit, bis sie den Putsch in knappen Worten verurteilten. Sie äußerten sich erst eindeutig, als sich das Scheitern der Putschisten abzeichnete.
Man hätte erwarten können, dass ein bewaffneter Umsturzversuch aus den Reihen der zweitgrößten Nato-Armee, mit der sowohl die amerikanischen wie die deutschen Streitkräfte in der Kommandostruktur des Militärbündnisses und in zahlreichen Kriegseinsätzen täglich zusammenarbeiten, eine Flut von Verurteilungen, Kommentaren und Debatten auslösen würde. Doch nichts dergleichen geschah.

Es ist kaum denkbar, dass die türkischen Offiziere den Putsch ohne Ermutigung oder Unterstützung von amerikanischer und deutscher Seite gewagt hätten.
Doch die Putschisten und ihre Hintermänner hatten sich offenbar verkalkuliert. Aus Gründen, die nicht völlig klar sind, lief der Putsch schief. Vermutlich hatten sie die öffentliche Unterstützung unterschätzt, die Erdogan mobilisieren konnte.
Hätte der Putsch Erfolg gehabt, hätten ihn Washington und Berlin unterstützt, so wie sie sich vor drei Jahren hinter den Umsturz in der Ukraine und den blutigen Putsch in Ägypten stellten. Säße Erdogan jetzt wie der ehemalige ägyptische Präsident Mohammed Mursi, der ebenfalls demokratisch gewählt worden war, im Gefängnis, hätten sie keine demokratischen Skrupel. Das Argument der Demokratie bringen sie nur dann auf, wenn es in ihr politisches Kalkül passt.
Während die Kritik an den Putschisten völlig verstummt ist, warnen Politiker auf beiden Seiten des Atlantiks die türkische Regierung vor „Rache, Willkür und Machtmissbrauch“ und mahnen zur Einhaltung „rechtstaatlicher und demokratischer Grundsätze“.

Eine besonders schmutzige Rolle spielen in dieser Kampagne die Medien, die als Verstärker der offiziellen Regierungspropaganda dienen, deren Zynismus unverhüllt zum Ausdruck bringen und kein Geheimnis aus ihrer Sympathie für die Putschisten machen.

Tatsächlich stecken Politiker wie Kerry und Steinmeier, die rücksichtslos imperialistische Interessen vertreten, hinter dem Putsch. Welche Risiken sie dabei eingehen, zeigt unter anderem der Umstand, dass auf der Militärbasis Incirlik, einem der Zentren der Putschisten, 50 amerikanische Atomsprengköpfe lagern.
Aber die Abrechnung mit ihm ist die Aufgabe der türkischen und internationalen Arbeiterklasse und nicht des türkischen Militärs und der imperialistischen Mächte. Der Putschversuch diente nicht zuletzt dazu, eine solche Bewegung von unten zu verhindern.
Wäre der Putsch geglückt, hätten die Militärs wie bei früheren Putschen zehntausende militante Arbeiter inhaftiert, gefoltert und ermordet – ohne dass sich Washington und Berlin über die Verletzung der Demokratie beschwert hätten.

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